etwas, oder schickte es auch, wie ihr bald hören werdet, ein Gott zu unsern Gunsten so. Uebrigens fügte er, wie bisher, den Stein wieder in die Oeffnung, that Alles wie sonst, und fraß auch zwei aus unserer Mitte. In¬ zwischen hatte ich eine hölzerne Kanne mit dem dunkeln Wein aus meinem Schlauche gefüllt, näherte mich dem Ungeheuer und sprach: "Da, nimm Cyklop, und trink! auf Menschenfleisch schmeckt der Wein vortrefflich. Du sollst auch erfahren, was für ein köstliches Getränk wir auf unserem Schiffe führten. Ich brachte ihn mit, um ihn dir zu spenden, wenn du Erbarmen mit uns trügest und uns heim ließest. Aber du bist ja ein ganz entsetz¬ licher Wüthrich; wie mag dich künftig ein anderer Mensch besuchen! Nein, du bist nicht billig mit uns verfahren!"
Der Cyklop nahm die Kanne ohne ein Wort zu verlieren und leerte sie mit durstigen Zügen; man sah ihm das Entzücken an, in welches ihn die Süssigkeit und Kraft des Trankes versetzte. Als er fertig war, sprach er zum erstenmale freundlich: "Fremdling, gieb mir noch eins zu trinken; und sage mir auch, wie du heißest, da¬ mit ich dich auf der Stelle mit einem Gastgeschenk er¬ freuen kann. Denn auch wir haben Wein hier zu Lande, wir Cyklopen. Damit du aber auch erfahrest, wen du vor dir hast, so wisse: Polyphemus ist mein Name." So sprach der Cyklop, und gerne gab ich ihm von Neuem zu trinken. Ja, dreimal schenkte ich ihm die Kanne voll, und dreimal lehrte er sie in der Dummheit. Als ihm der Wein die Besinnung zu umnebeln anfing, sprach ich schlauer Weise: "Meinen Namen willst du wissen, Cy¬ klop? Ich habe einen seltsamen Namen. Ich heiße der Niemand; alle Welt nennt mich Niemand, Mutter,
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etwas, oder ſchickte es auch, wie ihr bald hören werdet, ein Gott zu unſern Gunſten ſo. Uebrigens fügte er, wie bisher, den Stein wieder in die Oeffnung, that Alles wie ſonſt, und fraß auch zwei aus unſerer Mitte. In¬ zwiſchen hatte ich eine hölzerne Kanne mit dem dunkeln Wein aus meinem Schlauche gefüllt, näherte mich dem Ungeheuer und ſprach: „Da, nimm Cyklop, und trink! auf Menſchenfleiſch ſchmeckt der Wein vortrefflich. Du ſollſt auch erfahren, was für ein köſtliches Getränk wir auf unſerem Schiffe führten. Ich brachte ihn mit, um ihn dir zu ſpenden, wenn du Erbarmen mit uns trügeſt und uns heim ließeſt. Aber du biſt ja ein ganz entſetz¬ licher Wüthrich; wie mag dich künftig ein anderer Menſch beſuchen! Nein, du biſt nicht billig mit uns verfahren!“
Der Cyklop nahm die Kanne ohne ein Wort zu verlieren und leerte ſie mit durſtigen Zügen; man ſah ihm das Entzücken an, in welches ihn die Süſſigkeit und Kraft des Trankes verſetzte. Als er fertig war, ſprach er zum erſtenmale freundlich: „Fremdling, gieb mir noch eins zu trinken; und ſage mir auch, wie du heißeſt, da¬ mit ich dich auf der Stelle mit einem Gaſtgeſchenk er¬ freuen kann. Denn auch wir haben Wein hier zu Lande, wir Cyklopen. Damit du aber auch erfahreſt, wen du vor dir haſt, ſo wiſſe: Polyphemus iſt mein Name.“ So ſprach der Cyklop, und gerne gab ich ihm von Neuem zu trinken. Ja, dreimal ſchenkte ich ihm die Kanne voll, und dreimal lehrte er ſie in der Dummheit. Als ihm der Wein die Beſinnung zu umnebeln anfing, ſprach ich ſchlauer Weiſe: „Meinen Namen willſt du wiſſen, Cy¬ klop? Ich habe einen ſeltſamen Namen. Ich heiße der Niemand; alle Welt nennt mich Niemand, Mutter,
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etwas, oder ſchickte es auch, wie ihr bald hören werdet,
ein Gott zu unſern Gunſten ſo. Uebrigens fügte er, wie
bisher, den Stein wieder in die Oeffnung, that Alles
wie ſonſt, und fraß auch zwei aus unſerer Mitte. In¬
zwiſchen hatte ich eine hölzerne Kanne mit dem dunkeln
Wein aus meinem Schlauche gefüllt, näherte mich dem
Ungeheuer und ſprach: „Da, nimm Cyklop, und trink!
auf Menſchenfleiſch ſchmeckt der Wein vortrefflich. Du
ſollſt auch erfahren, was für ein köſtliches Getränk wir
auf unſerem Schiffe führten. Ich brachte ihn mit, um
ihn dir zu ſpenden, wenn du Erbarmen mit uns trügeſt
und uns heim ließeſt. Aber du biſt ja ein ganz entſetz¬
licher Wüthrich; wie mag dich künftig ein anderer Menſch
beſuchen! Nein, du biſt nicht billig mit uns verfahren!“
Der Cyklop nahm die Kanne ohne ein Wort zu
verlieren und leerte ſie mit durſtigen Zügen; man ſah
ihm das Entzücken an, in welches ihn die Süſſigkeit und
Kraft des Trankes verſetzte. Als er fertig war, ſprach
er zum erſtenmale freundlich: „Fremdling, gieb mir noch
eins zu trinken; und ſage mir auch, wie du heißeſt, da¬
mit ich dich auf der Stelle mit einem Gaſtgeſchenk er¬
freuen kann. Denn auch wir haben Wein hier zu Lande,
wir Cyklopen. Damit du aber auch erfahreſt, wen du
vor dir haſt, ſo wiſſe: Polyphemus iſt mein Name.“
So ſprach der Cyklop, und gerne gab ich ihm von Neuem
zu trinken. Ja, dreimal ſchenkte ich ihm die Kanne voll,
und dreimal lehrte er ſie in der Dummheit. Als ihm
der Wein die Beſinnung zu umnebeln anfing, ſprach ich
ſchlauer Weiſe: „Meinen Namen willſt du wiſſen, Cy¬
klop? Ich habe einen ſeltſamen Namen. Ich heiße der
Niemand; alle Welt nennt mich Niemand, Mutter,
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/153>, abgerufen am 25.11.2024.
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