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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Fürsten gebärdetest, wie gnädig du jedem Danaer die
Rechte schütteltest? Deine Thür war stets unverschlos¬
sen; Jedem, auch dem Untersten des Volkes, schenktest du
Zutritt, und alle diese Geschmeidigkeit bezweckte nichts
Anderes, als dir jene Würde zu verschaffen. Aber als
du nun Herr geworden warest, da war Alles bald anders;
da warst du nicht mehr deiner alten Freunde Freund, wie
vorher; zu Hause warst du schwer zu treffen, draussen bei
dem Heere zeigtest du dich nur selten. So sollte es ein
Ehrenmann nicht machen; er sollte am meisten dann sich
unveränderlich gegen seine Freunde zeigen, wenn er ihnen
am meisten nützen kann! Du hingegen, wie hast du dich
betragen? Als du mit dem Griechenheere nach Aulis
gekommen warest und, vom göttlichen Geschicke heimge¬
sucht, vergebens auf Fahrwind hofftest, und nun im Heere
rings der Ruf sich hören ließ: laßt uns davonsegeln und
nicht vergebens in Aulis uns abmühen! wie zerstört und
trostlos blickte da dein Auge umher, und wie wußtest du
mit sammt deinen Schiffen keinen Rath! Damals beriefst
du mich, und verlangtest nach einem Auswege, deine
schöne Feldherrnwürde nicht zu verlieren. Und als
hierauf der Seher Kalchas befahl, anstatt eines Opfers
der Artemis deine Tochter darzubringen, da gelob¬
test du nach kurzem Zuspruche freiwillig deines Kin¬
des Opferung, und schicktest Botschaft an dein Weib
Klytämnestra, deine Tochter, scheinbar als Braut des
Achilles, herzusenden. Und jetzt, o Schande, beugest du
doch wieder aus und verfassest eine neue Schrift, durch
welche du erklärst, des Kindes Mörder nicht werden zu
können? Aber freilich, tausend Andern ist es schon so
gegangen, wie dir. Rastlos, bis sie ans Ruder gelangt

Fürſten gebärdeteſt, wie gnädig du jedem Danaer die
Rechte ſchüttelteſt? Deine Thür war ſtets unverſchloſ¬
ſen; Jedem, auch dem Unterſten des Volkes, ſchenkteſt du
Zutritt, und alle dieſe Geſchmeidigkeit bezweckte nichts
Anderes, als dir jene Würde zu verſchaffen. Aber als
du nun Herr geworden wareſt, da war Alles bald anders;
da warſt du nicht mehr deiner alten Freunde Freund, wie
vorher; zu Hauſe warſt du ſchwer zu treffen, drauſſen bei
dem Heere zeigteſt du dich nur ſelten. So ſollte es ein
Ehrenmann nicht machen; er ſollte am meiſten dann ſich
unveränderlich gegen ſeine Freunde zeigen, wenn er ihnen
am meiſten nützen kann! Du hingegen, wie haſt du dich
betragen? Als du mit dem Griechenheere nach Aulis
gekommen wareſt und, vom göttlichen Geſchicke heimge¬
ſucht, vergebens auf Fahrwind hoffteſt, und nun im Heere
rings der Ruf ſich hören ließ: laßt uns davonſegeln und
nicht vergebens in Aulis uns abmühen! wie zerſtört und
troſtlos blickte da dein Auge umher, und wie wußteſt du
mit ſammt deinen Schiffen keinen Rath! Damals beriefſt
du mich, und verlangteſt nach einem Auswege, deine
ſchöne Feldherrnwürde nicht zu verlieren. Und als
hierauf der Seher Kalchas befahl, anſtatt eines Opfers
der Artemis deine Tochter darzubringen, da gelob¬
teſt du nach kurzem Zuſpruche freiwillig deines Kin¬
des Opferung, und ſchickteſt Botſchaft an dein Weib
Klytämneſtra, deine Tochter, ſcheinbar als Braut des
Achilles, herzuſenden. Und jetzt, o Schande, beugeſt du
doch wieder aus und verfaſſeſt eine neue Schrift, durch
welche du erklärſt, des Kindes Mörder nicht werden zu
können? Aber freilich, tauſend Andern iſt es ſchon ſo
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[32/0054] Fürſten gebärdeteſt, wie gnädig du jedem Danaer die Rechte ſchüttelteſt? Deine Thür war ſtets unverſchloſ¬ ſen; Jedem, auch dem Unterſten des Volkes, ſchenkteſt du Zutritt, und alle dieſe Geſchmeidigkeit bezweckte nichts Anderes, als dir jene Würde zu verſchaffen. Aber als du nun Herr geworden wareſt, da war Alles bald anders; da warſt du nicht mehr deiner alten Freunde Freund, wie vorher; zu Hauſe warſt du ſchwer zu treffen, drauſſen bei dem Heere zeigteſt du dich nur ſelten. So ſollte es ein Ehrenmann nicht machen; er ſollte am meiſten dann ſich unveränderlich gegen ſeine Freunde zeigen, wenn er ihnen am meiſten nützen kann! Du hingegen, wie haſt du dich betragen? Als du mit dem Griechenheere nach Aulis gekommen wareſt und, vom göttlichen Geſchicke heimge¬ ſucht, vergebens auf Fahrwind hoffteſt, und nun im Heere rings der Ruf ſich hören ließ: laßt uns davonſegeln und nicht vergebens in Aulis uns abmühen! wie zerſtört und troſtlos blickte da dein Auge umher, und wie wußteſt du mit ſammt deinen Schiffen keinen Rath! Damals beriefſt du mich, und verlangteſt nach einem Auswege, deine ſchöne Feldherrnwürde nicht zu verlieren. Und als hierauf der Seher Kalchas befahl, anſtatt eines Opfers der Artemis deine Tochter darzubringen, da gelob¬ teſt du nach kurzem Zuſpruche freiwillig deines Kin¬ des Opferung, und ſchickteſt Botſchaft an dein Weib Klytämneſtra, deine Tochter, ſcheinbar als Braut des Achilles, herzuſenden. Und jetzt, o Schande, beugeſt du doch wieder aus und verfaſſeſt eine neue Schrift, durch welche du erklärſt, des Kindes Mörder nicht werden zu können? Aber freilich, tauſend Andern iſt es ſchon ſo gegangen, wie dir. Raſtlos, bis ſie ans Ruder gelangt

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/54>, abgerufen am 22.11.2024.