Ajax aber saß in seinem Zelte, rührte kein Mahl an und dachte nicht an den Schlummer, vielmehr warf er sich in seine volle Rüstung, faßte sein schneidendes Schwert und besann sich, ob er den Odysseus in Stücke zerhauen, oder lieber die Schiffe verbrennen, oder mit der Schärfe des Schwertes unter alle Griechen fahren solle.
Und gewiß hätte er eins von den dreien ausgeführt, wenn nicht Athene, die Göttin, um ihren Freund Odysseus besorgt, und dem Trotze des Ajax und dem Uebermaße seines Leibes abhold, den Schlimmes brütenden Helden mit Wahnsinn geschlagen hätte. Den Stachel der Qual im Herzen, stürmte er aus seinem Zelte hervor und unter die Schafherden der Danaer, die er, von der Göttin ge¬ blendet, für die Heerschaaren der Griechen hielt. Die Schafhirten, die den Rasenden kommen sahen, versteckten sich, dem Tode zu entrinnen, in das Ufergebüsch des Xanthus. Er aber fuhr unter die Schafe und richtete rechts und links unter ihnen ein Gemetzel an. Zwei großen Widdern, auf die er stieß, rannte er nacheinander den Speer durch den Leib und rief dazu mit bitterem Hohn¬ lachen: "Lieget Ihr im Staub, den Raubvögeln zur Beute, ihr Hunde, ihr werdet keinen ungerechten Schiedsrichter¬ spruch mehr bestätigen, schändliche Atriden! Und du," fuhr er fort, "der du dich dort in der Ecke verbirgst, und aus bösem Gewissen deinen Kopf ins Gesträuche steckst, jetzt sollen dir die Waffen des Achilles, die du mir gestoh¬ len und in denen du prangest, nichts helfen, denn was nützt die Rüstung eines Helden, wenn ein feiger Mann sie trägt?" Mit diesen Worten ergriff er einen andern großen Hammel, schleppte ihn mit sich fort in sein Zelt, band ihn hier an den Thürpfosten, zog eine Geißel aus
Ajax aber ſaß in ſeinem Zelte, rührte kein Mahl an und dachte nicht an den Schlummer, vielmehr warf er ſich in ſeine volle Rüſtung, faßte ſein ſchneidendes Schwert und beſann ſich, ob er den Odyſſeus in Stücke zerhauen, oder lieber die Schiffe verbrennen, oder mit der Schärfe des Schwertes unter alle Griechen fahren ſolle.
Und gewiß hätte er eins von den dreien ausgeführt, wenn nicht Athene, die Göttin, um ihren Freund Odyſſeus beſorgt, und dem Trotze des Ajax und dem Uebermaße ſeines Leibes abhold, den Schlimmes brütenden Helden mit Wahnſinn geſchlagen hätte. Den Stachel der Qual im Herzen, ſtürmte er aus ſeinem Zelte hervor und unter die Schafherden der Danaer, die er, von der Göttin ge¬ blendet, für die Heerſchaaren der Griechen hielt. Die Schafhirten, die den Raſenden kommen ſahen, verſteckten ſich, dem Tode zu entrinnen, in das Ufergebüſch des Xanthus. Er aber fuhr unter die Schafe und richtete rechts und links unter ihnen ein Gemetzel an. Zwei großen Widdern, auf die er ſtieß, rannte er nacheinander den Speer durch den Leib und rief dazu mit bitterem Hohn¬ lachen: „Lieget Ihr im Staub, den Raubvögeln zur Beute, ihr Hunde, ihr werdet keinen ungerechten Schiedsrichter¬ ſpruch mehr beſtätigen, ſchändliche Atriden! Und du,“ fuhr er fort, „der du dich dort in der Ecke verbirgſt, und aus böſem Gewiſſen deinen Kopf ins Geſträuche ſteckſt, jetzt ſollen dir die Waffen des Achilles, die du mir geſtoh¬ len und in denen du prangeſt, nichts helfen, denn was nützt die Rüſtung eines Helden, wenn ein feiger Mann ſie trägt?“ Mit dieſen Worten ergriff er einen andern großen Hammel, ſchleppte ihn mit ſich fort in ſein Zelt, band ihn hier an den Thürpfoſten, zog eine Geißel aus
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Ajax aber ſaß in ſeinem Zelte, rührte kein Mahl an und
dachte nicht an den Schlummer, vielmehr warf er ſich in
ſeine volle Rüſtung, faßte ſein ſchneidendes Schwert und
beſann ſich, ob er den Odyſſeus in Stücke zerhauen, oder
lieber die Schiffe verbrennen, oder mit der Schärfe des
Schwertes unter alle Griechen fahren ſolle.
Und gewiß hätte er eins von den dreien ausgeführt,
wenn nicht Athene, die Göttin, um ihren Freund Odyſſeus
beſorgt, und dem Trotze des Ajax und dem Uebermaße
ſeines Leibes abhold, den Schlimmes brütenden Helden
mit Wahnſinn geſchlagen hätte. Den Stachel der Qual
im Herzen, ſtürmte er aus ſeinem Zelte hervor und unter
die Schafherden der Danaer, die er, von der Göttin ge¬
blendet, für die Heerſchaaren der Griechen hielt. Die
Schafhirten, die den Raſenden kommen ſahen, verſteckten
ſich, dem Tode zu entrinnen, in das Ufergebüſch des
Xanthus. Er aber fuhr unter die Schafe und richtete
rechts und links unter ihnen ein Gemetzel an. Zwei großen
Widdern, auf die er ſtieß, rannte er nacheinander den
Speer durch den Leib und rief dazu mit bitterem Hohn¬
lachen: „Lieget Ihr im Staub, den Raubvögeln zur Beute,
ihr Hunde, ihr werdet keinen ungerechten Schiedsrichter¬
ſpruch mehr beſtätigen, ſchändliche Atriden! Und du,“
fuhr er fort, „der du dich dort in der Ecke verbirgſt, und
aus böſem Gewiſſen deinen Kopf ins Geſträuche ſteckſt,
jetzt ſollen dir die Waffen des Achilles, die du mir geſtoh¬
len und in denen du prangeſt, nichts helfen, denn was
nützt die Rüſtung eines Helden, wenn ein feiger Mann
ſie trägt?“ Mit dieſen Worten ergriff er einen andern
großen Hammel, ſchleppte ihn mit ſich fort in ſein Zelt,
band ihn hier an den Thürpfoſten, zog eine Geißel aus
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/385>, abgerufen am 22.11.2024.
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