Eutern in den Ställen. Ihr geplagter Herr betastete jedem Widder, der hinausging, sorgfältig den Rücken, ob kein Flüchtling darauf sitze; an den Bauch und meine List dachte er in seiner Dummheit nicht. Nun wandelte auch mein Bock langsam zur Felsenpforte, schwerbeladen mit Wolle, noch schwerer mit mir, der ich unter allerlei Ge¬ danken mich dahintragen ließ. Auch ihn streichelte Po¬ lyphemus und sprach: "Gutes Widderchen, was trabst du so langsam hinter der übrigen Heerde aus der Höhle heraus? Du leidest ja sonst nicht, daß andere Schafe dir vorangehen; du bist sonst immer der erste bei den Wiesblumen und am Bach, und Abends der allererste wieder im Stalle? Betrübt dich das ausgebrannte Auge deines Herrn? Ja, hättest du Gedanken und Sprache, wie ich, gewiß, du sagtest mir, in welchem Winkel sich der Frevler mit seinem Gesindel verbirgt: dann sollte mir sein Gehirn von der Höhlenwand spritzen, und mein Herz wieder froh werden vom Leide, das der Niemand über mich gebracht!"
So sprach der Cyklop und ließ den Widder auch hinausgehen. Und nun waren wir alle draußen. So wie wir ein wenig von der Felskluft entfernt waren, machte ich mich zuerst von meinem Bocke los, und löste dann auch meine Freunde ab. Wir waren unsrer leider nur noch sieben, umarmten uns mit herzlicher Freude und jammerten um die Verlorenen. Doch winkte ich ihnen, daß keiner laut weinen, sondern daß sie mit den geraubten Widdern sich schnell nach unsern Schiffen mit mir aufmachen sollten. Erst als wir wieder auf unsern Ruderbänken saßen und durch die Wogen dahin schifften, auf einen Heroldsruf vom Ufer entfernt, schrie ich dem
Eutern in den Ställen. Ihr geplagter Herr betaſtete jedem Widder, der hinausging, ſorgfältig den Rücken, ob kein Flüchtling darauf ſitze; an den Bauch und meine Liſt dachte er in ſeiner Dummheit nicht. Nun wandelte auch mein Bock langſam zur Felſenpforte, ſchwerbeladen mit Wolle, noch ſchwerer mit mir, der ich unter allerlei Ge¬ danken mich dahintragen ließ. Auch ihn ſtreichelte Po¬ lyphemus und ſprach: „Gutes Widderchen, was trabſt du ſo langſam hinter der übrigen Heerde aus der Höhle heraus? Du leideſt ja ſonſt nicht, daß andere Schafe dir vorangehen; du biſt ſonſt immer der erſte bei den Wiesblumen und am Bach, und Abends der allererſte wieder im Stalle? Betrübt dich das ausgebrannte Auge deines Herrn? Ja, hätteſt du Gedanken und Sprache, wie ich, gewiß, du ſagteſt mir, in welchem Winkel ſich der Frevler mit ſeinem Geſindel verbirgt: dann ſollte mir ſein Gehirn von der Höhlenwand ſpritzen, und mein Herz wieder froh werden vom Leide, das der Niemand über mich gebracht!“
So ſprach der Cyklop und ließ den Widder auch hinausgehen. Und nun waren wir alle draußen. So wie wir ein wenig von der Felskluft entfernt waren, machte ich mich zuerſt von meinem Bocke los, und löste dann auch meine Freunde ab. Wir waren unſrer leider nur noch ſieben, umarmten uns mit herzlicher Freude und jammerten um die Verlorenen. Doch winkte ich ihnen, daß keiner laut weinen, ſondern daß ſie mit den geraubten Widdern ſich ſchnell nach unſern Schiffen mit mir aufmachen ſollten. Erſt als wir wieder auf unſern Ruderbänken ſaßen und durch die Wogen dahin ſchifften, auf einen Heroldsruf vom Ufer entfernt, ſchrie ich dem
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Eutern in den Ställen. Ihr geplagter Herr betaſtete
jedem Widder, der hinausging, ſorgfältig den Rücken, ob
kein Flüchtling darauf ſitze; an den Bauch und meine Liſt
dachte er in ſeiner Dummheit nicht. Nun wandelte auch
mein Bock langſam zur Felſenpforte, ſchwerbeladen mit
Wolle, noch ſchwerer mit mir, der ich unter allerlei Ge¬
danken mich dahintragen ließ. Auch ihn ſtreichelte Po¬
lyphemus und ſprach: „Gutes Widderchen, was trabſt
du ſo langſam hinter der übrigen Heerde aus der Höhle
heraus? Du leideſt ja ſonſt nicht, daß andere Schafe
dir vorangehen; du biſt ſonſt immer der erſte bei den
Wiesblumen und am Bach, und Abends der allererſte
wieder im Stalle? Betrübt dich das ausgebrannte Auge
deines Herrn? Ja, hätteſt du Gedanken und Sprache,
wie ich, gewiß, du ſagteſt mir, in welchem Winkel ſich
der Frevler mit ſeinem Geſindel verbirgt: dann ſollte
mir ſein Gehirn von der Höhlenwand ſpritzen, und mein
Herz wieder froh werden vom Leide, das der Niemand
über mich gebracht!“
So ſprach der Cyklop und ließ den Widder auch
hinausgehen. Und nun waren wir alle draußen. So
wie wir ein wenig von der Felskluft entfernt waren,
machte ich mich zuerſt von meinem Bocke los, und löste
dann auch meine Freunde ab. Wir waren unſrer leider
nur noch ſieben, umarmten uns mit herzlicher Freude
und jammerten um die Verlorenen. Doch winkte ich
ihnen, daß keiner laut weinen, ſondern daß ſie mit den
geraubten Widdern ſich ſchnell nach unſern Schiffen mit
mir aufmachen ſollten. Erſt als wir wieder auf unſern
Ruderbänken ſaßen und durch die Wogen dahin ſchifften,
auf einen Heroldsruf vom Ufer entfernt, ſchrie ich dem
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/156>, abgerufen am 22.11.2024.
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