entgegendampfte. Da jammerte ich zum Himmel empor: "O Vater Jupiter und ihr andern Himmlischen! Zum Fluche habt ihr mich in Schlummer gesenkt. Denn wel¬ cher That haben sich meine Freunde vermessen, während ich schlief!"
Inzwischen war dem Sonnengotte durch eine die¬ nende Göttin schon die Nachricht von dem großen Frevel zugekommen, der an seinem Heiligthume verübt worden war. Zornig trat er in den Kreis der Olympischen und klagte ihnen die Unbill. Jupiter selbst fuhr zürnend von seinem Throne auf, als er Solches hörte, zumal da Helios drohte, den Sonnenwagen zum Hades hinabzulen¬ ken und der Erde nicht mehr zu leuchten, wenn die Verbrecher nicht zur vollen Strafe gezogen würden. "Leuchte du," sagte zu ihm Zeus, "immerhin den Göt¬ tern und den Menschen, Helios, ich will den verfluchten Räubern ihr Schiff bald mit meinem Donnerkeil treffen, daß es in Trümmer gehe und zerschmettert in den Ab¬ grund versinke!" Diese Worte Jupiters hat mir die edle Göttin Kalypso gemeldet, die es durch ihren Freund, den Götterboten Hermes erfahren hat.
Als ich nun bei dem Schiffe und den Genossen an¬ gekommen, fuhr ich sie an und schalt sie im tiefsten Unmuth. Leider aber war Alles zu spät, und die Rinder lagen geschlachtet vor mir. Aber entsetzliche Wunderzei¬ chen bezeugten den geschehenen Frevel; die Häute krochen umher, als wären sie lebendig, das rohe und gebratene Fleisch an den Spießen brüllte wie Rinder zu brüllen pflegen. Doch meine hungrigen Begleiter kehrten sich daran nicht. Sechs Tage hinter einander schmausten sie. Erst am siebenten Tage, als alles Ungewitter
entgegendampfte. Da jammerte ich zum Himmel empor: „O Vater Jupiter und ihr andern Himmliſchen! Zum Fluche habt ihr mich in Schlummer geſenkt. Denn wel¬ cher That haben ſich meine Freunde vermeſſen, während ich ſchlief!“
Inzwiſchen war dem Sonnengotte durch eine die¬ nende Göttin ſchon die Nachricht von dem großen Frevel zugekommen, der an ſeinem Heiligthume verübt worden war. Zornig trat er in den Kreis der Olympiſchen und klagte ihnen die Unbill. Jupiter ſelbſt fuhr zürnend von ſeinem Throne auf, als er Solches hörte, zumal da Helios drohte, den Sonnenwagen zum Hades hinabzulen¬ ken und der Erde nicht mehr zu leuchten, wenn die Verbrecher nicht zur vollen Strafe gezogen würden. „Leuchte du,“ ſagte zu ihm Zeus, „immerhin den Göt¬ tern und den Menſchen, Helios, ich will den verfluchten Räubern ihr Schiff bald mit meinem Donnerkeil treffen, daß es in Trümmer gehe und zerſchmettert in den Ab¬ grund verſinke!“ Dieſe Worte Jupiters hat mir die edle Göttin Kalypſo gemeldet, die es durch ihren Freund, den Götterboten Hermes erfahren hat.
Als ich nun bei dem Schiffe und den Genoſſen an¬ gekommen, fuhr ich ſie an und ſchalt ſie im tiefſten Unmuth. Leider aber war Alles zu ſpät, und die Rinder lagen geſchlachtet vor mir. Aber entſetzliche Wunderzei¬ chen bezeugten den geſchehenen Frevel; die Häute krochen umher, als wären ſie lebendig, das rohe und gebratene Fleiſch an den Spießen brüllte wie Rinder zu brüllen pflegen. Doch meine hungrigen Begleiter kehrten ſich daran nicht. Sechs Tage hinter einander ſchmausten ſie. Erſt am ſiebenten Tage, als alles Ungewitter
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entgegendampfte. Da jammerte ich zum Himmel empor:
„O Vater Jupiter und ihr andern Himmliſchen! Zum
Fluche habt ihr mich in Schlummer geſenkt. Denn wel¬
cher That haben ſich meine Freunde vermeſſen, während
ich ſchlief!“
Inzwiſchen war dem Sonnengotte durch eine die¬
nende Göttin ſchon die Nachricht von dem großen Frevel
zugekommen, der an ſeinem Heiligthume verübt worden
war. Zornig trat er in den Kreis der Olympiſchen und
klagte ihnen die Unbill. Jupiter ſelbſt fuhr zürnend von
ſeinem Throne auf, als er Solches hörte, zumal da
Helios drohte, den Sonnenwagen zum Hades hinabzulen¬
ken und der Erde nicht mehr zu leuchten, wenn die
Verbrecher nicht zur vollen Strafe gezogen würden.
„Leuchte du,“ ſagte zu ihm Zeus, „immerhin den Göt¬
tern und den Menſchen, Helios, ich will den verfluchten
Räubern ihr Schiff bald mit meinem Donnerkeil treffen,
daß es in Trümmer gehe und zerſchmettert in den Ab¬
grund verſinke!“ Dieſe Worte Jupiters hat mir die edle
Göttin Kalypſo gemeldet, die es durch ihren Freund,
den Götterboten Hermes erfahren hat.
Als ich nun bei dem Schiffe und den Genoſſen an¬
gekommen, fuhr ich ſie an und ſchalt ſie im tiefſten
Unmuth. Leider aber war Alles zu ſpät, und die Rinder
lagen geſchlachtet vor mir. Aber entſetzliche Wunderzei¬
chen bezeugten den geſchehenen Frevel; die Häute krochen
umher, als wären ſie lebendig, das rohe und gebratene
Fleiſch an den Spießen brüllte wie Rinder zu brüllen
pflegen. Doch meine hungrigen Begleiter kehrten ſich
daran nicht. Sechs Tage hinter einander ſchmausten
ſie. Erſt am ſiebenten Tage, als alles Ungewitter
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/190>, abgerufen am 22.11.2024.
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