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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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so grausam irre geführt hatte. Ich allein blieb muthig
unter ihren Thränen. Ich theilte alle meine Genossen,
so viel ihrer mir geblieben waren, in zwei Schaaren
und gab der einen mich selbst, der andern den Eurylo¬
chus zu Anführern. Dann schüttelten wir Loose in einem
ehernen Helme. Das Loos traf den Eurylochus, und
er mußte sich sofort mit zweiundzwanzig Genossen, die
ihm nur unter Seufzern folgten, auf den Weg machen,
nach der Seite, von welcher ich den Rauch hatte auf¬
steigen sehen.

Diese Schaar fand bald den herrlich aus behauenen
Steinen aufgeführten Palast der Göttin Circe in einem
anmuthigen Thale der Insel versteckt. Wie staunten aber
meine Genossen, als sie in der Umzäunung des Hofes
und vor der Pforte des Wohnhauses Wölfe mit spitzigem
Gebiß und Löwen mit zottigen Mähnen umherwandeln
sahen. Voll Angst erblickten sie die gräßlichen Ungeheuer
und dachten schon darauf, wie sie sich aus dem unheim¬
lichen Orte durch die schleunigste Flucht retten möchten.
Aber schon waren sie umringt von den wilden Thieren.
Diese thaten ihnen jedoch nichts zu leide, stürzten auch
nicht, wie solche Bestien pflegen, mit einem Satze auf
sie zu, sondern sie näherten sich ihnen langsam und schmei¬
chelnd, und trugen ihre langen Schweife wedelnd auf¬
gerichtet, wie Hunde, wenn sie dem Herrn entgegen
gehen, der ihnen gute Bissen von einem Schmause mit¬
bringt. Es waren dieß, wie wir nachher erfuhren, lauter
durch die Zauberkünste Circe's verwandelte Menschen.

Da die Thiere ihnen nichts anhatten, faßten meine
Freunde wieder Muth und näherten sich der Pforte des
Palastes. Aus diesem hörten sie die wohlklingende Stimme

ſo grauſam irre geführt hatte. Ich allein blieb muthig
unter ihren Thränen. Ich theilte alle meine Genoſſen,
ſo viel ihrer mir geblieben waren, in zwei Schaaren
und gab der einen mich ſelbſt, der andern den Eurylo¬
chus zu Anführern. Dann ſchüttelten wir Looſe in einem
ehernen Helme. Das Loos traf den Eurylochus, und
er mußte ſich ſofort mit zweiundzwanzig Genoſſen, die
ihm nur unter Seufzern folgten, auf den Weg machen,
nach der Seite, von welcher ich den Rauch hatte auf¬
ſteigen ſehen.

Dieſe Schaar fand bald den herrlich aus behauenen
Steinen aufgeführten Palaſt der Göttin Circe in einem
anmuthigen Thale der Inſel verſteckt. Wie ſtaunten aber
meine Genoſſen, als ſie in der Umzäunung des Hofes
und vor der Pforte des Wohnhauſes Wölfe mit ſpitzigem
Gebiß und Löwen mit zottigen Mähnen umherwandeln
ſahen. Voll Angſt erblickten ſie die gräßlichen Ungeheuer
und dachten ſchon darauf, wie ſie ſich aus dem unheim¬
lichen Orte durch die ſchleunigſte Flucht retten möchten.
Aber ſchon waren ſie umringt von den wilden Thieren.
Dieſe thaten ihnen jedoch nichts zu leide, ſtürzten auch
nicht, wie ſolche Beſtien pflegen, mit einem Satze auf
ſie zu, ſondern ſie näherten ſich ihnen langſam und ſchmei¬
chelnd, und trugen ihre langen Schweife wedelnd auf¬
gerichtet, wie Hunde, wenn ſie dem Herrn entgegen
gehen, der ihnen gute Biſſen von einem Schmauſe mit¬
bringt. Es waren dieß, wie wir nachher erfuhren, lauter
durch die Zauberkünſte Circe's verwandelte Menſchen.

Da die Thiere ihnen nichts anhatten, faßten meine
Freunde wieder Muth und näherten ſich der Pforte des
Palaſtes. Aus dieſem hörten ſie die wohlklingende Stimme

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[143/0165] ſo grauſam irre geführt hatte. Ich allein blieb muthig unter ihren Thränen. Ich theilte alle meine Genoſſen, ſo viel ihrer mir geblieben waren, in zwei Schaaren und gab der einen mich ſelbſt, der andern den Eurylo¬ chus zu Anführern. Dann ſchüttelten wir Looſe in einem ehernen Helme. Das Loos traf den Eurylochus, und er mußte ſich ſofort mit zweiundzwanzig Genoſſen, die ihm nur unter Seufzern folgten, auf den Weg machen, nach der Seite, von welcher ich den Rauch hatte auf¬ ſteigen ſehen. Dieſe Schaar fand bald den herrlich aus behauenen Steinen aufgeführten Palaſt der Göttin Circe in einem anmuthigen Thale der Inſel verſteckt. Wie ſtaunten aber meine Genoſſen, als ſie in der Umzäunung des Hofes und vor der Pforte des Wohnhauſes Wölfe mit ſpitzigem Gebiß und Löwen mit zottigen Mähnen umherwandeln ſahen. Voll Angſt erblickten ſie die gräßlichen Ungeheuer und dachten ſchon darauf, wie ſie ſich aus dem unheim¬ lichen Orte durch die ſchleunigſte Flucht retten möchten. Aber ſchon waren ſie umringt von den wilden Thieren. Dieſe thaten ihnen jedoch nichts zu leide, ſtürzten auch nicht, wie ſolche Beſtien pflegen, mit einem Satze auf ſie zu, ſondern ſie näherten ſich ihnen langſam und ſchmei¬ chelnd, und trugen ihre langen Schweife wedelnd auf¬ gerichtet, wie Hunde, wenn ſie dem Herrn entgegen gehen, der ihnen gute Biſſen von einem Schmauſe mit¬ bringt. Es waren dieß, wie wir nachher erfuhren, lauter durch die Zauberkünſte Circe's verwandelte Menſchen. Da die Thiere ihnen nichts anhatten, faßten meine Freunde wieder Muth und näherten ſich der Pforte des Palaſtes. Aus dieſem hörten ſie die wohlklingende Stimme

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/165>, abgerufen am 29.04.2024.