und Schulter: da schwindelte es ihm vor den Augen; alsdann schlug der Gott ihm den Helm vom Haupte, daß er weit hin in den Sand klingend unter die Pferdehufe dahin rollte und der Helmbusch mit Staub und Blut be¬ sudelt ward. Nun zerbrach er ihm die Lanze in der Hand, löste ihm den Schildriemen von der Schulter und den Harnisch vom Leibe, und betäubte ihm sein Herz, daß er vor sich hinstarrend dastand. Nun durchbohrte ihn Euphor¬ bus, der Sohn des Panthous, ein tapferer Krieger, der schon zwanzig Griechen gefällt hatte, von hinten mit der Lanze, und eilte in die Heerschaar zurück. Hektor aber rannte jetzt wieder aus der Schlachtreihe hervor, und stieß dem schon verwundeten von vorne den Speer in die Weiche des Bauchs, daß die Erzspitze hinten wieder her¬ vordrang. So bezwang er ihn, wie ein Löwe den Eber am Gebirgsquell bezwingt, wohin sie beide zu trinken gekommen sind. Er entriß ihm mit dem Speere zugleich das Leben, und rief frohlockend: "Ha, Patroklus! Du hattest im Sinn, unsre Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln, und unsre Weiber als Mägde auf den Schif¬ fen in eure Heimath zu führen! Nun habe ich ihnen den Tag der Knechtschaft wenigstens aufgeschoben, und dich werden die Geier fressen! Was hat dir nun dein Achilles geholfen?"
Mit schwacher Stimme antwortete ihm der sterbende Patroklus: "Frohlocke du immerhin nach Herzenslust, Hektor! Jupiter und Apollo haben dir Siegesruhm ge¬ währt ohne Mühe, denn sie sind es, die mich entwaffnet haben; sonst hätte meine Lanze dich und zwanzig deines Gleichen gebändigt! Vor den Göttern hat mich Phöbus, vor den Menschen Euphorbus bezwungen. Du nimmst
und Schulter: da ſchwindelte es ihm vor den Augen; alsdann ſchlug der Gott ihm den Helm vom Haupte, daß er weit hin in den Sand klingend unter die Pferdehufe dahin rollte und der Helmbuſch mit Staub und Blut be¬ ſudelt ward. Nun zerbrach er ihm die Lanze in der Hand, löste ihm den Schildriemen von der Schulter und den Harniſch vom Leibe, und betäubte ihm ſein Herz, daß er vor ſich hinſtarrend daſtand. Nun durchbohrte ihn Euphor¬ bus, der Sohn des Panthous, ein tapferer Krieger, der ſchon zwanzig Griechen gefällt hatte, von hinten mit der Lanze, und eilte in die Heerſchaar zurück. Hektor aber rannte jetzt wieder aus der Schlachtreihe hervor, und ſtieß dem ſchon verwundeten von vorne den Speer in die Weiche des Bauchs, daß die Erzſpitze hinten wieder her¬ vordrang. So bezwang er ihn, wie ein Löwe den Eber am Gebirgsquell bezwingt, wohin ſie beide zu trinken gekommen ſind. Er entriß ihm mit dem Speere zugleich das Leben, und rief frohlockend: „Ha, Patroklus! Du hatteſt im Sinn, unſre Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln, und unſre Weiber als Mägde auf den Schif¬ fen in eure Heimath zu führen! Nun habe ich ihnen den Tag der Knechtſchaft wenigſtens aufgeſchoben, und dich werden die Geier freſſen! Was hat dir nun dein Achilles geholfen?“
Mit ſchwacher Stimme antwortete ihm der ſterbende Patroklus: „Frohlocke du immerhin nach Herzensluſt, Hektor! Jupiter und Apollo haben dir Siegesruhm ge¬ währt ohne Mühe, denn ſie ſind es, die mich entwaffnet haben; ſonſt hätte meine Lanze dich und zwanzig deines Gleichen gebändigt! Vor den Göttern hat mich Phöbus, vor den Menſchen Euphorbus bezwungen. Du nimmſt
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und Schulter: da ſchwindelte es ihm vor den Augen;
alsdann ſchlug der Gott ihm den Helm vom Haupte, daß
er weit hin in den Sand klingend unter die Pferdehufe
dahin rollte und der Helmbuſch mit Staub und Blut be¬
ſudelt ward. Nun zerbrach er ihm die Lanze in der Hand,
löste ihm den Schildriemen von der Schulter und den
Harniſch vom Leibe, und betäubte ihm ſein Herz, daß er
vor ſich hinſtarrend daſtand. Nun durchbohrte ihn Euphor¬
bus, der Sohn des Panthous, ein tapferer Krieger, der
ſchon zwanzig Griechen gefällt hatte, von hinten mit der
Lanze, und eilte in die Heerſchaar zurück. Hektor aber
rannte jetzt wieder aus der Schlachtreihe hervor, und ſtieß
dem ſchon verwundeten von vorne den Speer in die
Weiche des Bauchs, daß die Erzſpitze hinten wieder her¬
vordrang. So bezwang er ihn, wie ein Löwe den Eber
am Gebirgsquell bezwingt, wohin ſie beide zu trinken
gekommen ſind. Er entriß ihm mit dem Speere zugleich
das Leben, und rief frohlockend: „Ha, Patroklus! Du
hatteſt im Sinn, unſre Stadt in einen Schutthaufen zu
verwandeln, und unſre Weiber als Mägde auf den Schif¬
fen in eure Heimath zu führen! Nun habe ich ihnen den
Tag der Knechtſchaft wenigſtens aufgeſchoben, und dich
werden die Geier freſſen! Was hat dir nun dein Achilles
geholfen?“
Mit ſchwacher Stimme antwortete ihm der ſterbende
Patroklus: „Frohlocke du immerhin nach Herzensluſt,
Hektor! Jupiter und Apollo haben dir Siegesruhm ge¬
währt ohne Mühe, denn ſie ſind es, die mich entwaffnet
haben; ſonſt hätte meine Lanze dich und zwanzig deines
Gleichen gebändigt! Vor den Göttern hat mich Phöbus,
vor den Menſchen Euphorbus bezwungen. Du nimmſt
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/248>, abgerufen am 22.11.2024.
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