Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Schutzflehender sich zu gebärden pflegte. Der König aber
hub ihn von dem Boden auf und sprach: "Dreifache
Nöthigung drängt mich, deine Bitte nicht abzuweisen, o
Held. Zuerst Jupiter und dieser heilige Altar; dann die
Verwandtschaft, und endlich die Wohlthaten, die ich vom
Vater her dem Herkules schulde. Lasse ich euch vom
Altare hinwegreissen, so wäre dieß Land nicht mehr das
Land der Freiheit, der Götterfurcht und der Tugend!
Darum du Herold, kehre nach Mycene zurück und melde
solches deinem Herrscher. Nimmermehr wirst du Diese
mit dir führen!" "Ich gehe," sprach Kopreus, und erhob
drohend seinen Heroldsstab, "aber ich komme wieder mit
argivischer Heeresmacht. Zehntausend Schildträger har¬
ren auf den Wink meines Königes: er selbst wird ihr
Führer seyn. Wisse! sein Heer ist schon an deiner Grenze
gelagert." -- "Geh zum Hades," sprach Demophoon ver¬
ächtlich, "ich fürchte dich und dein Argos nicht!"

Der Herold entfernte sich, und jetzt sprangen die
Söhne des Herkules, eine ganze Schaar blühender Jüng¬
linge und Knaben, freudig vom Altare auf und bewill¬
kommten mit Gruß und Handschlag ihren Blutsverwand¬
ten, den König der Athener, in welchem sie ihren gro߬
müthigen Retter sahen. Jolaus führte abermals das Wort
für sie, und dankte dem trefflichen Manne und den Bür¬
gern der Stadt mit Worten voll Rührung: "Wenn uns
je wieder Heimkehr bescheert ist," sprach er, "und wenn
ihr Kinder Haus und Würden eures Vaters Herkules
wieder in Besitz nehmt, so vergesset diese eure Retter und
Freunde nie, und nimmer laßt euch einfallen, diese gast¬
liche Stadt mit Krieg zu überziehen, sondern erblicket

Schutzflehender ſich zu gebärden pflegte. Der König aber
hub ihn von dem Boden auf und ſprach: „Dreifache
Nöthigung drängt mich, deine Bitte nicht abzuweiſen, o
Held. Zuerſt Jupiter und dieſer heilige Altar; dann die
Verwandtſchaft, und endlich die Wohlthaten, die ich vom
Vater her dem Herkules ſchulde. Laſſe ich euch vom
Altare hinwegreiſſen, ſo wäre dieß Land nicht mehr das
Land der Freiheit, der Götterfurcht und der Tugend!
Darum du Herold, kehre nach Mycene zurück und melde
ſolches deinem Herrſcher. Nimmermehr wirſt du Dieſe
mit dir führen!“ „Ich gehe,“ ſprach Kopreus, und erhob
drohend ſeinen Heroldsſtab, „aber ich komme wieder mit
argiviſcher Heeresmacht. Zehntauſend Schildträger har¬
ren auf den Wink meines Königes: er ſelbſt wird ihr
Führer ſeyn. Wiſſe! ſein Heer iſt ſchon an deiner Grenze
gelagert.“ — „Geh zum Hades,“ ſprach Demophoon ver¬
ächtlich, „ich fürchte dich und dein Argos nicht!“

Der Herold entfernte ſich, und jetzt ſprangen die
Söhne des Herkules, eine ganze Schaar blühender Jüng¬
linge und Knaben, freudig vom Altare auf und bewill¬
kommten mit Gruß und Handſchlag ihren Blutsverwand¬
ten, den König der Athener, in welchem ſie ihren gro߬
müthigen Retter ſahen. Jolaus führte abermals das Wort
für ſie, und dankte dem trefflichen Manne und den Bür¬
gern der Stadt mit Worten voll Rührung: „Wenn uns
je wieder Heimkehr beſcheert iſt,“ ſprach er, „und wenn
ihr Kinder Haus und Würden eures Vaters Herkules
wieder in Beſitz nehmt, ſo vergeſſet dieſe eure Retter und
Freunde nie, und nimmer laßt euch einfallen, dieſe gaſt¬
liche Stadt mit Krieg zu überziehen, ſondern erblicket

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0416" n="390"/>
Schutzflehender &#x017F;ich zu gebärden pflegte. Der König aber<lb/>
hub ihn von dem Boden auf und &#x017F;prach: &#x201E;Dreifache<lb/>
Nöthigung drängt mich, deine Bitte nicht abzuwei&#x017F;en, o<lb/>
Held. Zuer&#x017F;t Jupiter und die&#x017F;er heilige Altar; dann die<lb/>
Verwandt&#x017F;chaft, und endlich die Wohlthaten, die ich vom<lb/>
Vater her dem Herkules &#x017F;chulde. La&#x017F;&#x017F;e ich euch vom<lb/>
Altare hinwegrei&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wäre dieß Land nicht mehr das<lb/>
Land der Freiheit, der Götterfurcht und der Tugend!<lb/>
Darum du Herold, kehre nach Mycene zurück und melde<lb/>
&#x017F;olches deinem Herr&#x017F;cher. Nimmermehr wir&#x017F;t du Die&#x017F;e<lb/>
mit dir führen!&#x201C; &#x201E;Ich gehe,&#x201C; &#x017F;prach Kopreus, und erhob<lb/>
drohend &#x017F;einen Herolds&#x017F;tab, &#x201E;aber ich komme wieder mit<lb/>
argivi&#x017F;cher Heeresmacht. Zehntau&#x017F;end Schildträger har¬<lb/>
ren auf den Wink meines Königes: er &#x017F;elb&#x017F;t wird ihr<lb/>
Führer &#x017F;eyn. Wi&#x017F;&#x017F;e! &#x017F;ein Heer i&#x017F;t &#x017F;chon an deiner Grenze<lb/>
gelagert.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Geh zum Hades,&#x201C; &#x017F;prach Demophoon ver¬<lb/>
ächtlich, &#x201E;ich fürchte dich und dein Argos nicht!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Der Herold entfernte &#x017F;ich, und jetzt &#x017F;prangen die<lb/>
Söhne des Herkules, eine ganze Schaar blühender Jüng¬<lb/>
linge und Knaben, freudig vom Altare auf und bewill¬<lb/>
kommten mit Gruß und Hand&#x017F;chlag ihren Blutsverwand¬<lb/>
ten, den König der Athener, in welchem &#x017F;ie ihren gro߬<lb/>
müthigen Retter &#x017F;ahen. Jolaus führte abermals das Wort<lb/>
für &#x017F;ie, und dankte dem trefflichen Manne und den Bür¬<lb/>
gern der Stadt mit Worten voll Rührung: &#x201E;Wenn uns<lb/>
je wieder Heimkehr be&#x017F;cheert i&#x017F;t,&#x201C; &#x017F;prach er, &#x201E;und wenn<lb/>
ihr Kinder Haus und Würden eures Vaters Herkules<lb/>
wieder in Be&#x017F;itz nehmt, &#x017F;o verge&#x017F;&#x017F;et die&#x017F;e eure Retter und<lb/>
Freunde nie, und nimmer laßt euch einfallen, die&#x017F;e ga&#x017F;<lb/>
liche Stadt mit Krieg zu überziehen, &#x017F;ondern erblicket<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[390/0416] Schutzflehender ſich zu gebärden pflegte. Der König aber hub ihn von dem Boden auf und ſprach: „Dreifache Nöthigung drängt mich, deine Bitte nicht abzuweiſen, o Held. Zuerſt Jupiter und dieſer heilige Altar; dann die Verwandtſchaft, und endlich die Wohlthaten, die ich vom Vater her dem Herkules ſchulde. Laſſe ich euch vom Altare hinwegreiſſen, ſo wäre dieß Land nicht mehr das Land der Freiheit, der Götterfurcht und der Tugend! Darum du Herold, kehre nach Mycene zurück und melde ſolches deinem Herrſcher. Nimmermehr wirſt du Dieſe mit dir führen!“ „Ich gehe,“ ſprach Kopreus, und erhob drohend ſeinen Heroldsſtab, „aber ich komme wieder mit argiviſcher Heeresmacht. Zehntauſend Schildträger har¬ ren auf den Wink meines Königes: er ſelbſt wird ihr Führer ſeyn. Wiſſe! ſein Heer iſt ſchon an deiner Grenze gelagert.“ — „Geh zum Hades,“ ſprach Demophoon ver¬ ächtlich, „ich fürchte dich und dein Argos nicht!“ Der Herold entfernte ſich, und jetzt ſprangen die Söhne des Herkules, eine ganze Schaar blühender Jüng¬ linge und Knaben, freudig vom Altare auf und bewill¬ kommten mit Gruß und Handſchlag ihren Blutsverwand¬ ten, den König der Athener, in welchem ſie ihren gro߬ müthigen Retter ſahen. Jolaus führte abermals das Wort für ſie, und dankte dem trefflichen Manne und den Bür¬ gern der Stadt mit Worten voll Rührung: „Wenn uns je wieder Heimkehr beſcheert iſt,“ ſprach er, „und wenn ihr Kinder Haus und Würden eures Vaters Herkules wieder in Beſitz nehmt, ſo vergeſſet dieſe eure Retter und Freunde nie, und nimmer laßt euch einfallen, dieſe gaſt¬ liche Stadt mit Krieg zu überziehen, ſondern erblicket

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/416
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/416>, abgerufen am 21.11.2024.