Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

und ging in die Hütte. Sein Vater Odysseus wollte
dem Hereintretenden auf seinem Sitze Platz machen,
Telemach aber hielt ihn und sagte freundlich: "Bleib
nur sitzen, Fremdling, der Mann da wird mir
schon meinen Platz anweisen." Inzwischen bereitete Eu¬
mäus seinem jungen Herrn ein weiches Polster aus grü¬
nem Laube, darüber er einen Schafpelz deckte. Nun
setzte sich Telemach zu den Beiden, und der Sauhirt
tischte eine Schüssel mit gebratenem Fleische auf, stellte
den Brodkorb dazu, und mischte in der hölzernen Kanne
den Wein. So schmausten sie alle drei zusammen. Da
fragte denn Telemach den Diener nach dem Fremdlinge,
und dieser brachte kürzlich vor, was Odysseus an ihn
hingefabelt. "Er hat sich jetzt," beschloß er seine Ant¬
wort, "aus einem thesprotischen Schiffe geflüchtet und
kam in mein Gehege; ich gebe ihn dir in die Hände,
thue mit ihm, wie du willst." "Dein Wort ängstet
mich," erwiederte Telemach, "wie kann ich den Mann
in meinem Hause, so wie es dort aussieht, beschirmen?
behalte du ihn lieber hier; ich will ihm Rock und Mantel
auf den Leib, Beschuhung an die Füße, und um die
Lenden ein zweischneidiges Schwert schicken, auch Speise
genug, damit er dir und deinen Knechten nicht beschwer¬
lich falle. Nur kann ich nicht darein willigen, daß er
sich unter die Freier begebe, denn diese schalten und
walten gar zu frech im Hause, selbst ein gewaltiger Mann
vermöchte nichts gegen sie."

Odysseus der Bettler drückte seine Verwunderung
darüber aus, daß die Freier, dem Sohne des Hauses
zum Trotze, sich so viele Unarten herausnehmen dürften.
"Haßt dich denn etwa," fragte er den Telemach, "das

und ging in die Hütte. Sein Vater Odyſſeus wollte
dem Hereintretenden auf ſeinem Sitze Platz machen,
Telemach aber hielt ihn und ſagte freundlich: „Bleib
nur ſitzen, Fremdling, der Mann da wird mir
ſchon meinen Platz anweiſen.“ Inzwiſchen bereitete Eu¬
mäus ſeinem jungen Herrn ein weiches Polſter aus grü¬
nem Laube, darüber er einen Schafpelz deckte. Nun
ſetzte ſich Telemach zu den Beiden, und der Sauhirt
tiſchte eine Schüſſel mit gebratenem Fleiſche auf, ſtellte
den Brodkorb dazu, und miſchte in der hölzernen Kanne
den Wein. So ſchmauſten ſie alle drei zuſammen. Da
fragte denn Telemach den Diener nach dem Fremdlinge,
und dieſer brachte kürzlich vor, was Odyſſeus an ihn
hingefabelt. „Er hat ſich jetzt,“ beſchloß er ſeine Ant¬
wort, „aus einem thesprotiſchen Schiffe geflüchtet und
kam in mein Gehege; ich gebe ihn dir in die Hände,
thue mit ihm, wie du willſt.“ „Dein Wort ängſtet
mich,“ erwiederte Telemach, „wie kann ich den Mann
in meinem Hauſe, ſo wie es dort ausſieht, beſchirmen?
behalte du ihn lieber hier; ich will ihm Rock und Mantel
auf den Leib, Beſchuhung an die Füße, und um die
Lenden ein zweiſchneidiges Schwert ſchicken, auch Speiſe
genug, damit er dir und deinen Knechten nicht beſchwer¬
lich falle. Nur kann ich nicht darein willigen, daß er
ſich unter die Freier begebe, denn dieſe ſchalten und
walten gar zu frech im Hauſe, ſelbſt ein gewaltiger Mann
vermöchte nichts gegen ſie.“

Odyſſeus der Bettler drückte ſeine Verwunderung
darüber aus, daß die Freier, dem Sohne des Hauſes
zum Trotze, ſich ſo viele Unarten herausnehmen dürften.
„Haßt dich denn etwa,“ fragte er den Telemach, „das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0225" n="203"/>
und ging in die Hütte. Sein Vater Ody&#x017F;&#x017F;eus wollte<lb/>
dem Hereintretenden auf &#x017F;einem Sitze Platz machen,<lb/>
Telemach aber hielt ihn und &#x017F;agte freundlich: &#x201E;Bleib<lb/>
nur &#x017F;itzen, Fremdling, der Mann da wird mir<lb/>
&#x017F;chon meinen Platz anwei&#x017F;en.&#x201C; Inzwi&#x017F;chen bereitete Eu¬<lb/>
mäus &#x017F;einem jungen Herrn ein weiches Pol&#x017F;ter aus grü¬<lb/>
nem Laube, darüber er einen Schafpelz deckte. Nun<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ich Telemach zu den Beiden, und der Sauhirt<lb/>
ti&#x017F;chte eine Schü&#x017F;&#x017F;el mit gebratenem Flei&#x017F;che auf, &#x017F;tellte<lb/>
den Brodkorb dazu, und mi&#x017F;chte in der hölzernen Kanne<lb/>
den Wein. So &#x017F;chmau&#x017F;ten &#x017F;ie alle drei zu&#x017F;ammen. Da<lb/>
fragte denn Telemach den Diener nach dem Fremdlinge,<lb/>
und die&#x017F;er brachte kürzlich vor, was Ody&#x017F;&#x017F;eus an ihn<lb/>
hingefabelt. &#x201E;Er hat &#x017F;ich jetzt,&#x201C; be&#x017F;chloß er &#x017F;eine Ant¬<lb/>
wort, &#x201E;aus einem thesproti&#x017F;chen Schiffe geflüchtet und<lb/>
kam in mein Gehege; ich gebe ihn dir in die Hände,<lb/>
thue mit ihm, wie du will&#x017F;t.&#x201C; &#x201E;Dein Wort äng&#x017F;tet<lb/>
mich,&#x201C; erwiederte Telemach, &#x201E;wie kann ich den Mann<lb/>
in meinem Hau&#x017F;e, &#x017F;o wie es dort aus&#x017F;ieht, be&#x017F;chirmen?<lb/>
behalte du ihn lieber hier; ich will ihm Rock und Mantel<lb/>
auf den Leib, Be&#x017F;chuhung an die Füße, und um die<lb/>
Lenden ein zwei&#x017F;chneidiges Schwert &#x017F;chicken, auch Spei&#x017F;e<lb/>
genug, damit er dir und deinen Knechten nicht be&#x017F;chwer¬<lb/>
lich falle. Nur kann ich nicht darein willigen, daß er<lb/>
&#x017F;ich unter die Freier begebe, denn die&#x017F;e &#x017F;chalten und<lb/>
walten gar zu frech im Hau&#x017F;e, &#x017F;elb&#x017F;t ein gewaltiger Mann<lb/>
vermöchte nichts gegen &#x017F;ie.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Ody&#x017F;&#x017F;eus der Bettler drückte &#x017F;eine Verwunderung<lb/>
darüber aus, daß die Freier, dem Sohne des Hau&#x017F;es<lb/>
zum Trotze, &#x017F;ich &#x017F;o viele Unarten herausnehmen dürften.<lb/>
&#x201E;Haßt dich denn etwa,&#x201C; fragte er den Telemach, &#x201E;das<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0225] und ging in die Hütte. Sein Vater Odyſſeus wollte dem Hereintretenden auf ſeinem Sitze Platz machen, Telemach aber hielt ihn und ſagte freundlich: „Bleib nur ſitzen, Fremdling, der Mann da wird mir ſchon meinen Platz anweiſen.“ Inzwiſchen bereitete Eu¬ mäus ſeinem jungen Herrn ein weiches Polſter aus grü¬ nem Laube, darüber er einen Schafpelz deckte. Nun ſetzte ſich Telemach zu den Beiden, und der Sauhirt tiſchte eine Schüſſel mit gebratenem Fleiſche auf, ſtellte den Brodkorb dazu, und miſchte in der hölzernen Kanne den Wein. So ſchmauſten ſie alle drei zuſammen. Da fragte denn Telemach den Diener nach dem Fremdlinge, und dieſer brachte kürzlich vor, was Odyſſeus an ihn hingefabelt. „Er hat ſich jetzt,“ beſchloß er ſeine Ant¬ wort, „aus einem thesprotiſchen Schiffe geflüchtet und kam in mein Gehege; ich gebe ihn dir in die Hände, thue mit ihm, wie du willſt.“ „Dein Wort ängſtet mich,“ erwiederte Telemach, „wie kann ich den Mann in meinem Hauſe, ſo wie es dort ausſieht, beſchirmen? behalte du ihn lieber hier; ich will ihm Rock und Mantel auf den Leib, Beſchuhung an die Füße, und um die Lenden ein zweiſchneidiges Schwert ſchicken, auch Speiſe genug, damit er dir und deinen Knechten nicht beſchwer¬ lich falle. Nur kann ich nicht darein willigen, daß er ſich unter die Freier begebe, denn dieſe ſchalten und walten gar zu frech im Hauſe, ſelbſt ein gewaltiger Mann vermöchte nichts gegen ſie.“ Odyſſeus der Bettler drückte ſeine Verwunderung darüber aus, daß die Freier, dem Sohne des Hauſes zum Trotze, ſich ſo viele Unarten herausnehmen dürften. „Haßt dich denn etwa,“ fragte er den Telemach, „das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/225
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/225>, abgerufen am 24.11.2024.