des Aristomachus, des Kleodäus Enkel, mit Namen Teme¬ nus, Kresphontes und Aristodemus den letzten Zug. Trotz aller Zweideutigkeit der Orakelsprüche hatten sie den Glau¬ ben an die Götter nicht verloren, gingen nach Delphi und befragten die Priesterin. Die Sprüche aber lauteten von Wort zu Wort, wie sie ihren Vätern ertheilt wor¬ den waren. "Wenn die dritte Frucht abgewartet worden, so wird die Rückkehr gelingen." Und wiederum: "die Götter verleihen den Sieg durch den Pfad des Engpas¬ ses." Klagend sprach da der älteste der Brüder, Teme¬ nus: "Diesen Aussprüchen ist mein Vater, Großvater, und Urgroßvater gefolgt, und es ist zu ihrer aller Ver¬ derben gewesen!" Da erbarmte sich ihrer der Gott und schloß durch seine Priesterin ihnen den wahren Sinn des Orakels auf: "An allen ihren Unglücksfällen," sprach sie, "sind eure Väter selbst schuldig gewesen, weil sie der Götter weise Sprüche nicht zu deuten wußten! Diese nemlich meinten nicht die dritte Frucht der Erde, die er¬ wartet werden müsse, sondern die dritte Frucht des Ge¬ schlechtes: die erste war Kleodäus, die zweite Aristoma¬ chus, die dritte Frucht, der der Sieg prophezeiht ist, das seyd ihr. Wiederum, unter dem Engpasse, der zum Wege führen soll, ist nicht, wie euer Vater fälschlich deutete, der Isth¬ mus verstanden, sondern jener weitere Schlund, nämlich das dem Isthmus zur Rechten liegende Meer. Jetzt wisset ihr den Sinn der Orakelsprüche. Was ihr thun wollet, das thuet mit der Götter Glück!"
Als Temenus solche Auslegung vernahm, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, er rüstete mit seinen Brüdern eilig ein Heer aus, und baute Schiffe zu Lokri, an dem Orte, der von dieser Ausrüstung den Namen
des Ariſtomachus, des Kleodäus Enkel, mit Namen Teme¬ nus, Kresphontes und Ariſtodemus den letzten Zug. Trotz aller Zweideutigkeit der Orakelſprüche hatten ſie den Glau¬ ben an die Götter nicht verloren, gingen nach Delphi und befragten die Prieſterin. Die Sprüche aber lauteten von Wort zu Wort, wie ſie ihren Vätern ertheilt wor¬ den waren. „Wenn die dritte Frucht abgewartet worden, ſo wird die Rückkehr gelingen.“ Und wiederum: „die Götter verleihen den Sieg durch den Pfad des Engpaſ¬ ſes.“ Klagend ſprach da der älteſte der Brüder, Teme¬ nus: „Dieſen Ausſprüchen iſt mein Vater, Großvater, und Urgroßvater gefolgt, und es iſt zu ihrer aller Ver¬ derben geweſen!“ Da erbarmte ſich ihrer der Gott und ſchloß durch ſeine Prieſterin ihnen den wahren Sinn des Orakels auf: „An allen ihren Unglücksfällen,“ ſprach ſie, „ſind eure Väter ſelbſt ſchuldig geweſen, weil ſie der Götter weiſe Sprüche nicht zu deuten wußten! Dieſe nemlich meinten nicht die dritte Frucht der Erde, die er¬ wartet werden müſſe, ſondern die dritte Frucht des Ge¬ ſchlechtes: die erſte war Kleodäus, die zweite Ariſtoma¬ chus, die dritte Frucht, der der Sieg prophezeiht iſt, das ſeyd ihr. Wiederum, unter dem Engpaſſe, der zum Wege führen ſoll, iſt nicht, wie euer Vater fälſchlich deutete, der Iſth¬ mus verſtanden, ſondern jener weitere Schlund, nämlich das dem Iſthmus zur Rechten liegende Meer. Jetzt wiſſet ihr den Sinn der Orakelſprüche. Was ihr thun wollet, das thuet mit der Götter Glück!“
Als Temenus ſolche Auslegung vernahm, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, er rüſtete mit ſeinen Brüdern eilig ein Heer aus, und baute Schiffe zu Lokri, an dem Orte, der von dieſer Ausrüſtung den Namen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0430"n="404"/>
des Ariſtomachus, des Kleodäus Enkel, mit Namen Teme¬<lb/>
nus, Kresphontes und Ariſtodemus den letzten Zug. Trotz<lb/>
aller Zweideutigkeit der Orakelſprüche hatten ſie den Glau¬<lb/>
ben an die Götter nicht verloren, gingen nach Delphi<lb/>
und befragten die Prieſterin. Die Sprüche aber lauteten<lb/>
von Wort zu Wort, wie ſie ihren Vätern ertheilt wor¬<lb/>
den waren. „Wenn die dritte Frucht abgewartet worden,<lb/>ſo wird die Rückkehr gelingen.“ Und wiederum: „die<lb/>
Götter verleihen den Sieg durch den Pfad des Engpaſ¬<lb/>ſes.“ Klagend ſprach da der älteſte der Brüder, Teme¬<lb/>
nus: „Dieſen Ausſprüchen iſt mein Vater, Großvater,<lb/>
und Urgroßvater gefolgt, und es iſt zu ihrer aller Ver¬<lb/>
derben geweſen!“ Da erbarmte ſich ihrer der Gott und<lb/>ſchloß durch ſeine Prieſterin ihnen den wahren Sinn des<lb/>
Orakels auf: „An allen ihren Unglücksfällen,“ſprach ſie,<lb/>„ſind eure Väter ſelbſt ſchuldig geweſen, weil ſie der<lb/>
Götter weiſe Sprüche nicht zu deuten wußten! Dieſe<lb/>
nemlich meinten nicht die dritte Frucht der Erde, die er¬<lb/>
wartet werden müſſe, ſondern die dritte Frucht des Ge¬<lb/>ſchlechtes: die erſte war Kleodäus, die zweite Ariſtoma¬<lb/>
chus, die dritte Frucht, der der Sieg prophezeiht iſt, das<lb/>ſeyd ihr. Wiederum, unter dem Engpaſſe, der zum Wege<lb/>
führen ſoll, iſt nicht, wie euer Vater fälſchlich deutete, der Iſth¬<lb/>
mus verſtanden, ſondern jener weitere Schlund, nämlich<lb/>
das dem Iſthmus zur Rechten liegende Meer. Jetzt<lb/>
wiſſet ihr den Sinn der Orakelſprüche. Was ihr thun<lb/>
wollet, das thuet mit der Götter Glück!“</p><lb/><p>Als Temenus ſolche Auslegung vernahm, fiel es ihm<lb/>
wie Schuppen von den Augen, er rüſtete mit ſeinen<lb/>
Brüdern eilig ein Heer aus, und baute Schiffe zu Lokri,<lb/>
an dem Orte, der von dieſer Ausrüſtung den Namen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[404/0430]
des Ariſtomachus, des Kleodäus Enkel, mit Namen Teme¬
nus, Kresphontes und Ariſtodemus den letzten Zug. Trotz
aller Zweideutigkeit der Orakelſprüche hatten ſie den Glau¬
ben an die Götter nicht verloren, gingen nach Delphi
und befragten die Prieſterin. Die Sprüche aber lauteten
von Wort zu Wort, wie ſie ihren Vätern ertheilt wor¬
den waren. „Wenn die dritte Frucht abgewartet worden,
ſo wird die Rückkehr gelingen.“ Und wiederum: „die
Götter verleihen den Sieg durch den Pfad des Engpaſ¬
ſes.“ Klagend ſprach da der älteſte der Brüder, Teme¬
nus: „Dieſen Ausſprüchen iſt mein Vater, Großvater,
und Urgroßvater gefolgt, und es iſt zu ihrer aller Ver¬
derben geweſen!“ Da erbarmte ſich ihrer der Gott und
ſchloß durch ſeine Prieſterin ihnen den wahren Sinn des
Orakels auf: „An allen ihren Unglücksfällen,“ ſprach ſie,
„ſind eure Väter ſelbſt ſchuldig geweſen, weil ſie der
Götter weiſe Sprüche nicht zu deuten wußten! Dieſe
nemlich meinten nicht die dritte Frucht der Erde, die er¬
wartet werden müſſe, ſondern die dritte Frucht des Ge¬
ſchlechtes: die erſte war Kleodäus, die zweite Ariſtoma¬
chus, die dritte Frucht, der der Sieg prophezeiht iſt, das
ſeyd ihr. Wiederum, unter dem Engpaſſe, der zum Wege
führen ſoll, iſt nicht, wie euer Vater fälſchlich deutete, der Iſth¬
mus verſtanden, ſondern jener weitere Schlund, nämlich
das dem Iſthmus zur Rechten liegende Meer. Jetzt
wiſſet ihr den Sinn der Orakelſprüche. Was ihr thun
wollet, das thuet mit der Götter Glück!“
Als Temenus ſolche Auslegung vernahm, fiel es ihm
wie Schuppen von den Augen, er rüſtete mit ſeinen
Brüdern eilig ein Heer aus, und baute Schiffe zu Lokri,
an dem Orte, der von dieſer Ausrüſtung den Namen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/430>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.