einem Labetrunk erquicken; denn der Wein ist doch die kräftigste Stärkung für einen müden Kämpfer!" Aber Hektor erwiederte der Königin: "Laß mir keinen Wein reichen, geliebte Mutter, daß du mich nicht entnervest und ich meiner Kraft vergesse; auch dem Göttervater scheue ich mich, mit ungewaschener Hand Wein zu spenden; du hingegen geh, von den edelsten Frauen Troja's umringt, mit Räuchwerk zu Athenes Tempel, lege der Göttin dein köstlichstes Gewand auf die Kniee und gelobe ihr zwölf untadeliche Kühe, wenn sie sich unserer erbarmt. Ich aber will hingehen, meinen Bruder Paris in die Schlacht zu berufen. Schlänge ihn doch die Erde lebendig hinab, denn er ist zu unserem Verderben geboren!"
Die Mutter that, wie der Sohn sie angewiesen. Sie stieg in die duftende Kammer hinunter, wo die schönsten Seidengewande verwahrt lagen, die Paris selbst aus Sidon mitgebracht hatte, als er aus Umwegen mit Helena nach der Heimath schiffte. Eines davon, das größeste, schönste, mit den herrlichsten Bildern durchwirkte, das zu unterst von allen lag, suchte sie hervor und wandelte nun, von der Schaar der edelsten Weiber begleitet, nach der Burg, zu Athene's Tempel. Hier öffnete ihnen Antenors Gattin Theano, die trojanische Priesterin der Pallas, das Haus der Göttin. Die Frauen reihten sich um das Bild Athene's und huben mit Klagetönen die Hände zu der Göttin empor. Dann nahm Theano das Gewand aus den Händen der Königin, legte es auf die Kniee des Bildes und flehte zu der Tochter Jupiters: "Pallas Athene, Beschirmerin der Städte, erhabene, machtvolle Göttin, brich du dem Diomedes den Speer, laß ihn selbst, auf sein Angesicht gestürzt, vor unsern Thoren sich
einem Labetrunk erquicken; denn der Wein iſt doch die kräftigſte Stärkung für einen müden Kämpfer!“ Aber Hektor erwiederte der Königin: „Laß mir keinen Wein reichen, geliebte Mutter, daß du mich nicht entnerveſt und ich meiner Kraft vergeſſe; auch dem Göttervater ſcheue ich mich, mit ungewaſchener Hand Wein zu ſpenden; du hingegen geh, von den edelſten Frauen Troja's umringt, mit Räuchwerk zu Athenes Tempel, lege der Göttin dein köſtlichſtes Gewand auf die Kniee und gelobe ihr zwölf untadeliche Kühe, wenn ſie ſich unſerer erbarmt. Ich aber will hingehen, meinen Bruder Paris in die Schlacht zu berufen. Schlänge ihn doch die Erde lebendig hinab, denn er iſt zu unſerem Verderben geboren!“
Die Mutter that, wie der Sohn ſie angewieſen. Sie ſtieg in die duftende Kammer hinunter, wo die ſchönſten Seidengewande verwahrt lagen, die Paris ſelbſt aus Sidon mitgebracht hatte, als er aus Umwegen mit Helena nach der Heimath ſchiffte. Eines davon, das größeſte, ſchönſte, mit den herrlichſten Bildern durchwirkte, das zu unterſt von allen lag, ſuchte ſie hervor und wandelte nun, von der Schaar der edelſten Weiber begleitet, nach der Burg, zu Athene's Tempel. Hier öffnete ihnen Antenors Gattin Theano, die trojaniſche Prieſterin der Pallas, das Haus der Göttin. Die Frauen reihten ſich um das Bild Athene's und huben mit Klagetönen die Hände zu der Göttin empor. Dann nahm Theano das Gewand aus den Händen der Königin, legte es auf die Kniee des Bildes und flehte zu der Tochter Jupiters: „Pallas Athene, Beſchirmerin der Städte, erhabene, machtvolle Göttin, brich du dem Diomedes den Speer, laß ihn ſelbſt, auf ſein Angeſicht geſtürzt, vor unſern Thoren ſich
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einem Labetrunk erquicken; denn der Wein iſt doch die
kräftigſte Stärkung für einen müden Kämpfer!“ Aber
Hektor erwiederte der Königin: „Laß mir keinen Wein
reichen, geliebte Mutter, daß du mich nicht entnerveſt und
ich meiner Kraft vergeſſe; auch dem Göttervater ſcheue
ich mich, mit ungewaſchener Hand Wein zu ſpenden; du
hingegen geh, von den edelſten Frauen Troja's umringt,
mit Räuchwerk zu Athenes Tempel, lege der Göttin dein
köſtlichſtes Gewand auf die Kniee und gelobe ihr zwölf
untadeliche Kühe, wenn ſie ſich unſerer erbarmt. Ich aber
will hingehen, meinen Bruder Paris in die Schlacht zu
berufen. Schlänge ihn doch die Erde lebendig hinab, denn
er iſt zu unſerem Verderben geboren!“
Die Mutter that, wie der Sohn ſie angewieſen. Sie
ſtieg in die duftende Kammer hinunter, wo die ſchönſten
Seidengewande verwahrt lagen, die Paris ſelbſt aus
Sidon mitgebracht hatte, als er aus Umwegen mit Helena
nach der Heimath ſchiffte. Eines davon, das größeſte,
ſchönſte, mit den herrlichſten Bildern durchwirkte, das zu
unterſt von allen lag, ſuchte ſie hervor und wandelte nun,
von der Schaar der edelſten Weiber begleitet, nach der
Burg, zu Athene's Tempel. Hier öffnete ihnen Antenors
Gattin Theano, die trojaniſche Prieſterin der Pallas, das
Haus der Göttin. Die Frauen reihten ſich um das Bild
Athene's und huben mit Klagetönen die Hände zu der
Göttin empor. Dann nahm Theano das Gewand aus
den Händen der Königin, legte es auf die Kniee des
Bildes und flehte zu der Tochter Jupiters: „Pallas
Athene, Beſchirmerin der Städte, erhabene, machtvolle
Göttin, brich du dem Diomedes den Speer, laß ihn
ſelbſt, auf ſein Angeſicht geſtürzt, vor unſern Thoren ſich
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/160>, abgerufen am 23.11.2024.
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