wälzen; erbarme dich der Stadt, der Frauen, der stam¬ melnden Kinder! In dieser Hoffnung weihen wir dir zwölf untadeliche Kühe."
Aber Pallas Athene verweigerte ihnen im Herzen ihre Bitte. Hektor war inzwischen im Pallaste des Paris angekommen, der hoch auf der Burg, in der Nähe vom Königspallast und von Hektors Wohnung stand; denn beide Fürsten hatten von der Königswohnung abgesonderte Häuser. Er trug in der Rechten seinen Speer, der eilf Ellen lang und dessen eherne Spitze am Schaft mit einem goldenen Ring umlegt war. Er fand den Bruder, wie er in seinem Gemache die Waffen musterte und das Horn des Bogens glättete; seine Gemahlin Helena saß emsig unter den Weibern und leitete ihr Tagewerk. Wie Hektor jenen sah, schalt er ihn und rief: "Du thust nicht Recht, so im Unmuthe hier zu sitzen, Bruder, um deinet¬ willen schlägt sich das Volk vor der Stadt im Feldgetüm¬ mel! Du selbst aber würdest mit jedem Andern zanken, den du so saumselig zum Treffen sähest. Auf denn, ehe die Stadt unter den Feuerbränden unseres Feindes auf¬ lodert, hilf sie vertheidigen mit uns!" Paris antwortete ihm: "Du tadelst mich nicht mit Unrecht, Bruder, doch bin ich nicht aus Unmuth, sondern nur aus Gram hier in der Unthätigkeit gesessen. Nun aber hat mir meine Gattin freundlich zugeredet, in die Schlacht hinaus zu gehen; so verziehe denn, bis ich meine Rüstung angezogen habe, oder geh: ich hoffe dir bald nachzufolgen." Hektor schwieg darauf, aber Helena redete ihn mit Worten der Beschämung an: "O Schwager, ich bin ein schnödes, unheilstiftendes Weib! Hätte mich doch die Meereswoge verschlungen, ehe ich mit Paris hier ans Land stieg! Nun
wälzen; erbarme dich der Stadt, der Frauen, der ſtam¬ melnden Kinder! In dieſer Hoffnung weihen wir dir zwölf untadeliche Kühe.“
Aber Pallas Athene verweigerte ihnen im Herzen ihre Bitte. Hektor war inzwiſchen im Pallaſte des Paris angekommen, der hoch auf der Burg, in der Nähe vom Königspallaſt und von Hektors Wohnung ſtand; denn beide Fürſten hatten von der Königswohnung abgeſonderte Häuſer. Er trug in der Rechten ſeinen Speer, der eilf Ellen lang und deſſen eherne Spitze am Schaft mit einem goldenen Ring umlegt war. Er fand den Bruder, wie er in ſeinem Gemache die Waffen muſterte und das Horn des Bogens glättete; ſeine Gemahlin Helena ſaß emſig unter den Weibern und leitete ihr Tagewerk. Wie Hektor jenen ſah, ſchalt er ihn und rief: „Du thuſt nicht Recht, ſo im Unmuthe hier zu ſitzen, Bruder, um deinet¬ willen ſchlägt ſich das Volk vor der Stadt im Feldgetüm¬ mel! Du ſelbſt aber würdeſt mit jedem Andern zanken, den du ſo ſaumſelig zum Treffen ſäheſt. Auf denn, ehe die Stadt unter den Feuerbränden unſeres Feindes auf¬ lodert, hilf ſie vertheidigen mit uns!“ Paris antwortete ihm: „Du tadelſt mich nicht mit Unrecht, Bruder, doch bin ich nicht aus Unmuth, ſondern nur aus Gram hier in der Unthätigkeit geſeſſen. Nun aber hat mir meine Gattin freundlich zugeredet, in die Schlacht hinaus zu gehen; ſo verziehe denn, bis ich meine Rüſtung angezogen habe, oder geh: ich hoffe dir bald nachzufolgen.“ Hektor ſchwieg darauf, aber Helena redete ihn mit Worten der Beſchämung an: „O Schwager, ich bin ein ſchnödes, unheilſtiftendes Weib! Hätte mich doch die Meereswoge verſchlungen, ehe ich mit Paris hier ans Land ſtieg! Nun
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wälzen; erbarme dich der Stadt, der Frauen, der ſtam¬
melnden Kinder! In dieſer Hoffnung weihen wir dir
zwölf untadeliche Kühe.“
Aber Pallas Athene verweigerte ihnen im Herzen
ihre Bitte. Hektor war inzwiſchen im Pallaſte des Paris
angekommen, der hoch auf der Burg, in der Nähe vom
Königspallaſt und von Hektors Wohnung ſtand; denn
beide Fürſten hatten von der Königswohnung abgeſonderte
Häuſer. Er trug in der Rechten ſeinen Speer, der eilf
Ellen lang und deſſen eherne Spitze am Schaft mit
einem goldenen Ring umlegt war. Er fand den Bruder,
wie er in ſeinem Gemache die Waffen muſterte und das
Horn des Bogens glättete; ſeine Gemahlin Helena ſaß
emſig unter den Weibern und leitete ihr Tagewerk. Wie
Hektor jenen ſah, ſchalt er ihn und rief: „Du thuſt nicht
Recht, ſo im Unmuthe hier zu ſitzen, Bruder, um deinet¬
willen ſchlägt ſich das Volk vor der Stadt im Feldgetüm¬
mel! Du ſelbſt aber würdeſt mit jedem Andern zanken,
den du ſo ſaumſelig zum Treffen ſäheſt. Auf denn, ehe
die Stadt unter den Feuerbränden unſeres Feindes auf¬
lodert, hilf ſie vertheidigen mit uns!“ Paris antwortete
ihm: „Du tadelſt mich nicht mit Unrecht, Bruder, doch
bin ich nicht aus Unmuth, ſondern nur aus Gram hier
in der Unthätigkeit geſeſſen. Nun aber hat mir meine
Gattin freundlich zugeredet, in die Schlacht hinaus zu
gehen; ſo verziehe denn, bis ich meine Rüſtung angezogen
habe, oder geh: ich hoffe dir bald nachzufolgen.“ Hektor
ſchwieg darauf, aber Helena redete ihn mit Worten der
Beſchämung an: „O Schwager, ich bin ein ſchnödes,
unheilſtiftendes Weib! Hätte mich doch die Meereswoge
verſchlungen, ehe ich mit Paris hier ans Land ſtieg! Nun
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/161>, abgerufen am 23.11.2024.
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