des kühlsten Schattens, wo, nach langen Stürmen und Meerfahrten, die Phönizier oder Pöner zuerst ein Glückszeichen, das ihnen Juno sandte, ausgegraben hatten, ein Pferdshaupt, wodurch ihnen Kriegsglück und Nah¬ rung vorbedeutet ward. Hier baute die Königin Dido der Juno einen prächtigen Tempel; Stufen, Thorpfosten und Thürflügel, Alles war von Erz. In diesem Haine faßte sich der Held Aeneas erst wieder einen getrosten Muth, und gab sich in seiner verzweifelten Lage kühneren Gedanken der Hoffnung hin. Denn während er sich in dem herrlichen Tempel umschaute und über die präch¬ tigen Kunstwerke, die sich darin befanden, staunte, stieß er auf eine Reihe von Wandgemälden, in welchen die Schlachten Troja's dargestellt waren. Priamus, die Atriden, Achilles, Rhesus und Diomed, fliehende Grie¬ chen, und wieder Trojaner, der Knabe Troilus, von seinen Pferden geschleift, Trojanerinnen mit fliegen¬ dem Haar im Tempel der Pallas, Hektors geschleppte Leiche, Pentesilea mit ihren Amazonen, Alles erkannte der Held Aeneas, ja am Ende entdeckte er auch sich selbst, wie er von der Mauer herab den ungeheuren Stein auf die Feinde schleudert.
Während er dieses Alles unter Schmerz und Lust mit Verwunderung sich beschaute, nahte die Königin Dido selbst, im höchsten Glanze jugendlicher Schönheit, von einem großen Gefolge tyrischer Jünglinge umgeben, dem Tempel. Unter der Wölbung des Portales setzte sie sich, von Bewaffneten umringt, auf einen hohen Thron, und theilte dem Volke, das sich um sie versam¬ melte, theils nach billiger Schätzung, theils durch's Loos die Arbeiten in der neuen Stadt aus, sprach Recht,
des kühlſten Schattens, wo, nach langen Stürmen und Meerfahrten, die Phönizier oder Pöner zuerſt ein Glückszeichen, das ihnen Juno ſandte, ausgegraben hatten, ein Pferdshaupt, wodurch ihnen Kriegsglück und Nah¬ rung vorbedeutet ward. Hier baute die Königin Dido der Juno einen prächtigen Tempel; Stufen, Thorpfoſten und Thürflügel, Alles war von Erz. In dieſem Haine faßte ſich der Held Aeneas erſt wieder einen getroſten Muth, und gab ſich in ſeiner verzweifelten Lage kühneren Gedanken der Hoffnung hin. Denn während er ſich in dem herrlichen Tempel umſchaute und über die präch¬ tigen Kunſtwerke, die ſich darin befanden, ſtaunte, ſtieß er auf eine Reihe von Wandgemälden, in welchen die Schlachten Troja's dargeſtellt waren. Priamus, die Atriden, Achilles, Rheſus und Diomed, fliehende Grie¬ chen, und wieder Trojaner, der Knabe Troilus, von ſeinen Pferden geſchleift, Trojanerinnen mit fliegen¬ dem Haar im Tempel der Pallas, Hektors geſchleppte Leiche, Penteſilea mit ihren Amazonen, Alles erkannte der Held Aeneas, ja am Ende entdeckte er auch ſich ſelbſt, wie er von der Mauer herab den ungeheuren Stein auf die Feinde ſchleudert.
Während er dieſes Alles unter Schmerz und Luſt mit Verwunderung ſich beſchaute, nahte die Königin Dido ſelbſt, im höchſten Glanze jugendlicher Schönheit, von einem großen Gefolge tyriſcher Jünglinge umgeben, dem Tempel. Unter der Wölbung des Portales ſetzte ſie ſich, von Bewaffneten umringt, auf einen hohen Thron, und theilte dem Volke, das ſich um ſie verſam¬ melte, theils nach billiger Schätzung, theils durch's Loos die Arbeiten in der neuen Stadt aus, ſprach Recht,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0344"n="322"/>
des kühlſten Schattens, wo, nach langen Stürmen und<lb/>
Meerfahrten, die Phönizier oder Pöner zuerſt ein<lb/>
Glückszeichen, das ihnen Juno ſandte, ausgegraben hatten,<lb/>
ein Pferdshaupt, wodurch ihnen Kriegsglück und Nah¬<lb/>
rung vorbedeutet ward. Hier baute die Königin Dido<lb/>
der Juno einen prächtigen Tempel; Stufen, Thorpfoſten<lb/>
und Thürflügel, Alles war von Erz. In dieſem Haine<lb/>
faßte ſich der Held Aeneas erſt wieder einen getroſten<lb/>
Muth, und gab ſich in ſeiner verzweifelten Lage kühneren<lb/>
Gedanken der Hoffnung hin. Denn während er ſich<lb/>
in dem herrlichen Tempel umſchaute und über die präch¬<lb/>
tigen Kunſtwerke, die ſich darin befanden, ſtaunte, ſtieß<lb/>
er auf eine Reihe von Wandgemälden, in welchen die<lb/>
Schlachten Troja's dargeſtellt waren. Priamus, die<lb/>
Atriden, Achilles, Rheſus und Diomed, fliehende Grie¬<lb/>
chen, und wieder Trojaner, der Knabe Troilus, von<lb/>ſeinen Pferden geſchleift, Trojanerinnen mit fliegen¬<lb/>
dem Haar im Tempel der Pallas, Hektors geſchleppte<lb/>
Leiche, Penteſilea mit ihren Amazonen, Alles erkannte<lb/>
der Held Aeneas, ja am Ende entdeckte er auch ſich<lb/>ſelbſt, wie er von der Mauer herab den ungeheuren<lb/>
Stein auf die Feinde ſchleudert.</p><lb/><p>Während er dieſes Alles unter Schmerz und Luſt<lb/>
mit Verwunderung ſich beſchaute, nahte die Königin<lb/>
Dido ſelbſt, im höchſten Glanze jugendlicher Schönheit,<lb/>
von einem großen Gefolge tyriſcher Jünglinge umgeben,<lb/>
dem Tempel. Unter der Wölbung des Portales ſetzte<lb/>ſie ſich, von Bewaffneten umringt, auf einen hohen<lb/>
Thron, und theilte dem Volke, das ſich um ſie verſam¬<lb/>
melte, theils nach billiger Schätzung, theils durch's Loos<lb/>
die Arbeiten in der neuen Stadt aus, ſprach Recht,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[322/0344]
des kühlſten Schattens, wo, nach langen Stürmen und
Meerfahrten, die Phönizier oder Pöner zuerſt ein
Glückszeichen, das ihnen Juno ſandte, ausgegraben hatten,
ein Pferdshaupt, wodurch ihnen Kriegsglück und Nah¬
rung vorbedeutet ward. Hier baute die Königin Dido
der Juno einen prächtigen Tempel; Stufen, Thorpfoſten
und Thürflügel, Alles war von Erz. In dieſem Haine
faßte ſich der Held Aeneas erſt wieder einen getroſten
Muth, und gab ſich in ſeiner verzweifelten Lage kühneren
Gedanken der Hoffnung hin. Denn während er ſich
in dem herrlichen Tempel umſchaute und über die präch¬
tigen Kunſtwerke, die ſich darin befanden, ſtaunte, ſtieß
er auf eine Reihe von Wandgemälden, in welchen die
Schlachten Troja's dargeſtellt waren. Priamus, die
Atriden, Achilles, Rheſus und Diomed, fliehende Grie¬
chen, und wieder Trojaner, der Knabe Troilus, von
ſeinen Pferden geſchleift, Trojanerinnen mit fliegen¬
dem Haar im Tempel der Pallas, Hektors geſchleppte
Leiche, Penteſilea mit ihren Amazonen, Alles erkannte
der Held Aeneas, ja am Ende entdeckte er auch ſich
ſelbſt, wie er von der Mauer herab den ungeheuren
Stein auf die Feinde ſchleudert.
Während er dieſes Alles unter Schmerz und Luſt
mit Verwunderung ſich beſchaute, nahte die Königin
Dido ſelbſt, im höchſten Glanze jugendlicher Schönheit,
von einem großen Gefolge tyriſcher Jünglinge umgeben,
dem Tempel. Unter der Wölbung des Portales ſetzte
ſie ſich, von Bewaffneten umringt, auf einen hohen
Thron, und theilte dem Volke, das ſich um ſie verſam¬
melte, theils nach billiger Schätzung, theils durch's Loos
die Arbeiten in der neuen Stadt aus, ſprach Recht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/344>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.