eingebrochen; erlaube jetzt, o lieber Greis, meinem jun¬ gen Freunde, dich in deinen Pallast zu begleiten und dort zu ruhen. Ich selbst will nach unsrem Schiffe sehen, und meine Genossen ermuntern, alles Nöthige anzuordnen. Dann will ich mein Nachtlager auch daselbst nehmen. Am andern Morgen fahre ich dann zum Volk der Kau¬ konen, wo ich eine Schuld einzufordern habe. Meinen Freund Telemach aber sende du selbst" -- Nestor hatte dieß so angeboten -- "mit deinem Sohne auf einem wohlgezimmerten Wagen, mit deinen leichtfüßigsten Rossen bespannt, nach Sparta."
So sprach Minerva, und siehe da, pötzlich ver¬ wandelte sie sich in einen Adler und flog empor zum Himmel. Alle sahen ihr staunend nach, Nestor ergriff den Jüngling Telemachus bei der Hand und sprach: "du darfst nicht verzagen und nicht trostlos werden, mein Lieber, da schon in deiner Jugend beschirmende Götter dich begleiten! Denn kein Anderer war dein Ge¬ nosse als Jupiters Tochter, Athene, die auch deinen tapfern Vater vor allen andern Argivern immer besonders geehrt hat!" Dann richtete der Greis ein frommes Gebet an die Göttin, gelobte ihr ein jähriges Rind am andern Morgen zu opfern, und führte mit Söhnen und Eidamen seinen Gast zur Nachtruhe nach Pylos in den Königs¬ palast. Hier wurde noch einmal ein Trankopfer dar¬ gebracht und ein Umtrunk gethan. Alsdann begab sich ein jeder zur Ruhe. Telemach erhielt seine Lagerstatt in einem zierlichen Bettgestelle unter der hohen Halle des Hauses und neben ihm legte sich der tapfere Pisi¬ stratus, Nestors Sohn, zur Ruhe.
Kaum schimmerte die Morgenröthe in den Palast,
eingebrochen; erlaube jetzt, o lieber Greis, meinem jun¬ gen Freunde, dich in deinen Pallaſt zu begleiten und dort zu ruhen. Ich ſelbſt will nach unſrem Schiffe ſehen, und meine Genoſſen ermuntern, alles Nöthige anzuordnen. Dann will ich mein Nachtlager auch daſelbſt nehmen. Am andern Morgen fahre ich dann zum Volk der Kau¬ konen, wo ich eine Schuld einzufordern habe. Meinen Freund Telemach aber ſende du ſelbſt“ — Neſtor hatte dieß ſo angeboten — „mit deinem Sohne auf einem wohlgezimmerten Wagen, mit deinen leichtfüßigſten Roſſen beſpannt, nach Sparta.“
So ſprach Minerva, und ſiehe da, pötzlich ver¬ wandelte ſie ſich in einen Adler und flog empor zum Himmel. Alle ſahen ihr ſtaunend nach, Neſtor ergriff den Jüngling Telemachus bei der Hand und ſprach: „du darfſt nicht verzagen und nicht troſtlos werden, mein Lieber, da ſchon in deiner Jugend beſchirmende Götter dich begleiten! Denn kein Anderer war dein Ge¬ noſſe als Jupiters Tochter, Athene, die auch deinen tapfern Vater vor allen andern Argivern immer beſonders geehrt hat!“ Dann richtete der Greis ein frommes Gebet an die Göttin, gelobte ihr ein jähriges Rind am andern Morgen zu opfern, und führte mit Söhnen und Eidamen ſeinen Gaſt zur Nachtruhe nach Pylos in den Königs¬ palaſt. Hier wurde noch einmal ein Trankopfer dar¬ gebracht und ein Umtrunk gethan. Alsdann begab ſich ein jeder zur Ruhe. Telemach erhielt ſeine Lagerſtatt in einem zierlichen Bettgeſtelle unter der hohen Halle des Hauſes und neben ihm legte ſich der tapfere Piſi¬ ſtratus, Neſtors Sohn, zur Ruhe.
Kaum ſchimmerte die Morgenröthe in den Palaſt,
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eingebrochen; erlaube jetzt, o lieber Greis, meinem jun¬
gen Freunde, dich in deinen Pallaſt zu begleiten und
dort zu ruhen. Ich ſelbſt will nach unſrem Schiffe ſehen,
und meine Genoſſen ermuntern, alles Nöthige anzuordnen.
Dann will ich mein Nachtlager auch daſelbſt nehmen.
Am andern Morgen fahre ich dann zum Volk der Kau¬
konen, wo ich eine Schuld einzufordern habe. Meinen
Freund Telemach aber ſende du ſelbſt“ — Neſtor hatte
dieß ſo angeboten — „mit deinem Sohne auf einem
wohlgezimmerten Wagen, mit deinen leichtfüßigſten Roſſen
beſpannt, nach Sparta.“
So ſprach Minerva, und ſiehe da, pötzlich ver¬
wandelte ſie ſich in einen Adler und flog empor zum
Himmel. Alle ſahen ihr ſtaunend nach, Neſtor ergriff
den Jüngling Telemachus bei der Hand und ſprach:
„du darfſt nicht verzagen und nicht troſtlos werden,
mein Lieber, da ſchon in deiner Jugend beſchirmende
Götter dich begleiten! Denn kein Anderer war dein Ge¬
noſſe als Jupiters Tochter, Athene, die auch deinen
tapfern Vater vor allen andern Argivern immer beſonders
geehrt hat!“ Dann richtete der Greis ein frommes Gebet
an die Göttin, gelobte ihr ein jähriges Rind am andern
Morgen zu opfern, und führte mit Söhnen und Eidamen
ſeinen Gaſt zur Nachtruhe nach Pylos in den Königs¬
palaſt. Hier wurde noch einmal ein Trankopfer dar¬
gebracht und ein Umtrunk gethan. Alsdann begab ſich
ein jeder zur Ruhe. Telemach erhielt ſeine Lagerſtatt
in einem zierlichen Bettgeſtelle unter der hohen Halle
des Hauſes und neben ihm legte ſich der tapfere Piſi¬
ſtratus, Neſtors Sohn, zur Ruhe.
Kaum ſchimmerte die Morgenröthe in den Palaſt,
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/106>, abgerufen am 25.11.2024.
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