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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Aegispanzer an, in dessen Mitte das Gorgonenhaupt mit
den feurigen Schlangenhaaren starrte, und faßte eines der
Geschosse des Vaters, die zu ihren Füßen lagen, wie es
ausser dem großen Jupiter sonst kein Gott aufzuheben ver¬
mag. Dann ließ sie den Olymp von Donnerschlägen er¬
beben, goß Wolken rings um die Berge, und hüllte Meer
und Land in Finsterniß. Hierauf schickte sie ihre Botin Iris
zu Aeolus, dem Gott der Winde, hinab, da, wo in den
Abgründen der Erde die Höhle der Winde sich befindet, an
welche die Wohnung des Aeolus stößt. Die Botschafterin
Athene's traf den Fürsten der Stürme bei seiner Gemahlin
und seinen zwölf Kindern daheim; er vernahm den Befehl,
und gehorchte auf der Stelle. Mit rüstigen Händen stieß
er den großen Dreizack in den Berg ein, wo die Behau¬
sung der tosenden Winde ist, und riß den Hügel mit Ge¬
walt auf. Die Stürme stürzten, wie Jagdhunde, sogleich
aus der Oeffnung hervor; er aber befahl ihnen, sich sofort
zu einem einzigen, finstern Orkane zu vereinen, und nach
der Brandung der kapharischen Felsen zu fliegen, welche
die Küste von Euböa umlagern. Noch ehe sie vollständig das
Wort ihres Königes vernommen, machten sich die Winde
auf den Weg; die Meerfluth stöhnte unter ihnen; wie Berge
wälzten sich die Wogen einher, und den Argivern brach der
Muth im Herzen zusammen, als sie den Meerschwall thurm¬
hoch gegen sich anrücken sahen. Bald war nicht mehr an das
Rudern zu denken; die Segel hatte der Sturm zerrissen,
daß Fetzen herunter hingen; zuletzt erlahmte auch die Kraft
der Steuermänner; die finsterste Nacht brach ein, und mit
ihr verschwand jede Hoffnung der Rettung. Auch Poseidon
half seiner Bruderstochter Pallas, und diese raste ohne
Erbarmen vom Olymp mit Blitzen daher, die vom

Aegispanzer an, in deſſen Mitte das Gorgonenhaupt mit
den feurigen Schlangenhaaren ſtarrte, und faßte eines der
Geſchoſſe des Vaters, die zu ihren Füßen lagen, wie es
auſſer dem großen Jupiter ſonſt kein Gott aufzuheben ver¬
mag. Dann ließ ſie den Olymp von Donnerſchlägen er¬
beben, goß Wolken rings um die Berge, und hüllte Meer
und Land in Finſterniß. Hierauf ſchickte ſie ihre Botin Iris
zu Aeolus, dem Gott der Winde, hinab, da, wo in den
Abgründen der Erde die Höhle der Winde ſich befindet, an
welche die Wohnung des Aeolus ſtößt. Die Botſchafterin
Athene's traf den Fürſten der Stürme bei ſeiner Gemahlin
und ſeinen zwölf Kindern daheim; er vernahm den Befehl,
und gehorchte auf der Stelle. Mit rüſtigen Händen ſtieß
er den großen Dreizack in den Berg ein, wo die Behau¬
ſung der toſenden Winde iſt, und riß den Hügel mit Ge¬
walt auf. Die Stürme ſtürzten, wie Jagdhunde, ſogleich
aus der Oeffnung hervor; er aber befahl ihnen, ſich ſofort
zu einem einzigen, finſtern Orkane zu vereinen, und nach
der Brandung der kaphariſchen Felſen zu fliegen, welche
die Küſte von Euböa umlagern. Noch ehe ſie vollſtändig das
Wort ihres Königes vernommen, machten ſich die Winde
auf den Weg; die Meerfluth ſtöhnte unter ihnen; wie Berge
wälzten ſich die Wogen einher, und den Argivern brach der
Muth im Herzen zuſammen, als ſie den Meerſchwall thurm¬
hoch gegen ſich anrücken ſahen. Bald war nicht mehr an das
Rudern zu denken; die Segel hatte der Sturm zerriſſen,
daß Fetzen herunter hingen; zuletzt erlahmte auch die Kraft
der Steuermänner; die finſterſte Nacht brach ein, und mit
ihr verſchwand jede Hoffnung der Rettung. Auch Poſeidon
half ſeiner Bruderstochter Pallas, und dieſe raſte ohne
Erbarmen vom Olymp mit Blitzen daher, die vom

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[434/0456] Aegispanzer an, in deſſen Mitte das Gorgonenhaupt mit den feurigen Schlangenhaaren ſtarrte, und faßte eines der Geſchoſſe des Vaters, die zu ihren Füßen lagen, wie es auſſer dem großen Jupiter ſonſt kein Gott aufzuheben ver¬ mag. Dann ließ ſie den Olymp von Donnerſchlägen er¬ beben, goß Wolken rings um die Berge, und hüllte Meer und Land in Finſterniß. Hierauf ſchickte ſie ihre Botin Iris zu Aeolus, dem Gott der Winde, hinab, da, wo in den Abgründen der Erde die Höhle der Winde ſich befindet, an welche die Wohnung des Aeolus ſtößt. Die Botſchafterin Athene's traf den Fürſten der Stürme bei ſeiner Gemahlin und ſeinen zwölf Kindern daheim; er vernahm den Befehl, und gehorchte auf der Stelle. Mit rüſtigen Händen ſtieß er den großen Dreizack in den Berg ein, wo die Behau¬ ſung der toſenden Winde iſt, und riß den Hügel mit Ge¬ walt auf. Die Stürme ſtürzten, wie Jagdhunde, ſogleich aus der Oeffnung hervor; er aber befahl ihnen, ſich ſofort zu einem einzigen, finſtern Orkane zu vereinen, und nach der Brandung der kaphariſchen Felſen zu fliegen, welche die Küſte von Euböa umlagern. Noch ehe ſie vollſtändig das Wort ihres Königes vernommen, machten ſich die Winde auf den Weg; die Meerfluth ſtöhnte unter ihnen; wie Berge wälzten ſich die Wogen einher, und den Argivern brach der Muth im Herzen zuſammen, als ſie den Meerſchwall thurm¬ hoch gegen ſich anrücken ſahen. Bald war nicht mehr an das Rudern zu denken; die Segel hatte der Sturm zerriſſen, daß Fetzen herunter hingen; zuletzt erlahmte auch die Kraft der Steuermänner; die finſterſte Nacht brach ein, und mit ihr verſchwand jede Hoffnung der Rettung. Auch Poſeidon half ſeiner Bruderstochter Pallas, und dieſe raſte ohne Erbarmen vom Olymp mit Blitzen daher, die vom

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/456>, abgerufen am 24.11.2024.