wandelte bald vor, bald hinter ihm her. Als Diomedes den Gott kommen sah, stutzte der Held wie ein Wan¬ derer vor einem brausenden Wasserfalle staunt, und rief dem Volke zu: "Staunet nicht über die Unerschrockenheit Hektors, ihr Freunde, denn immer geht ein Gott neben ihm her und wehrt das Verderben von ihm ab. Darum, wenn wir weichen, so weichen wir den Göttern!" Indessen stürmten die Schlachtreihen der Trojaner immer näher heran, und Hektor erschlug zwei tapfere Griechen auf Einem Streitwagen, den Anchialus und Menesthes. Ajax, der Telamonier, eilte herbei, sie zu rächen; er traf mit der Lanze den Amphius, einen Verbündeten der Trojaner, unter dem Gurte, daß er in dumpfem Falle zu Boden stürzte; dann stemmte er den Fuß auf den Leichnam und zog die Lanze heraus; ein Hügel von Speeren hinderte ihn, den Gefallenen der Rüstung zu berauben.
Auf einer andern Seite trieb ein böses Verhängniß den Herakliden Tlepolemus auf den Lycier Sarpedon zu, dem er schon von weitem zurief: "Was nöthigt dich, hier in Angst zu vergehen, weibischer Asiate, der du dich fälsch¬ lich rühmest, ein Jupiterssohn zu seyn, wie mein Vater Herkules! Du bist feige, und selbst wenn du ein Tapferer wärest, so solltest du jetzt dem Hades nicht entgehen!" "Habe ich mir noch keinen Ruhm erworben," entgegnete ihm Sarpedon, "so soll dein Tod mir ihn verschaffen!" Und nun kreuzten sich die Lanzen beider Helden; der Wurfspieß des Sarpedon traf den prahlerischen Gegner grade in den Hals, daß die Spitze hinten hervordrang und er entseelt zur Erde stürzte. Aber auch des Tlepole¬ mus Speer hatte den linken Schenkel Sarpedons bis auf die Knochen durchbohrt, und nur sein Vater Jupiter
wandelte bald vor, bald hinter ihm her. Als Diomedes den Gott kommen ſah, ſtutzte der Held wie ein Wan¬ derer vor einem brauſenden Waſſerfalle ſtaunt, und rief dem Volke zu: „Staunet nicht über die Unerſchrockenheit Hektors, ihr Freunde, denn immer geht ein Gott neben ihm her und wehrt das Verderben von ihm ab. Darum, wenn wir weichen, ſo weichen wir den Göttern!“ Indeſſen ſtürmten die Schlachtreihen der Trojaner immer näher heran, und Hektor erſchlug zwei tapfere Griechen auf Einem Streitwagen, den Anchialus und Meneſthes. Ajax, der Telamonier, eilte herbei, ſie zu rächen; er traf mit der Lanze den Amphius, einen Verbündeten der Trojaner, unter dem Gurte, daß er in dumpfem Falle zu Boden ſtürzte; dann ſtemmte er den Fuß auf den Leichnam und zog die Lanze heraus; ein Hügel von Speeren hinderte ihn, den Gefallenen der Rüſtung zu berauben.
Auf einer andern Seite trieb ein böſes Verhängniß den Herakliden Tlepolemus auf den Lycier Sarpedon zu, dem er ſchon von weitem zurief: „Was nöthigt dich, hier in Angſt zu vergehen, weibiſcher Aſiate, der du dich fälſch¬ lich rühmeſt, ein Jupitersſohn zu ſeyn, wie mein Vater Herkules! Du biſt feige, und ſelbſt wenn du ein Tapferer wäreſt, ſo ſollteſt du jetzt dem Hades nicht entgehen!“ „Habe ich mir noch keinen Ruhm erworben,“ entgegnete ihm Sarpedon, „ſo ſoll dein Tod mir ihn verſchaffen!“ Und nun kreuzten ſich die Lanzen beider Helden; der Wurfſpieß des Sarpedon traf den prahleriſchen Gegner grade in den Hals, daß die Spitze hinten hervordrang und er entſeelt zur Erde ſtürzte. Aber auch des Tlepole¬ mus Speer hatte den linken Schenkel Sarpedons bis auf die Knochen durchbohrt, und nur ſein Vater Jupiter
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wandelte bald vor, bald hinter ihm her. Als Diomedes
den Gott kommen ſah, ſtutzte der Held wie ein Wan¬
derer vor einem brauſenden Waſſerfalle ſtaunt, und rief
dem Volke zu: „Staunet nicht über die Unerſchrockenheit
Hektors, ihr Freunde, denn immer geht ein Gott neben
ihm her und wehrt das Verderben von ihm ab. Darum,
wenn wir weichen, ſo weichen wir den Göttern!“ Indeſſen
ſtürmten die Schlachtreihen der Trojaner immer näher
heran, und Hektor erſchlug zwei tapfere Griechen auf
Einem Streitwagen, den Anchialus und Meneſthes. Ajax,
der Telamonier, eilte herbei, ſie zu rächen; er traf mit
der Lanze den Amphius, einen Verbündeten der Trojaner,
unter dem Gurte, daß er in dumpfem Falle zu Boden
ſtürzte; dann ſtemmte er den Fuß auf den Leichnam und
zog die Lanze heraus; ein Hügel von Speeren hinderte
ihn, den Gefallenen der Rüſtung zu berauben.
Auf einer andern Seite trieb ein böſes Verhängniß
den Herakliden Tlepolemus auf den Lycier Sarpedon zu,
dem er ſchon von weitem zurief: „Was nöthigt dich, hier
in Angſt zu vergehen, weibiſcher Aſiate, der du dich fälſch¬
lich rühmeſt, ein Jupitersſohn zu ſeyn, wie mein Vater
Herkules! Du biſt feige, und ſelbſt wenn du ein Tapferer
wäreſt, ſo ſollteſt du jetzt dem Hades nicht entgehen!“
„Habe ich mir noch keinen Ruhm erworben,“ entgegnete
ihm Sarpedon, „ſo ſoll dein Tod mir ihn verſchaffen!“
Und nun kreuzten ſich die Lanzen beider Helden; der
Wurfſpieß des Sarpedon traf den prahleriſchen Gegner
grade in den Hals, daß die Spitze hinten hervordrang
und er entſeelt zur Erde ſtürzte. Aber auch des Tlepole¬
mus Speer hatte den linken Schenkel Sarpedons bis auf
die Knochen durchbohrt, und nur ſein Vater Jupiter
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/150>, abgerufen am 21.11.2024.
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