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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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König Priamus, der im Pallaste zurückblieb, hob
seine Hände gen Himmel und betete zu Jupiter: "Höre,
o Vater, und laß Achaja's Schaaren am heutigen Tage
vor der Tochter des Mars in den Staub sinken, sie selbst
aber glücklich in meinen Pallast zurückkehren. Thue es
deinem gewaltigen Sohne Mars zu Ehren; thu es ihr
selbst zu Liebe, die einem Gotte entstammt und euch un¬
sterblichen Göttern so ähnlich ist; thu' es auch um meinet¬
willen, der ich so vielfach gelitten, so viele schöne Söhne
unter den Händen der Griechen habe dahinsinken sehen!
Thu' es, so lange noch vom edeln Blute des Dardanus
etwas übrig bleibt und die alte Stadt Troja noch unzer¬
stört ist!" Kaum hatte er ausgebetet, so stürmte ihm zur
Linken ein kreischender Adler durch die Luft, der eine zer¬
rissene Taube in den Krallen hielt. Ein Schauer der
Furcht durchbebte das Gebein des Königes bei diesem Vor¬
zeichen, und die Hoffnung entsank seiner Brust.

Inzwischen sahen die Griechen in ihrem Schiffslager
die Trojaner, an deren Muthlosigkeit sie sich seit einigen
Tagen gewöhnt hatten, zu ihrem Staunen heranziehen,
wie reissende Thiere, die sich vom Gebirge herunter auf
Schafheerden stürzen. Einer sprach voll Verwunderung
zum Andern: "Wer hat doch wohl die Troer wieder ver¬
einigt, die seit Hektors Tode alle Lust verloren zu haben
schienen, uns je wieder zu bekämpfen? Das muß wohl
ein Gott seyn, der sich ihrer annimmt. Wohl! Sind wir
doch auch nicht ohne Götter; und haben wir sie bisher
bezwungen, so wird es uns auch heute gelingen!" So
warfen sie sich in die Waffen und strömten kampflustig
von den Schiffen heraus. Bald begann die blutige Schlacht,
Speer streckte sich gegen Speer, Harnisch stieß auf Harnisch,

König Priamus, der im Pallaſte zurückblieb, hob
ſeine Hände gen Himmel und betete zu Jupiter: „Höre,
o Vater, und laß Achaja's Schaaren am heutigen Tage
vor der Tochter des Mars in den Staub ſinken, ſie ſelbſt
aber glücklich in meinen Pallaſt zurückkehren. Thue es
deinem gewaltigen Sohne Mars zu Ehren; thu es ihr
ſelbſt zu Liebe, die einem Gotte entſtammt und euch un¬
ſterblichen Göttern ſo ähnlich iſt; thu' es auch um meinet¬
willen, der ich ſo vielfach gelitten, ſo viele ſchöne Söhne
unter den Händen der Griechen habe dahinſinken ſehen!
Thu' es, ſo lange noch vom edeln Blute des Dardanus
etwas übrig bleibt und die alte Stadt Troja noch unzer¬
ſtört iſt!“ Kaum hatte er ausgebetet, ſo ſtürmte ihm zur
Linken ein kreiſchender Adler durch die Luft, der eine zer¬
riſſene Taube in den Krallen hielt. Ein Schauer der
Furcht durchbebte das Gebein des Königes bei dieſem Vor¬
zeichen, und die Hoffnung entſank ſeiner Bruſt.

Inzwiſchen ſahen die Griechen in ihrem Schiffslager
die Trojaner, an deren Muthloſigkeit ſie ſich ſeit einigen
Tagen gewöhnt hatten, zu ihrem Staunen heranziehen,
wie reiſſende Thiere, die ſich vom Gebirge herunter auf
Schafheerden ſtürzen. Einer ſprach voll Verwunderung
zum Andern: „Wer hat doch wohl die Troer wieder ver¬
einigt, die ſeit Hektors Tode alle Luſt verloren zu haben
ſchienen, uns je wieder zu bekämpfen? Das muß wohl
ein Gott ſeyn, der ſich ihrer annimmt. Wohl! Sind wir
doch auch nicht ohne Götter; und haben wir ſie bisher
bezwungen, ſo wird es uns auch heute gelingen!“ So
warfen ſie ſich in die Waffen und ſtrömten kampfluſtig
von den Schiffen heraus. Bald begann die blutige Schlacht,
Speer ſtreckte ſich gegen Speer, Harniſch ſtieß auf Harniſch,

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[320/0342] König Priamus, der im Pallaſte zurückblieb, hob ſeine Hände gen Himmel und betete zu Jupiter: „Höre, o Vater, und laß Achaja's Schaaren am heutigen Tage vor der Tochter des Mars in den Staub ſinken, ſie ſelbſt aber glücklich in meinen Pallaſt zurückkehren. Thue es deinem gewaltigen Sohne Mars zu Ehren; thu es ihr ſelbſt zu Liebe, die einem Gotte entſtammt und euch un¬ ſterblichen Göttern ſo ähnlich iſt; thu' es auch um meinet¬ willen, der ich ſo vielfach gelitten, ſo viele ſchöne Söhne unter den Händen der Griechen habe dahinſinken ſehen! Thu' es, ſo lange noch vom edeln Blute des Dardanus etwas übrig bleibt und die alte Stadt Troja noch unzer¬ ſtört iſt!“ Kaum hatte er ausgebetet, ſo ſtürmte ihm zur Linken ein kreiſchender Adler durch die Luft, der eine zer¬ riſſene Taube in den Krallen hielt. Ein Schauer der Furcht durchbebte das Gebein des Königes bei dieſem Vor¬ zeichen, und die Hoffnung entſank ſeiner Bruſt. Inzwiſchen ſahen die Griechen in ihrem Schiffslager die Trojaner, an deren Muthloſigkeit ſie ſich ſeit einigen Tagen gewöhnt hatten, zu ihrem Staunen heranziehen, wie reiſſende Thiere, die ſich vom Gebirge herunter auf Schafheerden ſtürzen. Einer ſprach voll Verwunderung zum Andern: „Wer hat doch wohl die Troer wieder ver¬ einigt, die ſeit Hektors Tode alle Luſt verloren zu haben ſchienen, uns je wieder zu bekämpfen? Das muß wohl ein Gott ſeyn, der ſich ihrer annimmt. Wohl! Sind wir doch auch nicht ohne Götter; und haben wir ſie bisher bezwungen, ſo wird es uns auch heute gelingen!“ So warfen ſie ſich in die Waffen und ſtrömten kampfluſtig von den Schiffen heraus. Bald begann die blutige Schlacht, Speer ſtreckte ſich gegen Speer, Harniſch ſtieß auf Harniſch,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/342>, abgerufen am 21.11.2024.