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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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vorwärts getrieben, am Ende der Welt beim Gestade
der Cimmerier, das in ewigem Nebel liegt und von den
Sonnenstrahlen niemals beleuchtet wird, am Strome
Oceanus, der die Welt umgürtet, anlangten. Wir kamen
an den Fels und die Zusammenströmung der Todtenflüsse,
wie es uns Circe bezeichnet hatte, und opferten ganz
nach ihrer Vorschrift. So wie das Blut aus den Gur¬
geln der Schafe in die Grube floß, tauchten tief aus
der Unterwelt die Seelen der Abgeschiedenen nach der
Felsenkluft empor, in welcher wir uns, den Strom zur
Seite, befanden. Jünglinge und Greise, Jungfrauen
und Kinder kamen, auch viele Helden mit klaffenden
Wunden und in blutbesudelten Rüstungen; schaaren¬
weise, mit hohlem, grausenvollen Stöhnen umflatterten
sie, nach Art der Schatten, die Opfergrube, so daß mich
ein Entsetzen ankam. Schnell ermahnte ich die Genossen,
nach Circe's Rath die geopferten Schafe zu verbrennen
und zu den Göttern zu flehen. Ich selbst riß das Schwert
von der Hüfte, und wehrte den Luftgebilden, vom Opfer¬
blute zu lecken, bevor ich den Tiresias befragt hätte.

Zu allererst nun nahte sich mir die Seele unsres
Freundes Elpenor, dessen Leib noch unbegraben in Circe's
Wohnung lag. Mit Thränen im Auge klagte mir der
Schatten sein Verhängniß, und beschwor mich, nach der
Insel Aeäa zurückzufahren und ihm ein ehrliches Begräb¬
nis, angedeihen zu lassen. Ich versprach es ihm und
das Schattenbild lagerte sich mir gegenüber. So saßen
wir in wehmüthigem Gespräche, dort die Schattengestalt,
hier ich, das Schwert quer über dem Opferblute haltend.
Bald gesellte sich zu uns auch die Mutter des Verstor¬
benen, Antiklea, die ich noch lebendig verlassen hatte,

vorwärts getrieben, am Ende der Welt beim Geſtade
der Cimmerier, das in ewigem Nebel liegt und von den
Sonnenſtrahlen niemals beleuchtet wird, am Strome
Oceanus, der die Welt umgürtet, anlangten. Wir kamen
an den Fels und die Zuſammenſtrömung der Todtenflüſſe,
wie es uns Circe bezeichnet hatte, und opferten ganz
nach ihrer Vorſchrift. So wie das Blut aus den Gur¬
geln der Schafe in die Grube floß, tauchten tief aus
der Unterwelt die Seelen der Abgeſchiedenen nach der
Felſenkluft empor, in welcher wir uns, den Strom zur
Seite, befanden. Jünglinge und Greiſe, Jungfrauen
und Kinder kamen, auch viele Helden mit klaffenden
Wunden und in blutbeſudelten Rüſtungen; ſchaaren¬
weiſe, mit hohlem, grauſenvollen Stöhnen umflatterten
ſie, nach Art der Schatten, die Opfergrube, ſo daß mich
ein Entſetzen ankam. Schnell ermahnte ich die Genoſſen,
nach Circe's Rath die geopferten Schafe zu verbrennen
und zu den Göttern zu flehen. Ich ſelbſt riß das Schwert
von der Hüfte, und wehrte den Luftgebilden, vom Opfer¬
blute zu lecken, bevor ich den Tireſias befragt hätte.

Zu allererſt nun nahte ſich mir die Seele unſres
Freundes Elpenor, deſſen Leib noch unbegraben in Circe's
Wohnung lag. Mit Thränen im Auge klagte mir der
Schatten ſein Verhängniß, und beſchwor mich, nach der
Inſel Aeäa zurückzufahren und ihm ein ehrliches Begräb¬
nis, angedeihen zu laſſen. Ich verſprach es ihm und
das Schattenbild lagerte ſich mir gegenüber. So ſaßen
wir in wehmüthigem Geſpräche, dort die Schattengeſtalt,
hier ich, das Schwert quer über dem Opferblute haltend.
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[153/0175] vorwärts getrieben, am Ende der Welt beim Geſtade der Cimmerier, das in ewigem Nebel liegt und von den Sonnenſtrahlen niemals beleuchtet wird, am Strome Oceanus, der die Welt umgürtet, anlangten. Wir kamen an den Fels und die Zuſammenſtrömung der Todtenflüſſe, wie es uns Circe bezeichnet hatte, und opferten ganz nach ihrer Vorſchrift. So wie das Blut aus den Gur¬ geln der Schafe in die Grube floß, tauchten tief aus der Unterwelt die Seelen der Abgeſchiedenen nach der Felſenkluft empor, in welcher wir uns, den Strom zur Seite, befanden. Jünglinge und Greiſe, Jungfrauen und Kinder kamen, auch viele Helden mit klaffenden Wunden und in blutbeſudelten Rüſtungen; ſchaaren¬ weiſe, mit hohlem, grauſenvollen Stöhnen umflatterten ſie, nach Art der Schatten, die Opfergrube, ſo daß mich ein Entſetzen ankam. Schnell ermahnte ich die Genoſſen, nach Circe's Rath die geopferten Schafe zu verbrennen und zu den Göttern zu flehen. Ich ſelbſt riß das Schwert von der Hüfte, und wehrte den Luftgebilden, vom Opfer¬ blute zu lecken, bevor ich den Tireſias befragt hätte. Zu allererſt nun nahte ſich mir die Seele unſres Freundes Elpenor, deſſen Leib noch unbegraben in Circe's Wohnung lag. Mit Thränen im Auge klagte mir der Schatten ſein Verhängniß, und beſchwor mich, nach der Inſel Aeäa zurückzufahren und ihm ein ehrliches Begräb¬ nis, angedeihen zu laſſen. Ich verſprach es ihm und das Schattenbild lagerte ſich mir gegenüber. So ſaßen wir in wehmüthigem Geſpräche, dort die Schattengeſtalt, hier ich, das Schwert quer über dem Opferblute haltend. Bald geſellte ſich zu uns auch die Mutter des Verſtor¬ benen, Antiklea, die ich noch lebendig verlaſſen hatte,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/175>, abgerufen am 22.11.2024.