Beide zogen die Schwerter, Philoktetes aber warf sich dem Sohne Achills zu Füßen. "Versprich mir, mich zu retten wie du willst: so sollen die Pfeile meines Freundes Herkules jeden Einfall von deinem Lande abwehren!" "Folge mir," sprach Neoptolemus, und hub den alten Helden vom Boden auf, "wir schiffen noch heute nach Phthia, in mein Heimathland."
Da verfinsterte sich die blaue Luft über den Häuptern der rechtenden Helden; ihre Blicke kehrten sich nach oben, und Philoktetes war der Erste, der seinen Freund, den vergötterten Herkules, in einer dunkeln Wolke schwebend, erblickte.
"Nicht weiter!" rief dieser mit einer hallenden Götter¬ stimme vom Himmel herab. "Höre, Freund Philoktetes, aus meinem Munde den Rathschluß Jupiters, und gehorche! Du weißt, durch welche Mühsal ich Unsterblichkeit gewann, auch dir ist vom Schicksale bestimmt, aus dieser Trübsal verherrlicht hervorzugehen. Mit diesem Jünglinge vor Troja erscheinend, wirst du vor allen Dingen von deiner Krankheit erlöst; dann haben dich die Götter erwählt, den Paris, den Urheber alles Leids, zu vertilgen; dann stürzest du Troja; das Herrlichste der ganzen Beute wird dein Antheil; beladen mit Schätzen fährst du zurück zu deinem Vater Pöas, der noch lebt. Hast du etwas übrig von der Beute, so opfere es auf dem Scheiterhaufen bei meinem Denkmale. Leb wohl!" Philoktetes streckte dem verschwindenden Freunde die Arme nach zum Himmel. "Wohlan," rief er," zu Schiff, ihr Helden, gib mir die Hand, edler Sohn des Achilles; und du, Odysseus, schreit' immerhin an meiner Seite: du hast gewollt, was die Götter wollen!"
Beide zogen die Schwerter, Philoktetes aber warf ſich dem Sohne Achills zu Füßen. „Verſprich mir, mich zu retten wie du willſt: ſo ſollen die Pfeile meines Freundes Herkules jeden Einfall von deinem Lande abwehren!“ „Folge mir,“ ſprach Neoptolemus, und hub den alten Helden vom Boden auf, „wir ſchiffen noch heute nach Phthia, in mein Heimathland.“
Da verfinſterte ſich die blaue Luft über den Häuptern der rechtenden Helden; ihre Blicke kehrten ſich nach oben, und Philoktetes war der Erſte, der ſeinen Freund, den vergötterten Herkules, in einer dunkeln Wolke ſchwebend, erblickte.
„Nicht weiter!“ rief dieſer mit einer hallenden Götter¬ ſtimme vom Himmel herab. „Höre, Freund Philoktetes, aus meinem Munde den Rathſchluß Jupiters, und gehorche! Du weißt, durch welche Mühſal ich Unſterblichkeit gewann, auch dir iſt vom Schickſale beſtimmt, aus dieſer Trübſal verherrlicht hervorzugehen. Mit dieſem Jünglinge vor Troja erſcheinend, wirſt du vor allen Dingen von deiner Krankheit erlöſt; dann haben dich die Götter erwählt, den Paris, den Urheber alles Leids, zu vertilgen; dann ſtürzeſt du Troja; das Herrlichſte der ganzen Beute wird dein Antheil; beladen mit Schätzen fährſt du zurück zu deinem Vater Pöas, der noch lebt. Haſt du etwas übrig von der Beute, ſo opfere es auf dem Scheiterhaufen bei meinem Denkmale. Leb wohl!“ Philoktetes ſtreckte dem verſchwindenden Freunde die Arme nach zum Himmel. „Wohlan,“ rief er,“ zu Schiff, ihr Helden, gib mir die Hand, edler Sohn des Achilles; und du, Odyſſeus, ſchreit' immerhin an meiner Seite: du haſt gewollt, was die Götter wollen!“
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Beide zogen die Schwerter, Philoktetes aber warf ſich
dem Sohne Achills zu Füßen. „Verſprich mir, mich zu
retten wie du willſt: ſo ſollen die Pfeile meines Freundes
Herkules jeden Einfall von deinem Lande abwehren!“
„Folge mir,“ ſprach Neoptolemus, und hub den alten
Helden vom Boden auf, „wir ſchiffen noch heute nach
Phthia, in mein Heimathland.“
Da verfinſterte ſich die blaue Luft über den Häuptern
der rechtenden Helden; ihre Blicke kehrten ſich nach oben,
und Philoktetes war der Erſte, der ſeinen Freund, den
vergötterten Herkules, in einer dunkeln Wolke ſchwebend,
erblickte.
„Nicht weiter!“ rief dieſer mit einer hallenden Götter¬
ſtimme vom Himmel herab. „Höre, Freund Philoktetes,
aus meinem Munde den Rathſchluß Jupiters, und gehorche!
Du weißt, durch welche Mühſal ich Unſterblichkeit gewann,
auch dir iſt vom Schickſale beſtimmt, aus dieſer Trübſal
verherrlicht hervorzugehen. Mit dieſem Jünglinge vor
Troja erſcheinend, wirſt du vor allen Dingen von deiner
Krankheit erlöſt; dann haben dich die Götter erwählt,
den Paris, den Urheber alles Leids, zu vertilgen; dann
ſtürzeſt du Troja; das Herrlichſte der ganzen Beute wird
dein Antheil; beladen mit Schätzen fährſt du zurück zu
deinem Vater Pöas, der noch lebt. Haſt du etwas übrig
von der Beute, ſo opfere es auf dem Scheiterhaufen bei
meinem Denkmale. Leb wohl!“ Philoktetes ſtreckte dem
verſchwindenden Freunde die Arme nach zum Himmel.
„Wohlan,“ rief er,“ zu Schiff, ihr Helden, gib mir die
Hand, edler Sohn des Achilles; und du, Odyſſeus, ſchreit'
immerhin an meiner Seite: du haſt gewollt, was die
Götter wollen!“
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/413>, abgerufen am 22.11.2024.
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