gehorsam, dich auf den Kampfplatz vor Troja abzuholen, damit wir den Krieg glücklich beendigen können. Die Söhne der Griechen werden dir herrliche Gaben verleihen, ich selbst will dir die unsterblichen Waffen deines Vaters, die mir zugesprochen worden sind, abtreten."
Freudig antwortete ihm Pyrrhus: "Wenn die Achiver mich rufen, der Stimme eines Gottes gehorsam, so laßt uns nur gleich morgen in die See stechen. Jetzt aber kommt mit mir in den Pallast meines Großvaters und zu seinem gastlichen Tische!" In dem Königshause angelangt, fanden sie die Wittwe des Achilles, Deidamia, noch in tiefer Herzensbetrübniß, dahinschmelzend in Thränen. Der Sohn trat zu ihr und meldete die Fremden, verbarg ihr aber bis zum andern Morgen den Grund, um sie nicht noch mehr zu bekümmern. Die Helden wurden satt und ergaben sich getrost dem Schlummer. Aber Deidamia schloß ihre Augen nicht zum Schlafe. Ihr kam nicht aus dem Sinne, wie dieselben Helden, die sie jetzt unter ihrem Dache beherbergen mußte, es verschuldet hatten, daß sie jetzt ihren Gemahl als Wittwe beweinte, indem sie ihm sein kampflustiges Herz beredeten, hinauszuziehen in den Krieg. Und nun ahnete ihr, daß auch ihr Sohn in denselben Sturm würde hinausgerissen werden. Deßwegen erhob sie sich mit dem frühesten Morgenlichte, warf sich dem Sohn an die mächtig gewölbte Brust und erfüllte die Luft mit Wehklage. "O mein Kind," rief sie, "ich weiß es, auch ohne daß du es mir gestehest: du willst mit den Fremden nach Troja, dem Sitze der Thränen, ziehen, wo so viele Helden und auch dein Vater untergegangen sind! Nun bist du aber so jung und aller Kriegswerke noch so unkundig! Darum höre auf mich, deine Mutter,
gehorſam, dich auf den Kampfplatz vor Troja abzuholen, damit wir den Krieg glücklich beendigen können. Die Söhne der Griechen werden dir herrliche Gaben verleihen, ich ſelbſt will dir die unſterblichen Waffen deines Vaters, die mir zugeſprochen worden ſind, abtreten.“
Freudig antwortete ihm Pyrrhus: „Wenn die Achiver mich rufen, der Stimme eines Gottes gehorſam, ſo laßt uns nur gleich morgen in die See ſtechen. Jetzt aber kommt mit mir in den Pallaſt meines Großvaters und zu ſeinem gaſtlichen Tiſche!“ In dem Königshauſe angelangt, fanden ſie die Wittwe des Achilles, Deidamia, noch in tiefer Herzensbetrübniß, dahinſchmelzend in Thränen. Der Sohn trat zu ihr und meldete die Fremden, verbarg ihr aber bis zum andern Morgen den Grund, um ſie nicht noch mehr zu bekümmern. Die Helden wurden ſatt und ergaben ſich getroſt dem Schlummer. Aber Deidamia ſchloß ihre Augen nicht zum Schlafe. Ihr kam nicht aus dem Sinne, wie dieſelben Helden, die ſie jetzt unter ihrem Dache beherbergen mußte, es verſchuldet hatten, daß ſie jetzt ihren Gemahl als Wittwe beweinte, indem ſie ihm ſein kampfluſtiges Herz beredeten, hinauszuziehen in den Krieg. Und nun ahnete ihr, daß auch ihr Sohn in denſelben Sturm würde hinausgeriſſen werden. Deßwegen erhob ſie ſich mit dem früheſten Morgenlichte, warf ſich dem Sohn an die mächtig gewölbte Bruſt und erfüllte die Luft mit Wehklage. „O mein Kind,“ rief ſie, „ich weiß es, auch ohne daß du es mir geſteheſt: du willſt mit den Fremden nach Troja, dem Sitze der Thränen, ziehen, wo ſo viele Helden und auch dein Vater untergegangen ſind! Nun biſt du aber ſo jung und aller Kriegswerke noch ſo unkundig! Darum höre auf mich, deine Mutter,
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gehorſam, dich auf den Kampfplatz vor Troja abzuholen,
damit wir den Krieg glücklich beendigen können. Die
Söhne der Griechen werden dir herrliche Gaben verleihen,
ich ſelbſt will dir die unſterblichen Waffen deines Vaters,
die mir zugeſprochen worden ſind, abtreten.“
Freudig antwortete ihm Pyrrhus: „Wenn die Achiver
mich rufen, der Stimme eines Gottes gehorſam, ſo laßt
uns nur gleich morgen in die See ſtechen. Jetzt aber
kommt mit mir in den Pallaſt meines Großvaters und zu
ſeinem gaſtlichen Tiſche!“ In dem Königshauſe angelangt,
fanden ſie die Wittwe des Achilles, Deidamia, noch in
tiefer Herzensbetrübniß, dahinſchmelzend in Thränen.
Der Sohn trat zu ihr und meldete die Fremden, verbarg
ihr aber bis zum andern Morgen den Grund, um ſie nicht
noch mehr zu bekümmern. Die Helden wurden ſatt und
ergaben ſich getroſt dem Schlummer. Aber Deidamia
ſchloß ihre Augen nicht zum Schlafe. Ihr kam nicht aus
dem Sinne, wie dieſelben Helden, die ſie jetzt unter ihrem
Dache beherbergen mußte, es verſchuldet hatten, daß ſie
jetzt ihren Gemahl als Wittwe beweinte, indem ſie ihm ſein
kampfluſtiges Herz beredeten, hinauszuziehen in den Krieg.
Und nun ahnete ihr, daß auch ihr Sohn in denſelben
Sturm würde hinausgeriſſen werden. Deßwegen erhob
ſie ſich mit dem früheſten Morgenlichte, warf ſich dem
Sohn an die mächtig gewölbte Bruſt und erfüllte die Luft
mit Wehklage. „O mein Kind,“ rief ſie, „ich weiß es,
auch ohne daß du es mir geſteheſt: du willſt mit den
Fremden nach Troja, dem Sitze der Thränen, ziehen,
wo ſo viele Helden und auch dein Vater untergegangen
ſind! Nun biſt du aber ſo jung und aller Kriegswerke
noch ſo unkundig! Darum höre auf mich, deine Mutter,
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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