sagte jener zu diesem. Telemach aber rief die Schaffnerin heraus und sagte: "Mütterchen, halte mir die Mägde drinn' zurück, bis ich des Vaters Waffen aus dem be¬ ständigen Dampf in die Kammer getragen." "Schon recht," antwortete Euryklea, "daß du endlich auch ein¬ mal darauf denkst, des Hauses zu warten und dein Gut zu beschirmen, Sohn! Aber wer soll dir die Fackel vor¬ tragen, wenn ich keine Dienerin mit dir gehen lassen darf?" "Der Fremdling dort," erwiederte Telemach lächelnd, "wer aus meinem Brodkorb ißt, darf mir nicht müssig stehen!" Nun trugen Vater und Sohn die Helme, die Schilde, die Lanzen, Alles mit einander in die Kam¬ mer, und vor ihnen her schritt mit goldener Lampe Pallas Athene, und verbreitete Licht überall. "Welch ein Wunder, sagte Telemach leise zum Vater, "wie schim¬ mern die Wände des Hauses! wie deutlich sehe ich jede Vertiefung, jeden Fichtenbalken, jede Säule, und Alles leuchtet wie Feuer! Fürwahr es muß ein Gott bei uns seyn, ein Himmelsbewohner!" "Sey stille, Sohn," ant¬ wortete ihm Odysseus, "und forsche nicht, das ist so der Brauch der Unsterblichen. Lege dich jetzt schlafen, ich selbst will noch ein Weniges aufbleiben, und Mutter und Dienerinnen auf die Probe stellen."
Telemach entfernte sich, und Penelope trat jetzt aus ihrer Kammer, schön wie Artemis und Aphrodite. Sie stellte sich ihren eigenen, köstlich mit Silber und Elfen¬ bein ausgelegten Sessel zum Feuer, und setzte sich auf den Schafspelz, der ihn bedeckte. Dann kam eine Schaar von Mägden, die räumten Brod und Becher von den Tischen, stellten diese selbst bei Seite und sorgten aufs Neue für Beleuchtung und Heizung des Saales in den Geschirren.
ſagte jener zu dieſem. Telemach aber rief die Schaffnerin heraus und ſagte: „Mütterchen, halte mir die Mägde drinn' zurück, bis ich des Vaters Waffen aus dem be¬ ſtändigen Dampf in die Kammer getragen.“ „Schon recht,“ antwortete Euryklea, „daß du endlich auch ein¬ mal darauf denkſt, des Hauſes zu warten und dein Gut zu beſchirmen, Sohn! Aber wer ſoll dir die Fackel vor¬ tragen, wenn ich keine Dienerin mit dir gehen laſſen darf?“ „Der Fremdling dort,“ erwiederte Telemach lächelnd, „wer aus meinem Brodkorb ißt, darf mir nicht müſſig ſtehen!“ Nun trugen Vater und Sohn die Helme, die Schilde, die Lanzen, Alles mit einander in die Kam¬ mer, und vor ihnen her ſchritt mit goldener Lampe Pallas Athene, und verbreitete Licht überall. „Welch ein Wunder, ſagte Telemach leiſe zum Vater, „wie ſchim¬ mern die Wände des Hauſes! wie deutlich ſehe ich jede Vertiefung, jeden Fichtenbalken, jede Säule, und Alles leuchtet wie Feuer! Fürwahr es muß ein Gott bei uns ſeyn, ein Himmelsbewohner!“ „Sey ſtille, Sohn,“ ant¬ wortete ihm Odyſſeus, „und forſche nicht, das iſt ſo der Brauch der Unſterblichen. Lege dich jetzt ſchlafen, ich ſelbſt will noch ein Weniges aufbleiben, und Mutter und Dienerinnen auf die Probe ſtellen.“
Telemach entfernte ſich, und Penelope trat jetzt aus ihrer Kammer, ſchön wie Artemis und Aphrodite. Sie ſtellte ſich ihren eigenen, köſtlich mit Silber und Elfen¬ bein ausgelegten Seſſel zum Feuer, und ſetzte ſich auf den Schafspelz, der ihn bedeckte. Dann kam eine Schaar von Mägden, die räumten Brod und Becher von den Tiſchen, ſtellten dieſe ſelbſt bei Seite und ſorgten aufs Neue für Beleuchtung und Heizung des Saales in den Geſchirren.
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ſagte jener zu dieſem. Telemach aber rief die Schaffnerin
heraus und ſagte: „Mütterchen, halte mir die Mägde
drinn' zurück, bis ich des Vaters Waffen aus dem be¬
ſtändigen Dampf in die Kammer getragen.“ „Schon
recht,“ antwortete Euryklea, „daß du endlich auch ein¬
mal darauf denkſt, des Hauſes zu warten und dein Gut
zu beſchirmen, Sohn! Aber wer ſoll dir die Fackel vor¬
tragen, wenn ich keine Dienerin mit dir gehen laſſen
darf?“ „Der Fremdling dort,“ erwiederte Telemach
lächelnd, „wer aus meinem Brodkorb ißt, darf mir nicht
müſſig ſtehen!“ Nun trugen Vater und Sohn die Helme,
die Schilde, die Lanzen, Alles mit einander in die Kam¬
mer, und vor ihnen her ſchritt mit goldener Lampe
Pallas Athene, und verbreitete Licht überall. „Welch
ein Wunder, ſagte Telemach leiſe zum Vater, „wie ſchim¬
mern die Wände des Hauſes! wie deutlich ſehe ich jede
Vertiefung, jeden Fichtenbalken, jede Säule, und Alles
leuchtet wie Feuer! Fürwahr es muß ein Gott bei uns
ſeyn, ein Himmelsbewohner!“ „Sey ſtille, Sohn,“ ant¬
wortete ihm Odyſſeus, „und forſche nicht, das iſt ſo der
Brauch der Unſterblichen. Lege dich jetzt ſchlafen, ich
ſelbſt will noch ein Weniges aufbleiben, und Mutter
und Dienerinnen auf die Probe ſtellen.“
Telemach entfernte ſich, und Penelope trat jetzt aus
ihrer Kammer, ſchön wie Artemis und Aphrodite. Sie
ſtellte ſich ihren eigenen, köſtlich mit Silber und Elfen¬
bein ausgelegten Seſſel zum Feuer, und ſetzte ſich auf den
Schafspelz, der ihn bedeckte. Dann kam eine Schaar von
Mägden, die räumten Brod und Becher von den Tiſchen,
ſtellten dieſe ſelbſt bei Seite und ſorgten aufs Neue für
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/258>, abgerufen am 22.11.2024.
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