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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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mich wohl hassen, daß er mich von neuem in deine Hand
gegeben. Doch tödte mich nicht; ich bin ein Kind Laothoe's,
und kein leiblicher Bruder des Hektor, der dir deinen
Freund gemordet hat." Aber Achilles faltete die Stirn,
und mit umbarmherziger Stimme sprach er: "Schwatze
mir nicht von Lösung, du Thor; ehe Patroklus starb, war
mein Herz zu schonen willig, jetzt aber entflieht Keiner
dem Tode. So stirb denn auch du, mein Guter; sieh
mich nicht so kläglich an! Ist doch auch Patroklus gestor¬
ben, der viel herrlicher war, als du. Und betrachte mich
selbst, wie schön und groß ich von Gestalt bin; dennoch, ich
weiß es gewiß, wird auch mich das Verhängniß von
Feindeshand ereilen, sey's am Morgen, am Mittag oder
am Abend!" Lykaon ließ zitternd den Speer fahren, als
er ihn so reden hörte, saß mit ausgebreiteten Händen und
empfing den Stoß des Schwertes in den Hals. Achilles
faßte den Gemordeten am Fuße, schleuderte ihn in den
Strudel des Flusses, und rief ihm höhnend nach: "Laß
sehen, ob der Strom dich rette, dem ihr vergebens so viele
Sühnopfer gebracht habt."

Ueber diese Worte ergrimmte der Stromgott Ska¬
mander, der ohnedem auf Seite der Trojaner war, und
erwog bei sich im Geiste, wie er den gräßlichen Helden
in seiner Arbeit hemmen, und die Plage von seinen Schütz¬
lingen abwenden könnte. Achilles sprang indessen mit seiner
Lanze auf Asteropäus den Päonier, den Sohn des Pele¬
gon ein, der, zwei Speere in den Händen, eben aus
dem Strome stieg. Diesem hauchte der Flußgott Muth
in die Seele, daß er mit Ingrimm das erbarmunglose
Gemetzel des Peliden überblickte, und kühn auf den Mor¬
denden zueilte. "Wer bist du, der es wagt, mir entgegen

mich wohl haſſen, daß er mich von neuem in deine Hand
gegeben. Doch tödte mich nicht; ich bin ein Kind Laothoe's,
und kein leiblicher Bruder des Hektor, der dir deinen
Freund gemordet hat.“ Aber Achilles faltete die Stirn,
und mit umbarmherziger Stimme ſprach er: „Schwatze
mir nicht von Löſung, du Thor; ehe Patroklus ſtarb, war
mein Herz zu ſchonen willig, jetzt aber entflieht Keiner
dem Tode. So ſtirb denn auch du, mein Guter; ſieh
mich nicht ſo kläglich an! Iſt doch auch Patroklus geſtor¬
ben, der viel herrlicher war, als du. Und betrachte mich
ſelbſt, wie ſchön und groß ich von Geſtalt bin; dennoch, ich
weiß es gewiß, wird auch mich das Verhängniß von
Feindeshand ereilen, ſey's am Morgen, am Mittag oder
am Abend!“ Lykaon ließ zitternd den Speer fahren, als
er ihn ſo reden hörte, ſaß mit ausgebreiteten Händen und
empfing den Stoß des Schwertes in den Hals. Achilles
faßte den Gemordeten am Fuße, ſchleuderte ihn in den
Strudel des Fluſſes, und rief ihm höhnend nach: „Laß
ſehen, ob der Strom dich rette, dem ihr vergebens ſo viele
Sühnopfer gebracht habt.“

Ueber dieſe Worte ergrimmte der Stromgott Ska¬
mander, der ohnedem auf Seite der Trojaner war, und
erwog bei ſich im Geiſte, wie er den gräßlichen Helden
in ſeiner Arbeit hemmen, und die Plage von ſeinen Schütz¬
lingen abwenden könnte. Achilles ſprang indeſſen mit ſeiner
Lanze auf Aſteropäus den Päonier, den Sohn des Pele¬
gon ein, der, zwei Speere in den Händen, eben aus
dem Strome ſtieg. Dieſem hauchte der Flußgott Muth
in die Seele, daß er mit Ingrimm das erbarmungloſe
Gemetzel des Peliden überblickte, und kühn auf den Mor¬
denden zueilte. „Wer biſt du, der es wagt, mir entgegen

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[269/0291] mich wohl haſſen, daß er mich von neuem in deine Hand gegeben. Doch tödte mich nicht; ich bin ein Kind Laothoe's, und kein leiblicher Bruder des Hektor, der dir deinen Freund gemordet hat.“ Aber Achilles faltete die Stirn, und mit umbarmherziger Stimme ſprach er: „Schwatze mir nicht von Löſung, du Thor; ehe Patroklus ſtarb, war mein Herz zu ſchonen willig, jetzt aber entflieht Keiner dem Tode. So ſtirb denn auch du, mein Guter; ſieh mich nicht ſo kläglich an! Iſt doch auch Patroklus geſtor¬ ben, der viel herrlicher war, als du. Und betrachte mich ſelbſt, wie ſchön und groß ich von Geſtalt bin; dennoch, ich weiß es gewiß, wird auch mich das Verhängniß von Feindeshand ereilen, ſey's am Morgen, am Mittag oder am Abend!“ Lykaon ließ zitternd den Speer fahren, als er ihn ſo reden hörte, ſaß mit ausgebreiteten Händen und empfing den Stoß des Schwertes in den Hals. Achilles faßte den Gemordeten am Fuße, ſchleuderte ihn in den Strudel des Fluſſes, und rief ihm höhnend nach: „Laß ſehen, ob der Strom dich rette, dem ihr vergebens ſo viele Sühnopfer gebracht habt.“ Ueber dieſe Worte ergrimmte der Stromgott Ska¬ mander, der ohnedem auf Seite der Trojaner war, und erwog bei ſich im Geiſte, wie er den gräßlichen Helden in ſeiner Arbeit hemmen, und die Plage von ſeinen Schütz¬ lingen abwenden könnte. Achilles ſprang indeſſen mit ſeiner Lanze auf Aſteropäus den Päonier, den Sohn des Pele¬ gon ein, der, zwei Speere in den Händen, eben aus dem Strome ſtieg. Dieſem hauchte der Flußgott Muth in die Seele, daß er mit Ingrimm das erbarmungloſe Gemetzel des Peliden überblickte, und kühn auf den Mor¬ denden zueilte. „Wer biſt du, der es wagt, mir entgegen

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/291>, abgerufen am 21.11.2024.