ihm doch noch nicht an Jugendstärke!" -- "Du hast recht," sprach jetzt Euryalus, "darum gehe hin, o Fürst, und fordre ihn selbst zum Wettstreite auf!" Laodamas that dieses mit freundlichen, höflichen Worten.
Doch Odysseus erwiederte: "Verlanget ihr das von mir, mich zu kränken, ihr Jünglinge? Die Trübsal nagt an mir, und keine Lust zum Wettkampfe bewegt mein Herz! Ich habe genug gestrebt und erduldet, und jetzt verlangt mich nach nichts Anderem, als nach der Heimkehr in mein Vaterland!" Laodamas antwortete ihm unwillig: "Fürwahr, Fremdling, du gebärdest dich nicht wie ein Mann, der sich aufs Kämpfen versteht; du magst wohl ein Schiffshauptmann und zugleich Kaufherr seyn, so ein Waarenmäkler; als ein Held erscheinst du nicht." Odysseus runzelte bei diesem Worte die Stirne und sprach: "Das ist keine feine Rede, mein Freund, und du erscheinst als ein recht trotziger Junge. Verleihen doch die Göt¬ ter nicht einem und demselben Manne die Gaben der Schönheit und Anmuth und das Geschenk der Beredt¬ samkeit und der Weisheit; mancher ist von unansehnli¬ cher Gestalt, aber seinen Worten ist ein Reiz verliehen, daß alle, die sie hören, davon entzückt werden; und auch ein Solcher ragt in der Volksversammlung hervor, und man ehrt ihn, wie einen Unsterblichen. Dagegen sieht oft einer aus, wie ein Gott, und an seinen Worten ist wenig Witz. Dennoch bin ich kein Neuling im Wett¬ kampfe, und als ich meiner Jugend und meinem Arme noch vertrauen konnte, nahm ich es mit den Tüchtigsten auf. Jetzt haben mich Schlachten und Stürme freilich heruntergebracht. Doch, du hast mich herausgefordert, und ich wills auch so versuchen!"
ihm doch noch nicht an Jugendſtärke!“ — „Du haſt recht,“ ſprach jetzt Euryalus, „darum gehe hin, o Fürſt, und fordre ihn ſelbſt zum Wettſtreite auf!“ Laodamas that dieſes mit freundlichen, höflichen Worten.
Doch Odyſſeus erwiederte: „Verlanget ihr das von mir, mich zu kränken, ihr Jünglinge? Die Trübſal nagt an mir, und keine Luſt zum Wettkampfe bewegt mein Herz! Ich habe genug geſtrebt und erduldet, und jetzt verlangt mich nach nichts Anderem, als nach der Heimkehr in mein Vaterland!“ Laodamas antwortete ihm unwillig: „Fürwahr, Fremdling, du gebärdeſt dich nicht wie ein Mann, der ſich aufs Kämpfen verſteht; du magſt wohl ein Schiffshauptmann und zugleich Kaufherr ſeyn, ſo ein Waarenmäkler; als ein Held erſcheinſt du nicht.“ Odyſſeus runzelte bei dieſem Worte die Stirne und ſprach: „Das iſt keine feine Rede, mein Freund, und du erſcheinſt als ein recht trotziger Junge. Verleihen doch die Göt¬ ter nicht einem und demſelben Manne die Gaben der Schönheit und Anmuth und das Geſchenk der Beredt¬ ſamkeit und der Weisheit; mancher iſt von unanſehnli¬ cher Geſtalt, aber ſeinen Worten iſt ein Reiz verliehen, daß alle, die ſie hören, davon entzückt werden; und auch ein Solcher ragt in der Volksverſammlung hervor, und man ehrt ihn, wie einen Unſterblichen. Dagegen ſieht oft einer aus, wie ein Gott, und an ſeinen Worten iſt wenig Witz. Dennoch bin ich kein Neuling im Wett¬ kampfe, und als ich meiner Jugend und meinem Arme noch vertrauen konnte, nahm ich es mit den Tüchtigſten auf. Jetzt haben mich Schlachten und Stürme freilich heruntergebracht. Doch, du haſt mich herausgefordert, und ich wills auch ſo verſuchen!“
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ihm doch noch nicht an Jugendſtärke!“ — „Du haſt
recht,“ ſprach jetzt Euryalus, „darum gehe hin, o Fürſt,
und fordre ihn ſelbſt zum Wettſtreite auf!“ Laodamas
that dieſes mit freundlichen, höflichen Worten.
Doch Odyſſeus erwiederte: „Verlanget ihr das von
mir, mich zu kränken, ihr Jünglinge? Die Trübſal
nagt an mir, und keine Luſt zum Wettkampfe bewegt
mein Herz! Ich habe genug geſtrebt und erduldet, und
jetzt verlangt mich nach nichts Anderem, als nach der
Heimkehr in mein Vaterland!“ Laodamas antwortete ihm
unwillig: „Fürwahr, Fremdling, du gebärdeſt dich nicht
wie ein Mann, der ſich aufs Kämpfen verſteht; du magſt
wohl ein Schiffshauptmann und zugleich Kaufherr ſeyn,
ſo ein Waarenmäkler; als ein Held erſcheinſt du nicht.“
Odyſſeus runzelte bei dieſem Worte die Stirne und ſprach:
„Das iſt keine feine Rede, mein Freund, und du erſcheinſt
als ein recht trotziger Junge. Verleihen doch die Göt¬
ter nicht einem und demſelben Manne die Gaben der
Schönheit und Anmuth und das Geſchenk der Beredt¬
ſamkeit und der Weisheit; mancher iſt von unanſehnli¬
cher Geſtalt, aber ſeinen Worten iſt ein Reiz verliehen,
daß alle, die ſie hören, davon entzückt werden; und auch
ein Solcher ragt in der Volksverſammlung hervor, und
man ehrt ihn, wie einen Unſterblichen. Dagegen ſieht
oft einer aus, wie ein Gott, und an ſeinen Worten iſt
wenig Witz. Dennoch bin ich kein Neuling im Wett¬
kampfe, und als ich meiner Jugend und meinem Arme
noch vertrauen konnte, nahm ich es mit den Tüchtigſten
auf. Jetzt haben mich Schlachten und Stürme freilich
heruntergebracht. Doch, du haſt mich herausgefordert,
und ich wills auch ſo verſuchen!“
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/138>, abgerufen am 24.11.2024.
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