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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Circe's, die eine vortreffliche Sängerin war, erschallen.
Sie sang zu ihrer Arbeit; denn sie saß eben über dem
Gewebe eines großen wundervollen Gewandes, wie es
nur Göttinnen zu wirken verstehen. Der erste, der einen
Blick in den Palast geworfen hatte und sich dieses An¬
blicks erfreute, war der Held Polites, der mir besonders
befreundet war. Auf seinen Rath riefen unsre Freunde
die Bewohnerin heraus, und sie erschien auch wirklich
freundlich an der Pforte und nöthigte alle Angekomme¬
nen herein, mit Ausnahme ihres Führers Eurylochus,
der ein besonnener Mann war, und, durch die früheren
Vorfälle gewarnt, irgend einen Betrug witterte.

Die Andern führte Circe gar holdselig in ihren
Palast ein und hieß sie auf hohen, schmucken Sesseln
Platz nehmen. Alsdann brachte man Käse, Mehl, Honig
und süßen pramnischen Wein herbei, woraus ein Gericht
köstlicher Kuchen von Circe geknetet wurde; während
dieser Arbeit aber mischte sie unvermerkt unheilbringende
Säfte unter den Teig, welche die Armen von Sinnen
bringen und sie ihres Vaterlandes vergessen machen sollten.
Und wirklich wurden sie alle mit einander, so wie sie
von der verführerischen Speise gekostet hatten, in borstige
Schweine verwandelt, fingen an zu grunzen, und wur¬
den von der Zauberin sammt und sonders in die Kofen
getrieben. Hier ließ ihnen Circe statt der köstlichen
Bissen Steineicheln und Kornellen, wie andern Schwei¬
nen, zur Nahrung vorwerfen.

Eurylochus hatte von weitem das Alles zum Theile
mit angesehen, zum Theile geschlossen. Er eilte, was er
nur konnte, zu unsrem Schiffe zurück, um das schreckliche
Schicksal unsrer Freunde mir und den Zurückgebliebenen

Circe's, die eine vortreffliche Sängerin war, erſchallen.
Sie ſang zu ihrer Arbeit; denn ſie ſaß eben über dem
Gewebe eines großen wundervollen Gewandes, wie es
nur Göttinnen zu wirken verſtehen. Der erſte, der einen
Blick in den Palaſt geworfen hatte und ſich dieſes An¬
blicks erfreute, war der Held Polites, der mir beſonders
befreundet war. Auf ſeinen Rath riefen unſre Freunde
die Bewohnerin heraus, und ſie erſchien auch wirklich
freundlich an der Pforte und nöthigte alle Angekomme¬
nen herein, mit Ausnahme ihres Führers Eurylochus,
der ein beſonnener Mann war, und, durch die früheren
Vorfälle gewarnt, irgend einen Betrug witterte.

Die Andern führte Circe gar holdſelig in ihren
Palaſt ein und hieß ſie auf hohen, ſchmucken Seſſeln
Platz nehmen. Alsdann brachte man Käſe, Mehl, Honig
und ſüßen pramniſchen Wein herbei, woraus ein Gericht
köſtlicher Kuchen von Circe geknetet wurde; während
dieſer Arbeit aber miſchte ſie unvermerkt unheilbringende
Säfte unter den Teig, welche die Armen von Sinnen
bringen und ſie ihres Vaterlandes vergeſſen machen ſollten.
Und wirklich wurden ſie alle mit einander, ſo wie ſie
von der verführeriſchen Speiſe gekoſtet hatten, in borſtige
Schweine verwandelt, fingen an zu grunzen, und wur¬
den von der Zauberin ſammt und ſonders in die Kofen
getrieben. Hier ließ ihnen Circe ſtatt der köſtlichen
Biſſen Steineicheln und Kornellen, wie andern Schwei¬
nen, zur Nahrung vorwerfen.

Eurylochus hatte von weitem das Alles zum Theile
mit angeſehen, zum Theile geſchloſſen. Er eilte, was er
nur konnte, zu unſrem Schiffe zurück, um das ſchreckliche
Schickſal unſrer Freunde mir und den Zurückgebliebenen

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[144/0166] Circe's, die eine vortreffliche Sängerin war, erſchallen. Sie ſang zu ihrer Arbeit; denn ſie ſaß eben über dem Gewebe eines großen wundervollen Gewandes, wie es nur Göttinnen zu wirken verſtehen. Der erſte, der einen Blick in den Palaſt geworfen hatte und ſich dieſes An¬ blicks erfreute, war der Held Polites, der mir beſonders befreundet war. Auf ſeinen Rath riefen unſre Freunde die Bewohnerin heraus, und ſie erſchien auch wirklich freundlich an der Pforte und nöthigte alle Angekomme¬ nen herein, mit Ausnahme ihres Führers Eurylochus, der ein beſonnener Mann war, und, durch die früheren Vorfälle gewarnt, irgend einen Betrug witterte. Die Andern führte Circe gar holdſelig in ihren Palaſt ein und hieß ſie auf hohen, ſchmucken Seſſeln Platz nehmen. Alsdann brachte man Käſe, Mehl, Honig und ſüßen pramniſchen Wein herbei, woraus ein Gericht köſtlicher Kuchen von Circe geknetet wurde; während dieſer Arbeit aber miſchte ſie unvermerkt unheilbringende Säfte unter den Teig, welche die Armen von Sinnen bringen und ſie ihres Vaterlandes vergeſſen machen ſollten. Und wirklich wurden ſie alle mit einander, ſo wie ſie von der verführeriſchen Speiſe gekoſtet hatten, in borſtige Schweine verwandelt, fingen an zu grunzen, und wur¬ den von der Zauberin ſammt und ſonders in die Kofen getrieben. Hier ließ ihnen Circe ſtatt der köſtlichen Biſſen Steineicheln und Kornellen, wie andern Schwei¬ nen, zur Nahrung vorwerfen. Eurylochus hatte von weitem das Alles zum Theile mit angeſehen, zum Theile geſchloſſen. Er eilte, was er nur konnte, zu unſrem Schiffe zurück, um das ſchreckliche Schickſal unſrer Freunde mir und den Zurückgebliebenen

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/166>, abgerufen am 29.04.2024.