geliebt, mehr als alle Andere gleichest du an Trotz und Starrsinn deiner Mutter. Gewiß hat dieses Weh mir auch ihr Rath bereitet! Dennoch kann ich nicht län¬ ger mit ansehen, wie du leidest, und der Arzt der Götter wird dich heilen." So übergab er ihn dem Päan, welcher der Wunde wahrnahm, daß sie sich auf der Stelle schloß.
Inzwischen waren auch die andern Götter in den Olymp zurückgekehrt, um die Feldschlacht der Troer und Danaer wieder sich selbst zu überlassen. Zuerst brach jetzt Ajax, der Sohn Telamons, in das Gedränge der Tro¬ janer, und machte den Seinigen wieder Luft, indem er Akamas, dem gewaltigsten Thrazier, die Stirne unter dem Helm durchbohrte. Darauf erschlug Diomedes Arylus und seinen Wagenlenker; vor Euryalus erlagen drei an¬ dere edle Trojaner, vor Odysseus Pidytes, vor Teucer Aretaon, vor Antilochus Ableros, vor Agamemnon Elatus, vor Andern Andere. Den Adrastus erhaschte Menelaus, als ihn die Rosse strauchelnd auf den Boden geworfen, und mit dem Wagen, unter andern herrenlosen Pferden, zur Stadt enteilten. Der liegende Feind umschlang die Knie des Fürsten und flehte jämmerlich: "Fange mich lebendig, Atride, nimm volle Lösung von Erz und Gold aus dem Schatze meines Vaters, der sie dir willig gibt, wenn er mich wieder lebendig umarmen darf!" Menelaus fühlte sein Herz im Busen bewegt, da lief Agamemnon heran und strafte ihn mit den Worten: "Sorgst du so für deine Feinde, Menelaus? fürwahr, sie haben es um dich im Heimathlande verdient! Nein, Keiner soll un¬ serm Arm entfliehen, auch der Knabe im Mutterschooße nicht! Alles, was Troja groß gezogen hat, soll ohne Erbarmen sterben!" Da stieß Menelaus den Flehenden
geliebt, mehr als alle Andere gleicheſt du an Trotz und Starrſinn deiner Mutter. Gewiß hat dieſes Weh mir auch ihr Rath bereitet! Dennoch kann ich nicht län¬ ger mit anſehen, wie du leideſt, und der Arzt der Götter wird dich heilen.“ So übergab er ihn dem Päan, welcher der Wunde wahrnahm, daß ſie ſich auf der Stelle ſchloß.
Inzwiſchen waren auch die andern Götter in den Olymp zurückgekehrt, um die Feldſchlacht der Troer und Danaer wieder ſich ſelbſt zu überlaſſen. Zuerſt brach jetzt Ajax, der Sohn Telamons, in das Gedränge der Tro¬ janer, und machte den Seinigen wieder Luft, indem er Akamas, dem gewaltigſten Thrazier, die Stirne unter dem Helm durchbohrte. Darauf erſchlug Diomedes Arylus und ſeinen Wagenlenker; vor Euryalus erlagen drei an¬ dere edle Trojaner, vor Odyſſeus Pidytes, vor Teucer Aretaon, vor Antilochus Ableros, vor Agamemnon Elatus, vor Andern Andere. Den Adraſtus erhaſchte Menelaus, als ihn die Roſſe ſtrauchelnd auf den Boden geworfen, und mit dem Wagen, unter andern herrenloſen Pferden, zur Stadt enteilten. Der liegende Feind umſchlang die Knie des Fürſten und flehte jämmerlich: „Fange mich lebendig, Atride, nimm volle Löſung von Erz und Gold aus dem Schatze meines Vaters, der ſie dir willig gibt, wenn er mich wieder lebendig umarmen darf!“ Menelaus fühlte ſein Herz im Buſen bewegt, da lief Agamemnon heran und ſtrafte ihn mit den Worten: „Sorgſt du ſo für deine Feinde, Menelaus? fürwahr, ſie haben es um dich im Heimathlande verdient! Nein, Keiner ſoll un¬ ſerm Arm entfliehen, auch der Knabe im Mutterſchooße nicht! Alles, was Troja groß gezogen hat, ſoll ohne Erbarmen ſterben!“ Da ſtieß Menelaus den Flehenden
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geliebt, mehr als alle Andere gleicheſt du an Trotz
und Starrſinn deiner Mutter. Gewiß hat dieſes Weh
mir auch ihr Rath bereitet! Dennoch kann ich nicht län¬
ger mit anſehen, wie du leideſt, und der Arzt der Götter
wird dich heilen.“ So übergab er ihn dem Päan, welcher
der Wunde wahrnahm, daß ſie ſich auf der Stelle ſchloß.
Inzwiſchen waren auch die andern Götter in den
Olymp zurückgekehrt, um die Feldſchlacht der Troer und
Danaer wieder ſich ſelbſt zu überlaſſen. Zuerſt brach jetzt
Ajax, der Sohn Telamons, in das Gedränge der Tro¬
janer, und machte den Seinigen wieder Luft, indem er
Akamas, dem gewaltigſten Thrazier, die Stirne unter
dem Helm durchbohrte. Darauf erſchlug Diomedes Arylus
und ſeinen Wagenlenker; vor Euryalus erlagen drei an¬
dere edle Trojaner, vor Odyſſeus Pidytes, vor Teucer
Aretaon, vor Antilochus Ableros, vor Agamemnon Elatus,
vor Andern Andere. Den Adraſtus erhaſchte Menelaus,
als ihn die Roſſe ſtrauchelnd auf den Boden geworfen,
und mit dem Wagen, unter andern herrenloſen Pferden,
zur Stadt enteilten. Der liegende Feind umſchlang die
Knie des Fürſten und flehte jämmerlich: „Fange mich
lebendig, Atride, nimm volle Löſung von Erz und Gold
aus dem Schatze meines Vaters, der ſie dir willig gibt,
wenn er mich wieder lebendig umarmen darf!“ Menelaus
fühlte ſein Herz im Buſen bewegt, da lief Agamemnon
heran und ſtrafte ihn mit den Worten: „Sorgſt du ſo
für deine Feinde, Menelaus? fürwahr, ſie haben es um
dich im Heimathlande verdient! Nein, Keiner ſoll un¬
ſerm Arm entfliehen, auch der Knabe im Mutterſchooße
nicht! Alles, was Troja groß gezogen hat, ſoll ohne
Erbarmen ſterben!“ Da ſtieß Menelaus den Flehenden
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/155>, abgerufen am 22.11.2024.
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