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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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und als Hunger und Durst gestillt waren, begann der greise
Nestor das freundliche Gespräch, und forschte nach dem
Geschlecht und der Absicht der Fremden. Telemach beant¬
wortete ihm Beides, und als er auf seinen Vater Odysseus
reden gekommen war, sprach er mit Seufzen: "Verge¬
bens suchten wir bisher sein Schicksal zu erkunden. Wir
wissen nicht, kam er auf dem Festlande von Feinden um,
oder hat ihn die Brandung des Meeres verschlungen.
Darum flehe ich dich, mir seinen traurigen Tod zu ver¬
kündigen, magst du nun Augenzeuge gewesen seyn, oder
ihn nur von einem Wanderer vernommen haben. Schone
mich nicht aus Mitleid, sondern erzähle mir nur Alles
getreulich!"

"Lieber Jüngling," antwortete Nestor, "weil du
jener Zeit der Trübsal gedenkst, so höre Alles, wie es
ergangen." Der Alte holte dann nach Greisensitte weit
aus, meldete von dem Tode der größten Helden noch
unter Iliums Mauern selbst, von dem Hader der beiden
Atriden, endlich von seiner eigenen Rückfahrt; aber von
Odysseus wußte er so wenig als der fragende Telemach
selbst. Dagegen erzählte er ihm weitläufig den Tod Aga¬
memnons zu Mycene und die Rache des Orestes. End¬
lich rieth er ihm nach Sparta zum Fürsten Menelaus
zu gehen, der erst neulich von fern entlegenen Menschen,
an deren Küste ihn der Sturm verschleudert, zurückgekehrt
sey. Da dieser am längsten unter allen Griechenhelden auf
der Fahrt gewesen, sey es auch am ehesten glaublich,
daß er irgendwo etwas von dem Geschicke des Odysseus
vernommen.

Athene billigte als Mentor den Vorschlag und er¬
wiederte hierauf: "der Abend ist unter unsern Gesprächen

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und als Hunger und Durſt geſtillt waren, begann der greiſe
Neſtor das freundliche Geſpräch, und forſchte nach dem
Geſchlecht und der Abſicht der Fremden. Telemach beant¬
wortete ihm Beides, und als er auf ſeinen Vater Odyſſeus
reden gekommen war, ſprach er mit Seufzen: „Verge¬
bens ſuchten wir bisher ſein Schickſal zu erkunden. Wir
wiſſen nicht, kam er auf dem Feſtlande von Feinden um,
oder hat ihn die Brandung des Meeres verſchlungen.
Darum flehe ich dich, mir ſeinen traurigen Tod zu ver¬
kündigen, magſt du nun Augenzeuge geweſen ſeyn, oder
ihn nur von einem Wanderer vernommen haben. Schone
mich nicht aus Mitleid, ſondern erzähle mir nur Alles
getreulich!“

„Lieber Jüngling,“ antwortete Neſtor, „weil du
jener Zeit der Trübſal gedenkſt, ſo höre Alles, wie es
ergangen.“ Der Alte holte dann nach Greiſenſitte weit
aus, meldete von dem Tode der größten Helden noch
unter Iliums Mauern ſelbſt, von dem Hader der beiden
Atriden, endlich von ſeiner eigenen Rückfahrt; aber von
Odyſſeus wußte er ſo wenig als der fragende Telemach
ſelbſt. Dagegen erzählte er ihm weitläufig den Tod Aga¬
memnons zu Mycene und die Rache des Oreſtes. End¬
lich rieth er ihm nach Sparta zum Fürſten Menelaus
zu gehen, der erſt neulich von fern entlegenen Menſchen,
an deren Küſte ihn der Sturm verſchleudert, zurückgekehrt
ſey. Da dieſer am längſten unter allen Griechenhelden auf
der Fahrt geweſen, ſey es auch am eheſten glaublich,
daß er irgendwo etwas von dem Geſchicke des Odyſſeus
vernommen.

Athene billigte als Mentor den Vorſchlag und er¬
wiederte hierauf: „der Abend iſt unter unſern Geſprächen

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[83/0105] und als Hunger und Durſt geſtillt waren, begann der greiſe Neſtor das freundliche Geſpräch, und forſchte nach dem Geſchlecht und der Abſicht der Fremden. Telemach beant¬ wortete ihm Beides, und als er auf ſeinen Vater Odyſſeus reden gekommen war, ſprach er mit Seufzen: „Verge¬ bens ſuchten wir bisher ſein Schickſal zu erkunden. Wir wiſſen nicht, kam er auf dem Feſtlande von Feinden um, oder hat ihn die Brandung des Meeres verſchlungen. Darum flehe ich dich, mir ſeinen traurigen Tod zu ver¬ kündigen, magſt du nun Augenzeuge geweſen ſeyn, oder ihn nur von einem Wanderer vernommen haben. Schone mich nicht aus Mitleid, ſondern erzähle mir nur Alles getreulich!“ „Lieber Jüngling,“ antwortete Neſtor, „weil du jener Zeit der Trübſal gedenkſt, ſo höre Alles, wie es ergangen.“ Der Alte holte dann nach Greiſenſitte weit aus, meldete von dem Tode der größten Helden noch unter Iliums Mauern ſelbſt, von dem Hader der beiden Atriden, endlich von ſeiner eigenen Rückfahrt; aber von Odyſſeus wußte er ſo wenig als der fragende Telemach ſelbſt. Dagegen erzählte er ihm weitläufig den Tod Aga¬ memnons zu Mycene und die Rache des Oreſtes. End¬ lich rieth er ihm nach Sparta zum Fürſten Menelaus zu gehen, der erſt neulich von fern entlegenen Menſchen, an deren Küſte ihn der Sturm verſchleudert, zurückgekehrt ſey. Da dieſer am längſten unter allen Griechenhelden auf der Fahrt geweſen, ſey es auch am eheſten glaublich, daß er irgendwo etwas von dem Geſchicke des Odyſſeus vernommen. Athene billigte als Mentor den Vorſchlag und er¬ wiederte hierauf: „der Abend iſt unter unſern Geſprächen 6*

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/105>, abgerufen am 25.11.2024.