Schlachtfelde, und die Danaer flohen aufs Neue zu den Schiffen, und fochten hier bald vor diesen, bald vor der weithin reichenden Mauer.
Neoptolemus.
Während dieß vor Troja geschah, kamen die Gesand¬ ten der Griechen, Diomedes und Odysseus, glücklich auf der Insel Scyros an. Hier trafen sie den jungen Sohn des Achilles, Pyrrhus, der später von den Griechen Neoptolemus, das heißt Jungkrieger genannt wurde, vor dem Hause des Großvaters, wie er sich abwechselnd im Pfeilschießen und Speerschleudern übte, dann auch wieder zu Wagen schnelle Rosse tummelte. Sie sahen ihm eine Weile mit Wohlgefallen zu und lasen mit inniger Theil¬ nahme auf seinem Antlitze zugleich die Spuren der Trauer: denn der Tod des Vaters war dem Jüngling schon be¬ kannt. Als sie näher traten, mußten sie staunen, denn der Jüngling war an schöner und hoher Gestalt ganz und gar seinem Vater ähnlich. Pyrrhus kam ihnen mit seinem Gruße zuvor: "Seyd mir von Herzen willkommen, Fremd¬ linge," sprach er. "Wer seyd ihr und woher kommt ihr? Was wollt ihr von mir?" Darauf erwiederte ihm Odys¬ seus: "Wir sind Freunde deines Vaters Achilles, und zweifeln nicht, daß wir zu seinem Sohne sprechen; so ganz ähnlich bist du ihm von Gestalt und Antlitz. Ich selbst bin Odysseus aus Ithaka, der Sohn des Laertes, mein Ge¬ nosse aber ist Diomedes, der Sohn des unsterblichen Ty¬ deus. Wir kommen der Weissagung unsers Sehers Kalchas
Schlachtfelde, und die Danaer flohen aufs Neue zu den Schiffen, und fochten hier bald vor dieſen, bald vor der weithin reichenden Mauer.
Neoptolemus.
Während dieß vor Troja geſchah, kamen die Geſand¬ ten der Griechen, Diomedes und Odyſſeus, glücklich auf der Inſel Scyros an. Hier trafen ſie den jungen Sohn des Achilles, Pyrrhus, der ſpäter von den Griechen Neoptolemus, das heißt Jungkrieger genannt wurde, vor dem Hauſe des Großvaters, wie er ſich abwechſelnd im Pfeilſchießen und Speerſchleudern übte, dann auch wieder zu Wagen ſchnelle Roſſe tummelte. Sie ſahen ihm eine Weile mit Wohlgefallen zu und laſen mit inniger Theil¬ nahme auf ſeinem Antlitze zugleich die Spuren der Trauer: denn der Tod des Vaters war dem Jüngling ſchon be¬ kannt. Als ſie näher traten, mußten ſie ſtaunen, denn der Jüngling war an ſchöner und hoher Geſtalt ganz und gar ſeinem Vater ähnlich. Pyrrhus kam ihnen mit ſeinem Gruße zuvor: „Seyd mir von Herzen willkommen, Fremd¬ linge,“ ſprach er. „Wer ſeyd ihr und woher kommt ihr? Was wollt ihr von mir?“ Darauf erwiederte ihm Odyſ¬ ſeus: „Wir ſind Freunde deines Vaters Achilles, und zweifeln nicht, daß wir zu ſeinem Sohne ſprechen; ſo ganz ähnlich biſt du ihm von Geſtalt und Antlitz. Ich ſelbſt bin Odyſſeus aus Ithaka, der Sohn des Laertes, mein Ge¬ noſſe aber iſt Diomedes, der Sohn des unſterblichen Ty¬ deus. Wir kommen der Weiſſagung unſers Sehers Kalchas
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0397"n="375"/>
Schlachtfelde, und die Danaer flohen aufs Neue zu den<lb/>
Schiffen, und fochten hier bald vor dieſen, bald vor der<lb/>
weithin reichenden Mauer.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><head><hirendition="#b">Neoptolemus.</hi><lb/></head><p>Während dieß vor Troja geſchah, kamen die Geſand¬<lb/>
ten der Griechen, Diomedes und Odyſſeus, glücklich auf<lb/>
der Inſel Scyros an. Hier trafen ſie den jungen Sohn<lb/>
des Achilles, Pyrrhus, der ſpäter von den Griechen<lb/>
Neoptolemus, das heißt Jungkrieger genannt wurde, vor<lb/>
dem Hauſe des Großvaters, wie er ſich abwechſelnd im<lb/>
Pfeilſchießen und Speerſchleudern übte, dann auch wieder<lb/>
zu Wagen ſchnelle Roſſe tummelte. Sie ſahen ihm eine<lb/>
Weile mit Wohlgefallen zu und laſen mit inniger Theil¬<lb/>
nahme auf ſeinem Antlitze zugleich die Spuren der Trauer:<lb/>
denn der Tod des Vaters war dem Jüngling ſchon be¬<lb/>
kannt. Als ſie näher traten, mußten ſie ſtaunen, denn<lb/>
der Jüngling war an ſchöner und hoher Geſtalt ganz und<lb/>
gar ſeinem Vater ähnlich. Pyrrhus kam ihnen mit ſeinem<lb/>
Gruße zuvor: „Seyd mir von Herzen willkommen, Fremd¬<lb/>
linge,“ſprach er. „Wer ſeyd ihr und woher kommt ihr?<lb/>
Was wollt ihr von mir?“ Darauf erwiederte ihm Odyſ¬<lb/>ſeus: „Wir ſind Freunde deines Vaters Achilles, und<lb/>
zweifeln nicht, daß wir zu ſeinem Sohne ſprechen; ſo ganz<lb/>
ähnlich biſt du ihm von Geſtalt und Antlitz. Ich ſelbſt bin<lb/>
Odyſſeus aus Ithaka, der Sohn des Laertes, mein Ge¬<lb/>
noſſe aber iſt Diomedes, der Sohn des unſterblichen Ty¬<lb/>
deus. Wir kommen der Weiſſagung unſers Sehers Kalchas<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[375/0397]
Schlachtfelde, und die Danaer flohen aufs Neue zu den
Schiffen, und fochten hier bald vor dieſen, bald vor der
weithin reichenden Mauer.
Neoptolemus.
Während dieß vor Troja geſchah, kamen die Geſand¬
ten der Griechen, Diomedes und Odyſſeus, glücklich auf
der Inſel Scyros an. Hier trafen ſie den jungen Sohn
des Achilles, Pyrrhus, der ſpäter von den Griechen
Neoptolemus, das heißt Jungkrieger genannt wurde, vor
dem Hauſe des Großvaters, wie er ſich abwechſelnd im
Pfeilſchießen und Speerſchleudern übte, dann auch wieder
zu Wagen ſchnelle Roſſe tummelte. Sie ſahen ihm eine
Weile mit Wohlgefallen zu und laſen mit inniger Theil¬
nahme auf ſeinem Antlitze zugleich die Spuren der Trauer:
denn der Tod des Vaters war dem Jüngling ſchon be¬
kannt. Als ſie näher traten, mußten ſie ſtaunen, denn
der Jüngling war an ſchöner und hoher Geſtalt ganz und
gar ſeinem Vater ähnlich. Pyrrhus kam ihnen mit ſeinem
Gruße zuvor: „Seyd mir von Herzen willkommen, Fremd¬
linge,“ ſprach er. „Wer ſeyd ihr und woher kommt ihr?
Was wollt ihr von mir?“ Darauf erwiederte ihm Odyſ¬
ſeus: „Wir ſind Freunde deines Vaters Achilles, und
zweifeln nicht, daß wir zu ſeinem Sohne ſprechen; ſo ganz
ähnlich biſt du ihm von Geſtalt und Antlitz. Ich ſelbſt bin
Odyſſeus aus Ithaka, der Sohn des Laertes, mein Ge¬
noſſe aber iſt Diomedes, der Sohn des unſterblichen Ty¬
deus. Wir kommen der Weiſſagung unſers Sehers Kalchas
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/397>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.