uns her und jagen uns aus dem Lande. Ehe dieß ge¬ schieht, laßt uns ihn aus dem Wege räumen: in seine Besitzungen theilen wir uns; den Palast lassen wir der Mutter und ihrem künftigen Gemahl. Gefällt euch aber mein Gedanke nicht, wollt ihr ihn leben und im Besitze seiner Güter lassen: nun, dann wollen wir ihm auch die Habe nicht länger verzehren, dann laßt einen Jeden von seiner eigenen Heimath aus um die Fürstin sich mit Brautgeschenken bewerben, und sie wähle den, der ihr am meisten gibt und vom Schicksale begünstigt wird!" Als er seine Rede geendigt hatte, entstand ein langes Schweigen unter den Freiern. Endlich erhob sich Am¬ phinomus, der Sohn des Nisus, aus Dulichium, der edelste und bestgesinnte unter den Freiern, der sich durch seine klugen Reden auch der Königin Penelope am meisten zu empfehlen wußte, und sagte seine Meinung in der Versammlung. "Freunde," sprach er, "ich möchte doch nicht, daß wir den Telemach heimlich ums Leben bräch¬ ten! Es ist doch etwas Gräßliches, ein ganzes Königs¬ geschlecht im letzten Sprößlinge zu morden. Laßt uns lieber vorher die Götter befragen: erfolgt ein günstiger Ausspruch Jupiters, so bin ich selbst bereit ihn zu tödten; verwehren es uns die Götter, so rathe ich euch, von dem Gedanken abzustehen."
Diese Rede gefiel den Freiern wohl; sie schoben ihren Plan auf und kehrten in den Palast zurück. Auch dießmal hatte sie ihr Herold Medon, der heimliche An¬ hänger Penelope's, belauscht und der Königin von Allem Nachricht gegeben. Diese eilte, jedoch dicht verschleiert, mit ihren Dienerinnen in den Saal zu den Freiern hinab und redete in heftiger Gemüthsbewegung den Urheber
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uns her und jagen uns aus dem Lande. Ehe dieß ge¬ ſchieht, laßt uns ihn aus dem Wege räumen: in ſeine Beſitzungen theilen wir uns; den Palaſt laſſen wir der Mutter und ihrem künftigen Gemahl. Gefällt euch aber mein Gedanke nicht, wollt ihr ihn leben und im Beſitze ſeiner Güter laſſen: nun, dann wollen wir ihm auch die Habe nicht länger verzehren, dann laßt einen Jeden von ſeiner eigenen Heimath aus um die Fürſtin ſich mit Brautgeſchenken bewerben, und ſie wähle den, der ihr am meiſten gibt und vom Schickſale begünſtigt wird!“ Als er ſeine Rede geendigt hatte, entſtand ein langes Schweigen unter den Freiern. Endlich erhob ſich Am¬ phinomus, der Sohn des Niſus, aus Dulichium, der edelſte und beſtgeſinnte unter den Freiern, der ſich durch ſeine klugen Reden auch der Königin Penelope am meiſten zu empfehlen wußte, und ſagte ſeine Meinung in der Verſammlung. „Freunde,“ ſprach er, „ich möchte doch nicht, daß wir den Telemach heimlich ums Leben bräch¬ ten! Es iſt doch etwas Gräßliches, ein ganzes Königs¬ geſchlecht im letzten Sprößlinge zu morden. Laßt uns lieber vorher die Götter befragen: erfolgt ein günſtiger Ausſpruch Jupiters, ſo bin ich ſelbſt bereit ihn zu tödten; verwehren es uns die Götter, ſo rathe ich euch, von dem Gedanken abzuſtehen.“
Dieſe Rede gefiel den Freiern wohl; ſie ſchoben ihren Plan auf und kehrten in den Palaſt zurück. Auch dießmal hatte ſie ihr Herold Medon, der heimliche An¬ hänger Penelope's, belauſcht und der Königin von Allem Nachricht gegeben. Dieſe eilte, jedoch dicht verſchleiert, mit ihren Dienerinnen in den Saal zu den Freiern hinab und redete in heftiger Gemüthsbewegung den Urheber
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uns her und jagen uns aus dem Lande. Ehe dieß ge¬
ſchieht, laßt uns ihn aus dem Wege räumen: in ſeine
Beſitzungen theilen wir uns; den Palaſt laſſen wir der
Mutter und ihrem künftigen Gemahl. Gefällt euch aber
mein Gedanke nicht, wollt ihr ihn leben und im Beſitze
ſeiner Güter laſſen: nun, dann wollen wir ihm auch die
Habe nicht länger verzehren, dann laßt einen Jeden von
ſeiner eigenen Heimath aus um die Fürſtin ſich mit
Brautgeſchenken bewerben, und ſie wähle den, der ihr
am meiſten gibt und vom Schickſale begünſtigt wird!“
Als er ſeine Rede geendigt hatte, entſtand ein langes
Schweigen unter den Freiern. Endlich erhob ſich Am¬
phinomus, der Sohn des Niſus, aus Dulichium, der
edelſte und beſtgeſinnte unter den Freiern, der ſich durch
ſeine klugen Reden auch der Königin Penelope am meiſten
zu empfehlen wußte, und ſagte ſeine Meinung in der
Verſammlung. „Freunde,“ ſprach er, „ich möchte doch
nicht, daß wir den Telemach heimlich ums Leben bräch¬
ten! Es iſt doch etwas Gräßliches, ein ganzes Königs¬
geſchlecht im letzten Sprößlinge zu morden. Laßt uns
lieber vorher die Götter befragen: erfolgt ein günſtiger
Ausſpruch Jupiters, ſo bin ich ſelbſt bereit ihn zu tödten;
verwehren es uns die Götter, ſo rathe ich euch, von
dem Gedanken abzuſtehen.“
Dieſe Rede gefiel den Freiern wohl; ſie ſchoben
ihren Plan auf und kehrten in den Palaſt zurück. Auch
dießmal hatte ſie ihr Herold Medon, der heimliche An¬
hänger Penelope's, belauſcht und der Königin von Allem
Nachricht gegeben. Dieſe eilte, jedoch dicht verſchleiert,
mit ihren Dienerinnen in den Saal zu den Freiern hinab
und redete in heftiger Gemüthsbewegung den Urheber
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/233>, abgerufen am 24.11.2024.
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