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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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wie ihr mich hier als Selbstmörder enden sehet, so lasset
jene meuchelmörderisch, durch ihr eigenes, liebstes Blut
dahingewürgt, fallen: kommet, schonet nichts, sättiget euch
in die Runde am ganzen Heer! Du aber, o Sonnengott,
der du leuchtend am hohen Himmel dahinfährst, wenn du
mit deinem Wagen über meinem Vaterlande Salamis
kreisest, so hemme die Zügel und verkünde meinem greisen
Vater und meiner armen Mutter mein herbes Schicksal.
Leb wohl, du heiliger Strahl, leb wohl Salamis, Hei¬
mathgefild; leb wohl mein Stammsitz Athen mit deinen
Flüssen und Quellen, lebt auch ihr wohl, ihr trojanischen
Gefilde, die ihr mich so lange gepflegt habt! Erscheine
du jetzt, o Tod, und wirf einen Blick des Mitleids auf
mich!" Mit solchen Worten stürzte er sich in das Schwert
und lag im Staube da, als hätte ihn der Blitz zer¬
schmettert.

Auf die Nachricht von seinem Tode eilten die Danaer
in Schaaren herbei, warfen sich zu Boden und streuten
jammernd Staub auf ihre Häupter. Teucer, sein Halb¬
bruder, dem der Vater Telamon befohlen hatte, nicht
ohne den Bruder von Troja heimzukehren, wollte sich an
seiner Seite auch den Tod geben, und hätte es gethan,
wenn die Griechen ihm das Schwert nicht genommen hät¬
ten. Dann warf er sich auf den Leichnam und weinte
heftiger, als ein vaterloses Kind an dem Tage weint, der
ihm seine Mutter geraubt hat. Doch faßte sich seine Hel¬
denseele, daß er sich von dem Leichnam emporraffte und
sich an Tekmessa wandte, die in starrer Verzweiflung bei
der Leiche saß, den Sohn, den ihr die Diener zurückgege¬
ben hatten, auf den Armen. Er versprach der Gefange¬
nen seinen Schutz, und dem Knaben, als zweiter Vater

wie ihr mich hier als Selbſtmörder enden ſehet, ſo laſſet
jene meuchelmörderiſch, durch ihr eigenes, liebſtes Blut
dahingewürgt, fallen: kommet, ſchonet nichts, ſättiget euch
in die Runde am ganzen Heer! Du aber, o Sonnengott,
der du leuchtend am hohen Himmel dahinfährſt, wenn du
mit deinem Wagen über meinem Vaterlande Salamis
kreiſeſt, ſo hemme die Zügel und verkünde meinem greiſen
Vater und meiner armen Mutter mein herbes Schickſal.
Leb wohl, du heiliger Strahl, leb wohl Salamis, Hei¬
mathgefild; leb wohl mein Stammſitz Athen mit deinen
Flüſſen und Quellen, lebt auch ihr wohl, ihr trojaniſchen
Gefilde, die ihr mich ſo lange gepflegt habt! Erſcheine
du jetzt, o Tod, und wirf einen Blick des Mitleids auf
mich!“ Mit ſolchen Worten ſtürzte er ſich in das Schwert
und lag im Staube da, als hätte ihn der Blitz zer¬
ſchmettert.

Auf die Nachricht von ſeinem Tode eilten die Danaer
in Schaaren herbei, warfen ſich zu Boden und ſtreuten
jammernd Staub auf ihre Häupter. Teucer, ſein Halb¬
bruder, dem der Vater Telamon befohlen hatte, nicht
ohne den Bruder von Troja heimzukehren, wollte ſich an
ſeiner Seite auch den Tod geben, und hätte es gethan,
wenn die Griechen ihm das Schwert nicht genommen hät¬
ten. Dann warf er ſich auf den Leichnam und weinte
heftiger, als ein vaterloſes Kind an dem Tage weint, der
ihm ſeine Mutter geraubt hat. Doch faßte ſich ſeine Hel¬
denſeele, daß er ſich von dem Leichnam emporraffte und
ſich an Tekmeſſa wandte, die in ſtarrer Verzweiflung bei
der Leiche ſaß, den Sohn, den ihr die Diener zurückgege¬
ben hatten, auf den Armen. Er verſprach der Gefange¬
nen ſeinen Schutz, und dem Knaben, als zweiter Vater

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[366/0388] wie ihr mich hier als Selbſtmörder enden ſehet, ſo laſſet jene meuchelmörderiſch, durch ihr eigenes, liebſtes Blut dahingewürgt, fallen: kommet, ſchonet nichts, ſättiget euch in die Runde am ganzen Heer! Du aber, o Sonnengott, der du leuchtend am hohen Himmel dahinfährſt, wenn du mit deinem Wagen über meinem Vaterlande Salamis kreiſeſt, ſo hemme die Zügel und verkünde meinem greiſen Vater und meiner armen Mutter mein herbes Schickſal. Leb wohl, du heiliger Strahl, leb wohl Salamis, Hei¬ mathgefild; leb wohl mein Stammſitz Athen mit deinen Flüſſen und Quellen, lebt auch ihr wohl, ihr trojaniſchen Gefilde, die ihr mich ſo lange gepflegt habt! Erſcheine du jetzt, o Tod, und wirf einen Blick des Mitleids auf mich!“ Mit ſolchen Worten ſtürzte er ſich in das Schwert und lag im Staube da, als hätte ihn der Blitz zer¬ ſchmettert. Auf die Nachricht von ſeinem Tode eilten die Danaer in Schaaren herbei, warfen ſich zu Boden und ſtreuten jammernd Staub auf ihre Häupter. Teucer, ſein Halb¬ bruder, dem der Vater Telamon befohlen hatte, nicht ohne den Bruder von Troja heimzukehren, wollte ſich an ſeiner Seite auch den Tod geben, und hätte es gethan, wenn die Griechen ihm das Schwert nicht genommen hät¬ ten. Dann warf er ſich auf den Leichnam und weinte heftiger, als ein vaterloſes Kind an dem Tage weint, der ihm ſeine Mutter geraubt hat. Doch faßte ſich ſeine Hel¬ denſeele, daß er ſich von dem Leichnam emporraffte und ſich an Tekmeſſa wandte, die in ſtarrer Verzweiflung bei der Leiche ſaß, den Sohn, den ihr die Diener zurückgege¬ ben hatten, auf den Armen. Er verſprach der Gefange¬ nen ſeinen Schutz, und dem Knaben, als zweiter Vater

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/388>, abgerufen am 22.11.2024.