Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Anker, und lagerten uns, müde von der Anstrengung,
voll Verdruß und Betrübniß, im Ufergrase. Am dritten
Morgen machte ich mich, mit Schwert und Lanze be¬
wehrt, auf, das Land auszukundschaften. Endlich ward
ich einen Rauch gewahr, und dieser stieg aus Circe's
Palast auf. Doch ging ich nicht sogleich auf die Spur
los, sondern durch frühere Gefahren gewitzigt kehrte
ich erst zu meinen Freunden zurück und sandte Späher
aus. Wir hatten auch alle schon lange keine genügende
Nahrung zu uns genommen. Da erbarmte sich auf
meinem Rückwege der Götter einer über uns, und schickte
mir einen Hirsch mit hohem Geweih in den Weg, der
durstig aus dem Walde zum Bache hinunter in raschen
Sätzen stürzte. Ich erschoß ihn im Laufe, indem ich ihn
mit meiner Lanze mitten in den Rückgrat traf, daß sie
unten am Bauche wieder hervordrang. Dann zog ich die
Lanze, mit dem Fuß auf das Thier gestemmt, aus der
Wunde, machte mir ein Seil von Weidenruthen, band
es dem Wild um die Füße und trug es so um den Nacken
gehängt zu dem Schiffe, indem ich mich, bei der unge¬
wohnten Last, unter dem Gehen auf meine Lanze stützen
mußte.

Meine Begleiter fuhren freudig empor, als sie die schöne
Waldbeute auf meinen Schultern erblickten. Geschwind
wurde das Thier geschlachtet, und ein Festschmaus an¬
gestellt, indem man, was von Brod und Wein zu fin¬
den war, auf dem Schiffe zusammensuchte. Nun meldete
ich ihnen von dem Rauche, den ich entdeckt hatte. Aber
meine Freunde wurden ganz muthlos, denn alle mußten
an die Höhle des Cyklopen und den Hafen des Lästry¬
gonenköniges denken, wo uns die Hoffnung beidemal

Anker, und lagerten uns, müde von der Anſtrengung,
voll Verdruß und Betrübniß, im Ufergraſe. Am dritten
Morgen machte ich mich, mit Schwert und Lanze be¬
wehrt, auf, das Land auszukundſchaften. Endlich ward
ich einen Rauch gewahr, und dieſer ſtieg aus Circe's
Palaſt auf. Doch ging ich nicht ſogleich auf die Spur
los, ſondern durch frühere Gefahren gewitzigt kehrte
ich erſt zu meinen Freunden zurück und ſandte Späher
aus. Wir hatten auch alle ſchon lange keine genügende
Nahrung zu uns genommen. Da erbarmte ſich auf
meinem Rückwege der Götter einer über uns, und ſchickte
mir einen Hirſch mit hohem Geweih in den Weg, der
durſtig aus dem Walde zum Bache hinunter in raſchen
Sätzen ſtürzte. Ich erſchoß ihn im Laufe, indem ich ihn
mit meiner Lanze mitten in den Rückgrat traf, daß ſie
unten am Bauche wieder hervordrang. Dann zog ich die
Lanze, mit dem Fuß auf das Thier geſtemmt, aus der
Wunde, machte mir ein Seil von Weidenruthen, band
es dem Wild um die Füße und trug es ſo um den Nacken
gehängt zu dem Schiffe, indem ich mich, bei der unge¬
wohnten Laſt, unter dem Gehen auf meine Lanze ſtützen
mußte.

Meine Begleiter fuhren freudig empor, als ſie die ſchöne
Waldbeute auf meinen Schultern erblickten. Geſchwind
wurde das Thier geſchlachtet, und ein Feſtſchmaus an¬
geſtellt, indem man, was von Brod und Wein zu fin¬
den war, auf dem Schiffe zuſammenſuchte. Nun meldete
ich ihnen von dem Rauche, den ich entdeckt hatte. Aber
meine Freunde wurden ganz muthlos, denn alle mußten
an die Höhle des Cyklopen und den Hafen des Läſtry¬
gonenköniges denken, wo uns die Hoffnung beidemal

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0164" n="142"/>
Anker, und lagerten uns, müde von der An&#x017F;trengung,<lb/>
voll Verdruß und Betrübniß, im Ufergra&#x017F;e. Am dritten<lb/>
Morgen machte ich mich, mit Schwert und Lanze be¬<lb/>
wehrt, auf, das Land auszukund&#x017F;chaften. Endlich ward<lb/>
ich einen Rauch gewahr, und die&#x017F;er &#x017F;tieg aus Circe's<lb/>
Pala&#x017F;t auf. Doch ging ich nicht &#x017F;ogleich auf die Spur<lb/>
los, &#x017F;ondern durch frühere Gefahren gewitzigt kehrte<lb/>
ich er&#x017F;t zu meinen Freunden zurück und &#x017F;andte Späher<lb/>
aus. Wir hatten auch alle &#x017F;chon lange keine genügende<lb/>
Nahrung zu uns genommen. Da erbarmte &#x017F;ich auf<lb/>
meinem Rückwege der Götter einer über uns, und &#x017F;chickte<lb/>
mir einen Hir&#x017F;ch mit hohem Geweih in den Weg, der<lb/>
dur&#x017F;tig aus dem Walde zum Bache hinunter in ra&#x017F;chen<lb/>
Sätzen &#x017F;türzte. Ich er&#x017F;choß ihn im Laufe, indem ich ihn<lb/>
mit meiner Lanze mitten in den Rückgrat traf, daß &#x017F;ie<lb/>
unten am Bauche wieder hervordrang. Dann zog ich die<lb/>
Lanze, mit dem Fuß auf das Thier ge&#x017F;temmt, aus der<lb/>
Wunde, machte mir ein Seil von Weidenruthen, band<lb/>
es dem Wild um die Füße und trug es &#x017F;o um den Nacken<lb/>
gehängt zu dem Schiffe, indem ich mich, bei der unge¬<lb/>
wohnten La&#x017F;t, unter dem Gehen auf meine Lanze &#x017F;tützen<lb/>
mußte.</p><lb/>
              <p>Meine Begleiter fuhren freudig empor, als &#x017F;ie die &#x017F;chöne<lb/>
Waldbeute auf meinen Schultern erblickten. Ge&#x017F;chwind<lb/>
wurde das Thier ge&#x017F;chlachtet, und ein Fe&#x017F;t&#x017F;chmaus an¬<lb/>
ge&#x017F;tellt, indem man, was von Brod und Wein zu fin¬<lb/>
den war, auf dem Schiffe zu&#x017F;ammen&#x017F;uchte. Nun meldete<lb/>
ich ihnen von dem Rauche, den ich entdeckt hatte. Aber<lb/>
meine Freunde wurden ganz muthlos, denn alle mußten<lb/>
an die Höhle des Cyklopen und den Hafen des Lä&#x017F;try¬<lb/>
gonenköniges denken, wo uns die Hoffnung beidemal<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0164] Anker, und lagerten uns, müde von der Anſtrengung, voll Verdruß und Betrübniß, im Ufergraſe. Am dritten Morgen machte ich mich, mit Schwert und Lanze be¬ wehrt, auf, das Land auszukundſchaften. Endlich ward ich einen Rauch gewahr, und dieſer ſtieg aus Circe's Palaſt auf. Doch ging ich nicht ſogleich auf die Spur los, ſondern durch frühere Gefahren gewitzigt kehrte ich erſt zu meinen Freunden zurück und ſandte Späher aus. Wir hatten auch alle ſchon lange keine genügende Nahrung zu uns genommen. Da erbarmte ſich auf meinem Rückwege der Götter einer über uns, und ſchickte mir einen Hirſch mit hohem Geweih in den Weg, der durſtig aus dem Walde zum Bache hinunter in raſchen Sätzen ſtürzte. Ich erſchoß ihn im Laufe, indem ich ihn mit meiner Lanze mitten in den Rückgrat traf, daß ſie unten am Bauche wieder hervordrang. Dann zog ich die Lanze, mit dem Fuß auf das Thier geſtemmt, aus der Wunde, machte mir ein Seil von Weidenruthen, band es dem Wild um die Füße und trug es ſo um den Nacken gehängt zu dem Schiffe, indem ich mich, bei der unge¬ wohnten Laſt, unter dem Gehen auf meine Lanze ſtützen mußte. Meine Begleiter fuhren freudig empor, als ſie die ſchöne Waldbeute auf meinen Schultern erblickten. Geſchwind wurde das Thier geſchlachtet, und ein Feſtſchmaus an¬ geſtellt, indem man, was von Brod und Wein zu fin¬ den war, auf dem Schiffe zuſammenſuchte. Nun meldete ich ihnen von dem Rauche, den ich entdeckt hatte. Aber meine Freunde wurden ganz muthlos, denn alle mußten an die Höhle des Cyklopen und den Hafen des Läſtry¬ gonenköniges denken, wo uns die Hoffnung beidemal

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/164
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/164>, abgerufen am 29.04.2024.