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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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und flehte zu allen Göttern um Rettung. Sie aber
schickten mir einen wohlthätigen Schlummer.

Während ich nun so ferne war, erhob sich Eury¬
lochus unter meinen Begleitern, und gab ihnen einen
verderblichen Rath: "Hört mein Wort," sprach er, "schwer¬
bedrängte Freunde. Zwar ist jeder Tod den Menschen
schreckhaft, aber das entsetzlichste Geschick ist doch der
Hungertod! Wohlan, was bedenken wir uns, die schön¬
sten von den Rindern des Helios den Göttern zu opfern,
und uns am übrigbleibenden Fleische zu sättigen? Sind
wir nur glücklich nach Ithaka gekommen, so wollen wir
ihn schon versöhnen, und ihm einen herrlichen Tempel
bauen, auch köstliche Weihgeschenke darin aufstellen.
Schickt er uns aber im augenblicklichen Zorn einen Sturm
zu und bohrt unser Schiff in den Grund -- nun, so
will ich lieber in einem Augenblick meinen Athem in die
Fluthen verhauchen, als so jämmerlich auf dieser einsamen
Insel verschmachten!"

Dieß Wort gefiel meinen hungrigen Genossen. So¬
gleich machten sie sich auf, trieben die allerbesten Rinder
von der Heerde des Sonnengottes herbei, die in der
Nähe weideten, und nachdem sie zu den Göttern gefleht,
schlachteten sie dieselben, weideten sie aus, und brachten
die Eingeweide mit den in Fett eingewickelten Lenden den
Unsterblichen dar. Wein zum Trankopfer hatten sie kei¬
nen, weil aller längst verzehrt war; die Eingeweide und
Schenkel wurden daher nur mit Quellwasser besprengt.
Die reichlichen Ueberreste steckten sie an Spieße und eben
setzten sie sich zum Mahle, als ich -- dem die Götter
den Schlaf wieder von den Augenliedern geschüttelt --
herankam und mir der Opferduft schon von weitem

und flehte zu allen Göttern um Rettung. Sie aber
ſchickten mir einen wohlthätigen Schlummer.

Während ich nun ſo ferne war, erhob ſich Eury¬
lochus unter meinen Begleitern, und gab ihnen einen
verderblichen Rath: „Hört mein Wort,“ ſprach er, „ſchwer¬
bedrängte Freunde. Zwar iſt jeder Tod den Menſchen
ſchreckhaft, aber das entſetzlichſte Geſchick iſt doch der
Hungertod! Wohlan, was bedenken wir uns, die ſchön¬
ſten von den Rindern des Helios den Göttern zu opfern,
und uns am übrigbleibenden Fleiſche zu ſättigen? Sind
wir nur glücklich nach Ithaka gekommen, ſo wollen wir
ihn ſchon verſöhnen, und ihm einen herrlichen Tempel
bauen, auch köſtliche Weihgeſchenke darin aufſtellen.
Schickt er uns aber im augenblicklichen Zorn einen Sturm
zu und bohrt unſer Schiff in den Grund — nun, ſo
will ich lieber in einem Augenblick meinen Athem in die
Fluthen verhauchen, als ſo jämmerlich auf dieſer einſamen
Inſel verſchmachten!“

Dieß Wort gefiel meinen hungrigen Genoſſen. So¬
gleich machten ſie ſich auf, trieben die allerbeſten Rinder
von der Heerde des Sonnengottes herbei, die in der
Nähe weideten, und nachdem ſie zu den Göttern gefleht,
ſchlachteten ſie dieſelben, weideten ſie aus, und brachten
die Eingeweide mit den in Fett eingewickelten Lenden den
Unſterblichen dar. Wein zum Trankopfer hatten ſie kei¬
nen, weil aller längſt verzehrt war; die Eingeweide und
Schenkel wurden daher nur mit Quellwaſſer beſprengt.
Die reichlichen Ueberreſte ſteckten ſie an Spieße und eben
ſetzten ſie ſich zum Mahle, als ich — dem die Götter
den Schlaf wieder von den Augenliedern geſchüttelt —
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[167/0189] und flehte zu allen Göttern um Rettung. Sie aber ſchickten mir einen wohlthätigen Schlummer. Während ich nun ſo ferne war, erhob ſich Eury¬ lochus unter meinen Begleitern, und gab ihnen einen verderblichen Rath: „Hört mein Wort,“ ſprach er, „ſchwer¬ bedrängte Freunde. Zwar iſt jeder Tod den Menſchen ſchreckhaft, aber das entſetzlichſte Geſchick iſt doch der Hungertod! Wohlan, was bedenken wir uns, die ſchön¬ ſten von den Rindern des Helios den Göttern zu opfern, und uns am übrigbleibenden Fleiſche zu ſättigen? Sind wir nur glücklich nach Ithaka gekommen, ſo wollen wir ihn ſchon verſöhnen, und ihm einen herrlichen Tempel bauen, auch köſtliche Weihgeſchenke darin aufſtellen. Schickt er uns aber im augenblicklichen Zorn einen Sturm zu und bohrt unſer Schiff in den Grund — nun, ſo will ich lieber in einem Augenblick meinen Athem in die Fluthen verhauchen, als ſo jämmerlich auf dieſer einſamen Inſel verſchmachten!“ Dieß Wort gefiel meinen hungrigen Genoſſen. So¬ gleich machten ſie ſich auf, trieben die allerbeſten Rinder von der Heerde des Sonnengottes herbei, die in der Nähe weideten, und nachdem ſie zu den Göttern gefleht, ſchlachteten ſie dieſelben, weideten ſie aus, und brachten die Eingeweide mit den in Fett eingewickelten Lenden den Unſterblichen dar. Wein zum Trankopfer hatten ſie kei¬ nen, weil aller längſt verzehrt war; die Eingeweide und Schenkel wurden daher nur mit Quellwaſſer beſprengt. Die reichlichen Ueberreſte ſteckten ſie an Spieße und eben ſetzten ſie ſich zum Mahle, als ich — dem die Götter den Schlaf wieder von den Augenliedern geſchüttelt — herankam und mir der Opferduft ſchon von weitem

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/189>, abgerufen am 29.04.2024.