schlummerte? Wer war doch die Fremde, die ich im Traume gesehen? Welch eine wunderbare Sehnsucht nach ihr regt sich in meinem Herzen! Und wie ist sie selbst mir so liebreich entgegen gekommen und, auch als sie mich gewaltsam entführte, mit welchem Mutterblicke hat sie mich angelächelt! Mögen die seligen Götter mir den Traum zum Besten kehren!"
Der Morgen war herangekommen; der helle Tages¬ schein verwischte den nächtlichen Schimmer des Traumes aus der Seele der Jungfrau, und Europa erhub sich zu den Beschäftigungen und Freuden ihres jungfräulichen Lebens. Bald sammelten sich um sie ihre Altersgenossin¬ nen und Gespielinnen, Töchter der ersten Häuser, welche sie zu Chortänzen, Opfern und Lustgängen zu begleiten pflegten. Auch jetzt kamen sie, ihre Herrin zu einem Gange nach den blumenreichen Wiesen des Meeres ein¬ zuladen, wo sich die Mädchen der Gegend schaarenweise zu versammeln und am üppigen Wuchse der Blumen und am rauschenden Halle des Meeres zu erfreuen pflegten. Alle Mädchen waren in schmucke blumengestickte Gewande gekleidet; Europa selbst trug ein wunderwürdiges Gold¬ gesticktes Schleppkleid voll glänzender Bilder aus der Göttersage; das herrliche Gewand war ein Werk des Vulkanus, ein uraltes Göttergeschenk des Erderschütterers Neptunus, das dieser der Libya geschenkt hatte, als er um sie warb. Aus ihrem Besitze war es von Hand zu Hand als Erbstück in das Haus des Agenor gekommen. Mit diesem Brautschmuck angethan eilte die holdselige Europa an der Spitze ihrer Gespielinnen den Meereswiesen zu, die voll der buntesten Blumen standen. Jubelnd zer¬ streute sich die Schaar der Mädchen da und dorthin, jede
ſchlummerte? Wer war doch die Fremde, die ich im Traume geſehen? Welch eine wunderbare Sehnſucht nach ihr regt ſich in meinem Herzen! Und wie iſt ſie ſelbſt mir ſo liebreich entgegen gekommen und, auch als ſie mich gewaltſam entführte, mit welchem Mutterblicke hat ſie mich angelächelt! Mögen die ſeligen Götter mir den Traum zum Beſten kehren!“
Der Morgen war herangekommen; der helle Tages¬ ſchein verwiſchte den nächtlichen Schimmer des Traumes aus der Seele der Jungfrau, und Europa erhub ſich zu den Beſchäftigungen und Freuden ihres jungfräulichen Lebens. Bald ſammelten ſich um ſie ihre Altersgenoſſin¬ nen und Geſpielinnen, Töchter der erſten Häuſer, welche ſie zu Chortänzen, Opfern und Luſtgängen zu begleiten pflegten. Auch jetzt kamen ſie, ihre Herrin zu einem Gange nach den blumenreichen Wieſen des Meeres ein¬ zuladen, wo ſich die Mädchen der Gegend ſchaarenweiſe zu verſammeln und am üppigen Wuchſe der Blumen und am rauſchenden Halle des Meeres zu erfreuen pflegten. Alle Mädchen waren in ſchmucke blumengeſtickte Gewande gekleidet; Europa ſelbſt trug ein wunderwürdiges Gold¬ geſticktes Schleppkleid voll glänzender Bilder aus der Götterſage; das herrliche Gewand war ein Werk des Vulkanus, ein uraltes Göttergeſchenk des Erderſchütterers Neptunus, das dieſer der Libya geſchenkt hatte, als er um ſie warb. Aus ihrem Beſitze war es von Hand zu Hand als Erbſtück in das Haus des Agenor gekommen. Mit dieſem Brautſchmuck angethan eilte die holdſelige Europa an der Spitze ihrer Geſpielinnen den Meereswieſen zu, die voll der bunteſten Blumen ſtanden. Jubelnd zer¬ ſtreute ſich die Schaar der Mädchen da und dorthin, jede
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ſchlummerte? Wer war doch die Fremde, die ich im
Traume geſehen? Welch eine wunderbare Sehnſucht nach
ihr regt ſich in meinem Herzen! Und wie iſt ſie ſelbſt
mir ſo liebreich entgegen gekommen und, auch als ſie mich
gewaltſam entführte, mit welchem Mutterblicke hat ſie
mich angelächelt! Mögen die ſeligen Götter mir den
Traum zum Beſten kehren!“
Der Morgen war herangekommen; der helle Tages¬
ſchein verwiſchte den nächtlichen Schimmer des Traumes
aus der Seele der Jungfrau, und Europa erhub ſich zu
den Beſchäftigungen und Freuden ihres jungfräulichen
Lebens. Bald ſammelten ſich um ſie ihre Altersgenoſſin¬
nen und Geſpielinnen, Töchter der erſten Häuſer, welche
ſie zu Chortänzen, Opfern und Luſtgängen zu begleiten
pflegten. Auch jetzt kamen ſie, ihre Herrin zu einem
Gange nach den blumenreichen Wieſen des Meeres ein¬
zuladen, wo ſich die Mädchen der Gegend ſchaarenweiſe
zu verſammeln und am üppigen Wuchſe der Blumen und
am rauſchenden Halle des Meeres zu erfreuen pflegten.
Alle Mädchen waren in ſchmucke blumengeſtickte Gewande
gekleidet; Europa ſelbſt trug ein wunderwürdiges Gold¬
geſticktes Schleppkleid voll glänzender Bilder aus der
Götterſage; das herrliche Gewand war ein Werk des
Vulkanus, ein uraltes Göttergeſchenk des Erderſchütterers
Neptunus, das dieſer der Libya geſchenkt hatte, als er
um ſie warb. Aus ihrem Beſitze war es von Hand zu
Hand als Erbſtück in das Haus des Agenor gekommen.
Mit dieſem Brautſchmuck angethan eilte die holdſelige
Europa an der Spitze ihrer Geſpielinnen den Meereswieſen
zu, die voll der bunteſten Blumen ſtanden. Jubelnd zer¬
ſtreute ſich die Schaar der Mädchen da und dorthin, jede
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/62>, abgerufen am 24.11.2024.
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