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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Wenn uns dereinst Jupiter die Eroberung Troja's gönnt,
so wollen wir dir den Verlust drei- und vierfach ersetzen!"
"Tapferer Held," rief ihm der König zu, "sinne nicht auf
Trug! Meinst du, ich werde deinem Befehle folgen und
mein Geschenk hergeben, während du das deinige behältst?
Nein. Geben mir die Griechen keinen Ersatz, so gehe ich
hin, mir einen aus eurer Beute zu holen, sey es ein
Ehrengeschenk des Ajax oder des Odysseus, oder auch
das deinige, Pelide; möget ihr dann noch so sehr zürnen.
Doch davon reden wir ein andermal. Jetzt aber immer¬
hin ein Schiff und die Hekatombe gerüstet; sie selbst, die
rosige Tochter des Chryses möget ihr einschiffen, und einer
der Fürsten, meinethalben du, Achilles, mag das Schiff
befehligen!"

Finster entgegnete Achilles: "Schamloser, selbstsüch¬
tiger Fürst! wie mag dir nur ein Grieche noch gehorchen!
Ich selbst, dem die Trojaner nichts zu Leibe gethan haben,
bin nur dir gefolgt, um deinen Bruder Menelaus dir
rächen zu helfen. Und das achtest du nun nicht, sondern
willst mir mein Ehrengeschenk entreißen, das ich mir mit
meinem Schweiß errungen und die Griechen mir geschenkt
haben! Bekam ich doch nach keiner Städteeroberung je
ein so herrliches Geschenk, wie du; die schwerste Last des
Kampfes hatte mein Arm stets zu tragen, aber wenn es
zur Theilung kommt, trägst du das Beste davon, und ich
kehre streitmüde und mit wenigem vergnügt zu den Schif¬
fen zurück! Jetzt aber gehe ich heim nach Phthia; ver¬
such' es, und häufe dir Güter und Schätze ohne mich!"

"Fliehe nur, wenn dir's dein Herz gebeut," rief ihm
Agamemnon zu, "ich habe genug Helden ohne dich, du

Wenn uns dereinſt Jupiter die Eroberung Troja's gönnt,
ſo wollen wir dir den Verluſt drei- und vierfach erſetzen!“
„Tapferer Held,“ rief ihm der König zu, „ſinne nicht auf
Trug! Meinſt du, ich werde deinem Befehle folgen und
mein Geſchenk hergeben, während du das deinige behältſt?
Nein. Geben mir die Griechen keinen Erſatz, ſo gehe ich
hin, mir einen aus eurer Beute zu holen, ſey es ein
Ehrengeſchenk des Ajax oder des Odyſſeus, oder auch
das deinige, Pelide; möget ihr dann noch ſo ſehr zürnen.
Doch davon reden wir ein andermal. Jetzt aber immer¬
hin ein Schiff und die Hekatombe gerüſtet; ſie ſelbſt, die
roſige Tochter des Chryſes möget ihr einſchiffen, und einer
der Fürſten, meinethalben du, Achilles, mag das Schiff
befehligen!“

Finſter entgegnete Achilles: „Schamloſer, ſelbſtſüch¬
tiger Fürſt! wie mag dir nur ein Grieche noch gehorchen!
Ich ſelbſt, dem die Trojaner nichts zu Leibe gethan haben,
bin nur dir gefolgt, um deinen Bruder Menelaus dir
rächen zu helfen. Und das achteſt du nun nicht, ſondern
willſt mir mein Ehrengeſchenk entreißen, das ich mir mit
meinem Schweiß errungen und die Griechen mir geſchenkt
haben! Bekam ich doch nach keiner Städteeroberung je
ein ſo herrliches Geſchenk, wie du; die ſchwerſte Laſt des
Kampfes hatte mein Arm ſtets zu tragen, aber wenn es
zur Theilung kommt, trägſt du das Beſte davon, und ich
kehre ſtreitmüde und mit wenigem vergnügt zu den Schif¬
fen zurück! Jetzt aber gehe ich heim nach Phthia; ver¬
ſuch' es, und häufe dir Güter und Schätze ohne mich!“

„Fliehe nur, wenn dir's dein Herz gebeut,“ rief ihm
Agamemnon zu, „ich habe genug Helden ohne dich, du

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[88/0110] Wenn uns dereinſt Jupiter die Eroberung Troja's gönnt, ſo wollen wir dir den Verluſt drei- und vierfach erſetzen!“ „Tapferer Held,“ rief ihm der König zu, „ſinne nicht auf Trug! Meinſt du, ich werde deinem Befehle folgen und mein Geſchenk hergeben, während du das deinige behältſt? Nein. Geben mir die Griechen keinen Erſatz, ſo gehe ich hin, mir einen aus eurer Beute zu holen, ſey es ein Ehrengeſchenk des Ajax oder des Odyſſeus, oder auch das deinige, Pelide; möget ihr dann noch ſo ſehr zürnen. Doch davon reden wir ein andermal. Jetzt aber immer¬ hin ein Schiff und die Hekatombe gerüſtet; ſie ſelbſt, die roſige Tochter des Chryſes möget ihr einſchiffen, und einer der Fürſten, meinethalben du, Achilles, mag das Schiff befehligen!“ Finſter entgegnete Achilles: „Schamloſer, ſelbſtſüch¬ tiger Fürſt! wie mag dir nur ein Grieche noch gehorchen! Ich ſelbſt, dem die Trojaner nichts zu Leibe gethan haben, bin nur dir gefolgt, um deinen Bruder Menelaus dir rächen zu helfen. Und das achteſt du nun nicht, ſondern willſt mir mein Ehrengeſchenk entreißen, das ich mir mit meinem Schweiß errungen und die Griechen mir geſchenkt haben! Bekam ich doch nach keiner Städteeroberung je ein ſo herrliches Geſchenk, wie du; die ſchwerſte Laſt des Kampfes hatte mein Arm ſtets zu tragen, aber wenn es zur Theilung kommt, trägſt du das Beſte davon, und ich kehre ſtreitmüde und mit wenigem vergnügt zu den Schif¬ fen zurück! Jetzt aber gehe ich heim nach Phthia; ver¬ ſuch' es, und häufe dir Güter und Schätze ohne mich!“ „Fliehe nur, wenn dir's dein Herz gebeut,“ rief ihm Agamemnon zu, „ich habe genug Helden ohne dich, du

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/110>, abgerufen am 21.11.2024.