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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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galt: deswegen wehklagen auch jetzt die Völker um ihn
rings umher in der Burg. Unaussprechlichen Gram hast
du deinen Eltern bereitet, Hektor, endlose Verzweiflung
mir selbst. Nicht von dem Sterbelager hast du die Hand
mir gereicht, nicht ein Abschiedswort voll Weisheit mir zu¬
gerufen, dessen ich Tag und Nacht unter Thränen der
Wehmuth gedenken könnte!"

Nach Andromache erhub Hekuba, die Mutter, klagend
ihre Stimme. "Hektor, o du mein Herzenskind, wie lieb
warest du selbst den Göttern, die deiner auch beim bitter¬
sten Tode nicht vergessen haben. Mit dem Schwert ge¬
tödtet und geschleift, ruhest du doch so frisch in unserm
Hause, als hätte dich das linde Geschoß Apollo's vom
silbernen Bogen unversehens hingestreckt." So sprach sie,
sich selber tröstend, und vergoß eine Fluth von Thränen.
Jetzt nahm auch Helena das Wort. "Hektor," klagte sie,
"du mir lieber als alle Gebrüder meines Mannes, zwan¬
zig Lebensjahre sind mir entflohen, seit mich Unglückselige
Paris gen Troja geführt hat, und nie in dieser langen
Zeit hörte ich auch nur ein Wörtlein im Bösen von dir.
Zwar König Priamus war immer auch milde gegen mich,
wie ein Vater, aber wenn ein Anderer im Hause, Bruder
oder Schwester des Gatten, Schwägerin oder Schwieger¬
mutter mich hart anließ, die besänftigtest du immer, und
dein freundliches Herz redete mir zu gut. In dir ist mein
Tröster und Freund gestorben; mit Abscheu werden sich
jetzt Alle von mir abwenden!"

So sprach sie unter Thränen, und das zahllos ver¬
sammelte Volk seufzete. Da rief Priamus über das Ge¬
dränge hin: "Jetzt, ihr Trojaner, bringet Holz für den
Scheiterhaufen zur Stadt her, und besorget nicht, daß

galt: deswegen wehklagen auch jetzt die Völker um ihn
rings umher in der Burg. Unausſprechlichen Gram haſt
du deinen Eltern bereitet, Hektor, endloſe Verzweiflung
mir ſelbſt. Nicht von dem Sterbelager haſt du die Hand
mir gereicht, nicht ein Abſchiedswort voll Weisheit mir zu¬
gerufen, deſſen ich Tag und Nacht unter Thränen der
Wehmuth gedenken könnte!“

Nach Andromache erhub Hekuba, die Mutter, klagend
ihre Stimme. „Hektor, o du mein Herzenskind, wie lieb
wareſt du ſelbſt den Göttern, die deiner auch beim bitter¬
ſten Tode nicht vergeſſen haben. Mit dem Schwert ge¬
tödtet und geſchleift, ruheſt du doch ſo friſch in unſerm
Hauſe, als hätte dich das linde Geſchoß Apollo's vom
ſilbernen Bogen unverſehens hingeſtreckt.“ So ſprach ſie,
ſich ſelber tröſtend, und vergoß eine Fluth von Thränen.
Jetzt nahm auch Helena das Wort. „Hektor,“ klagte ſie,
„du mir lieber als alle Gebrüder meines Mannes, zwan¬
zig Lebensjahre ſind mir entflohen, ſeit mich Unglückſelige
Paris gen Troja geführt hat, und nie in dieſer langen
Zeit hörte ich auch nur ein Wörtlein im Böſen von dir.
Zwar König Priamus war immer auch milde gegen mich,
wie ein Vater, aber wenn ein Anderer im Hauſe, Bruder
oder Schweſter des Gatten, Schwägerin oder Schwieger¬
mutter mich hart anließ, die beſänftigteſt du immer, und
dein freundliches Herz redete mir zu gut. In dir iſt mein
Tröſter und Freund geſtorben; mit Abſcheu werden ſich
jetzt Alle von mir abwenden!“

So ſprach ſie unter Thränen, und das zahllos ver¬
ſammelte Volk ſeufzete. Da rief Priamus über das Ge¬
dränge hin: „Jetzt, ihr Trojaner, bringet Holz für den
Scheiterhaufen zur Stadt her, und beſorget nicht, daß

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[314/0336] galt: deswegen wehklagen auch jetzt die Völker um ihn rings umher in der Burg. Unausſprechlichen Gram haſt du deinen Eltern bereitet, Hektor, endloſe Verzweiflung mir ſelbſt. Nicht von dem Sterbelager haſt du die Hand mir gereicht, nicht ein Abſchiedswort voll Weisheit mir zu¬ gerufen, deſſen ich Tag und Nacht unter Thränen der Wehmuth gedenken könnte!“ Nach Andromache erhub Hekuba, die Mutter, klagend ihre Stimme. „Hektor, o du mein Herzenskind, wie lieb wareſt du ſelbſt den Göttern, die deiner auch beim bitter¬ ſten Tode nicht vergeſſen haben. Mit dem Schwert ge¬ tödtet und geſchleift, ruheſt du doch ſo friſch in unſerm Hauſe, als hätte dich das linde Geſchoß Apollo's vom ſilbernen Bogen unverſehens hingeſtreckt.“ So ſprach ſie, ſich ſelber tröſtend, und vergoß eine Fluth von Thränen. Jetzt nahm auch Helena das Wort. „Hektor,“ klagte ſie, „du mir lieber als alle Gebrüder meines Mannes, zwan¬ zig Lebensjahre ſind mir entflohen, ſeit mich Unglückſelige Paris gen Troja geführt hat, und nie in dieſer langen Zeit hörte ich auch nur ein Wörtlein im Böſen von dir. Zwar König Priamus war immer auch milde gegen mich, wie ein Vater, aber wenn ein Anderer im Hauſe, Bruder oder Schweſter des Gatten, Schwägerin oder Schwieger¬ mutter mich hart anließ, die beſänftigteſt du immer, und dein freundliches Herz redete mir zu gut. In dir iſt mein Tröſter und Freund geſtorben; mit Abſcheu werden ſich jetzt Alle von mir abwenden!“ So ſprach ſie unter Thränen, und das zahllos ver¬ ſammelte Volk ſeufzete. Da rief Priamus über das Ge¬ dränge hin: „Jetzt, ihr Trojaner, bringet Holz für den Scheiterhaufen zur Stadt her, und beſorget nicht, daß

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/336>, abgerufen am 22.11.2024.