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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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vorüber schien, stiegen wir wieder zu Schiffe, und fuhren
in die offene See hinaus. Als wir dahin steuerten, und
das Land schon längst aus den Augen verloren hatten,
breitete Jupiter ein schwarzblaues Gewölk gerade über
unsere Häupter aus, und das Meer unter uns wurde
immer dunkler. Plötzlich brach ein wüthender Orkan
aus Westen auf uns los, beide Taue des Mastbaumes
zerrissen, daß derselbe krachend rückwärts sank, und alles
Geräthe auf das Schiff goß. Die ganze Last stürzte
dem am Steuerende sitzenden Piloten auf den Kopf und
zerknirschte ihm den Schädel, so daß er wie ein Taucher
ins Meer hinabsank und die Wellen den Leichnam ver¬
schlangen. Jetzt fuhr ein Blitz mit krachendem Donner
auf das Schiff hernieder und durchschmetterte es, daß
es voll von Schwefeldampf wurde. Meine Freunde
stürzten aus dem Fahrzeug, wie schwimmende Krähen und
zappelten um das Schiff her, wogten auf und nieder,
und versanken endlich Alle. Bald war ich ganz allein
auf dem Schiffe und irrte darauf umher, bis die Flan¬
ken sich vom Kiel ablösten; der liegende Mastbaum krachte
vollends hernieder auf den entblösten Kiel, und so fuhr
das offene Wrak dahin. Ich hatte indessen die Besin¬
nung nicht verloren, ergriff ein ledernes Seil, das noch
an dem Mast herunterhing und band damit Mast und
Kiel zusammen. Dann setzte ich mich darauf und ließ
mich in der Götter Namen von dem tobenden Sturme
dahinschleudern.

Endlich hörte der Orkan zu wüthen auf und der
West legte sich; darüber erhub sich aber der Südwind,
und versetzte mich in neue Angst; denn nun war ich in
Gefahr der Scylla und Charybdis wieder zugetrieben zu

vorüber ſchien, ſtiegen wir wieder zu Schiffe, und fuhren
in die offene See hinaus. Als wir dahin ſteuerten, und
das Land ſchon längſt aus den Augen verloren hatten,
breitete Jupiter ein ſchwarzblaues Gewölk gerade über
unſere Häupter aus, und das Meer unter uns wurde
immer dunkler. Plötzlich brach ein wüthender Orkan
aus Weſten auf uns los, beide Taue des Maſtbaumes
zerriſſen, daß derſelbe krachend rückwärts ſank, und alles
Geräthe auf das Schiff goß. Die ganze Laſt ſtürzte
dem am Steuerende ſitzenden Piloten auf den Kopf und
zerknirſchte ihm den Schädel, ſo daß er wie ein Taucher
ins Meer hinabſank und die Wellen den Leichnam ver¬
ſchlangen. Jetzt fuhr ein Blitz mit krachendem Donner
auf das Schiff hernieder und durchſchmetterte es, daß
es voll von Schwefeldampf wurde. Meine Freunde
ſtürzten aus dem Fahrzeug, wie ſchwimmende Krähen und
zappelten um das Schiff her, wogten auf und nieder,
und verſanken endlich Alle. Bald war ich ganz allein
auf dem Schiffe und irrte darauf umher, bis die Flan¬
ken ſich vom Kiel ablösten; der liegende Maſtbaum krachte
vollends hernieder auf den entblösten Kiel, und ſo fuhr
das offene Wrak dahin. Ich hatte indeſſen die Beſin¬
nung nicht verloren, ergriff ein ledernes Seil, das noch
an dem Maſt herunterhing und band damit Maſt und
Kiel zuſammen. Dann ſetzte ich mich darauf und ließ
mich in der Götter Namen von dem tobenden Sturme
dahinſchleudern.

Endlich hörte der Orkan zu wüthen auf und der
Weſt legte ſich; darüber erhub ſich aber der Südwind,
und verſetzte mich in neue Angſt; denn nun war ich in
Gefahr der Scylla und Charybdis wieder zugetrieben zu

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[169/0191] vorüber ſchien, ſtiegen wir wieder zu Schiffe, und fuhren in die offene See hinaus. Als wir dahin ſteuerten, und das Land ſchon längſt aus den Augen verloren hatten, breitete Jupiter ein ſchwarzblaues Gewölk gerade über unſere Häupter aus, und das Meer unter uns wurde immer dunkler. Plötzlich brach ein wüthender Orkan aus Weſten auf uns los, beide Taue des Maſtbaumes zerriſſen, daß derſelbe krachend rückwärts ſank, und alles Geräthe auf das Schiff goß. Die ganze Laſt ſtürzte dem am Steuerende ſitzenden Piloten auf den Kopf und zerknirſchte ihm den Schädel, ſo daß er wie ein Taucher ins Meer hinabſank und die Wellen den Leichnam ver¬ ſchlangen. Jetzt fuhr ein Blitz mit krachendem Donner auf das Schiff hernieder und durchſchmetterte es, daß es voll von Schwefeldampf wurde. Meine Freunde ſtürzten aus dem Fahrzeug, wie ſchwimmende Krähen und zappelten um das Schiff her, wogten auf und nieder, und verſanken endlich Alle. Bald war ich ganz allein auf dem Schiffe und irrte darauf umher, bis die Flan¬ ken ſich vom Kiel ablösten; der liegende Maſtbaum krachte vollends hernieder auf den entblösten Kiel, und ſo fuhr das offene Wrak dahin. Ich hatte indeſſen die Beſin¬ nung nicht verloren, ergriff ein ledernes Seil, das noch an dem Maſt herunterhing und band damit Maſt und Kiel zuſammen. Dann ſetzte ich mich darauf und ließ mich in der Götter Namen von dem tobenden Sturme dahinſchleudern. Endlich hörte der Orkan zu wüthen auf und der Weſt legte ſich; darüber erhub ſich aber der Südwind, und verſetzte mich in neue Angſt; denn nun war ich in Gefahr der Scylla und Charybdis wieder zugetrieben zu

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/191>, abgerufen am 29.04.2024.