krachendsten Donner begleitet waren. Wehklagen und Stöhnen scholl von den Schiffen; hier und dort borst das Gebälke eines Fahrzeuges, wenn es vom Sturme gewaltsam an ein stärkeres geschleudert worden war, und diejenigen, die dem Stoße herstürzender Schiffe durch Rudern zu entgehen versuchten, wurden vom Wind in die Tiefe ge¬ rissen. Endlich schleuderte Athene den schärfsten Donner¬ keil, den sie zu diesem Gebrauche besonders aufgespart hatte, in das Schiff des Ajax, daß es auf der Stelle hierhin und dorthin in Splitter sprang; Erde und Luft hallten von dem Knall, und die Wogen umkreisten das berstende Schiff. Schaarenweise stürzten aus diesem die Menschen in die Fluth und wurden von den Wellen ver¬ schluckt. Ajax selbst jedoch schwamm bald auf einem der Balken des Schiffes, die auf den Wellen hier und dort zerstreut daher fuhren: bald zertheilte sein nervigter Arm die Woge, die sich vor dem kräftigen Schwimmer spaltete; jetzt trug ihn eine mächtige Welle wie zum Gipfel eines himmelhochragenden Berges, jetzt schleuderte sie ihn wieder hinab in den tiefsten Abgrund. Von allen Seiten fuhr der Blitz neben ihm einschlagend und zischend in die Flu¬ then, aber noch war es Athene's Wille nicht, daß der Tod sich über ihn erbarme. Auch war sein Muth noch nicht erschöpft; er ergriff ein aus den Wellen hervorra¬ gendes Felsstück und vermaß sich, wenn auch alle olym¬ pische Götter herangezogen kämen, und die Fluthen gegen ihn aufreizten, so sollte ihm doch die Rettung nicht mi߬ lingen.
Diese Prahlerei hörte der Erderschütterer Neptunus, dessen Gottheit dem Ringenden am Nächsten war, mit Unwillen. Im heftigsten Zorn erschütterte er Meer und
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krachendſten Donner begleitet waren. Wehklagen und Stöhnen ſcholl von den Schiffen; hier und dort borſt das Gebälke eines Fahrzeuges, wenn es vom Sturme gewaltſam an ein ſtärkeres geſchleudert worden war, und diejenigen, die dem Stoße herſtürzender Schiffe durch Rudern zu entgehen verſuchten, wurden vom Wind in die Tiefe ge¬ riſſen. Endlich ſchleuderte Athene den ſchärfſten Donner¬ keil, den ſie zu dieſem Gebrauche beſonders aufgeſpart hatte, in das Schiff des Ajax, daß es auf der Stelle hierhin und dorthin in Splitter ſprang; Erde und Luft hallten von dem Knall, und die Wogen umkreiſten das berſtende Schiff. Schaarenweiſe ſtürzten aus dieſem die Menſchen in die Fluth und wurden von den Wellen ver¬ ſchluckt. Ajax ſelbſt jedoch ſchwamm bald auf einem der Balken des Schiffes, die auf den Wellen hier und dort zerſtreut daher fuhren: bald zertheilte ſein nervigter Arm die Woge, die ſich vor dem kräftigen Schwimmer ſpaltete; jetzt trug ihn eine mächtige Welle wie zum Gipfel eines himmelhochragenden Berges, jetzt ſchleuderte ſie ihn wieder hinab in den tiefſten Abgrund. Von allen Seiten fuhr der Blitz neben ihm einſchlagend und ziſchend in die Flu¬ then, aber noch war es Athene's Wille nicht, daß der Tod ſich über ihn erbarme. Auch war ſein Muth noch nicht erſchöpft; er ergriff ein aus den Wellen hervorra¬ gendes Felsſtück und vermaß ſich, wenn auch alle olym¬ piſche Götter herangezogen kämen, und die Fluthen gegen ihn aufreizten, ſo ſollte ihm doch die Rettung nicht mi߬ lingen.
Dieſe Prahlerei hörte der Erderſchütterer Neptunus, deſſen Gottheit dem Ringenden am Nächſten war, mit Unwillen. Im heftigſten Zorn erſchütterte er Meer und
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krachendſten Donner begleitet waren. Wehklagen und
Stöhnen ſcholl von den Schiffen; hier und dort borſt das
Gebälke eines Fahrzeuges, wenn es vom Sturme gewaltſam
an ein ſtärkeres geſchleudert worden war, und diejenigen,
die dem Stoße herſtürzender Schiffe durch Rudern zu
entgehen verſuchten, wurden vom Wind in die Tiefe ge¬
riſſen. Endlich ſchleuderte Athene den ſchärfſten Donner¬
keil, den ſie zu dieſem Gebrauche beſonders aufgeſpart
hatte, in das Schiff des Ajax, daß es auf der Stelle
hierhin und dorthin in Splitter ſprang; Erde und Luft
hallten von dem Knall, und die Wogen umkreiſten das
berſtende Schiff. Schaarenweiſe ſtürzten aus dieſem die
Menſchen in die Fluth und wurden von den Wellen ver¬
ſchluckt. Ajax ſelbſt jedoch ſchwamm bald auf einem der
Balken des Schiffes, die auf den Wellen hier und dort
zerſtreut daher fuhren: bald zertheilte ſein nervigter Arm
die Woge, die ſich vor dem kräftigen Schwimmer ſpaltete;
jetzt trug ihn eine mächtige Welle wie zum Gipfel eines
himmelhochragenden Berges, jetzt ſchleuderte ſie ihn wieder
hinab in den tiefſten Abgrund. Von allen Seiten fuhr
der Blitz neben ihm einſchlagend und ziſchend in die Flu¬
then, aber noch war es Athene's Wille nicht, daß der
Tod ſich über ihn erbarme. Auch war ſein Muth noch
nicht erſchöpft; er ergriff ein aus den Wellen hervorra¬
gendes Felsſtück und vermaß ſich, wenn auch alle olym¬
piſche Götter herangezogen kämen, und die Fluthen gegen
ihn aufreizten, ſo ſollte ihm doch die Rettung nicht mi߬
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Dieſe Prahlerei hörte der Erderſchütterer Neptunus,
deſſen Gottheit dem Ringenden am Nächſten war, mit
Unwillen. Im heftigſten Zorn erſchütterte er Meer und
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/457>, abgerufen am 24.11.2024.
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