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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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und soll den Hunden zum Zerfleischen vorgeworfen
werden."

Die Häupter der Stadt blieben auf diese Rede
stumm. An Gegenwehr war nicht zu denken: Die Be¬
waffneten des Aegisthus umgaben den Pallast; Waffen¬
geklirr ertönte und drohende Laute ließen sich hören. Die
Krieger Agamemnons, deren eine weit kleinere Schaar
aus dem männervertilgenden Kriege von Troja heimge¬
kehrt war, waren in der Stadt zerstreut und hatten
sorglos die Waffen von sich gelegt. Der wilde Anhang
des Aegisthus durchzog die Stadt in voller Rüstung und
metzelte Jeden nieder, der gegen den gräßlichen Mord
seines Fürsten sich auflehnte.

Die Frevler versäumten auch nichts, ihre Herrschaft
zu befestigen. Alle Ehrenstellen, alle Kriegsämter wurden
unter ihre treusten Anhänger vertheilt. Die Töchter
Agamemnons betrachteten sie als gefahrlose Weiber;
aber zu spät fiel ihnen ein, daß in dem jungen Orestes,
dem jüngsten Kinde Agamemnons und Klytämnestra's,
dem Vater ein Rächer nachwachse. Obgleich er kaum
zwölfjährig war, hätten sie ihn doch gerne getödtet,
um sich von aller Furcht der Strafe zu befreien. Aber
seine kluge Schwester Elektra, besonnener als die Mör¬
der, hatte sogleich nach der That Sorge für ihn getragen,
und ihn heimlich dem Sklaven, dem seine Aufsicht an¬
vertraut war, übergeben. Dieser hatte ihn nach Phanote
im Lande Phocis gebracht, und ihn dort als ein heiliges
Unterpfand dem befreundeten Könige Strophius über¬
geben, der sein zweiter Vater wurde und ihn mit seinem
eigenen Sohne Pylades sorgfältig erzog.


und ſoll den Hunden zum Zerfleiſchen vorgeworfen
werden.“

Die Häupter der Stadt blieben auf dieſe Rede
ſtumm. An Gegenwehr war nicht zu denken: Die Be¬
waffneten des Aegiſthus umgaben den Pallaſt; Waffen¬
geklirr ertönte und drohende Laute ließen ſich hören. Die
Krieger Agamemnons, deren eine weit kleinere Schaar
aus dem männervertilgenden Kriege von Troja heimge¬
kehrt war, waren in der Stadt zerſtreut und hatten
ſorglos die Waffen von ſich gelegt. Der wilde Anhang
des Aegiſthus durchzog die Stadt in voller Rüſtung und
metzelte Jeden nieder, der gegen den gräßlichen Mord
ſeines Fürſten ſich auflehnte.

Die Frevler verſäumten auch nichts, ihre Herrſchaft
zu befeſtigen. Alle Ehrenſtellen, alle Kriegsämter wurden
unter ihre treuſten Anhänger vertheilt. Die Töchter
Agamemnons betrachteten ſie als gefahrloſe Weiber;
aber zu ſpät fiel ihnen ein, daß in dem jungen Oreſtes,
dem jüngſten Kinde Agamemnons und Klytämneſtra's,
dem Vater ein Rächer nachwachſe. Obgleich er kaum
zwölfjährig war, hätten ſie ihn doch gerne getödtet,
um ſich von aller Furcht der Strafe zu befreien. Aber
ſeine kluge Schweſter Elektra, beſonnener als die Mör¬
der, hatte ſogleich nach der That Sorge für ihn getragen,
und ihn heimlich dem Sklaven, dem ſeine Aufſicht an¬
vertraut war, übergeben. Dieſer hatte ihn nach Phanote
im Lande Phocis gebracht, und ihn dort als ein heiliges
Unterpfand dem befreundeten Könige Strophius über¬
geben, der ſein zweiter Vater wurde und ihn mit ſeinem
eigenen Sohne Pylades ſorgfältig erzog.


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[13/0035] und ſoll den Hunden zum Zerfleiſchen vorgeworfen werden.“ Die Häupter der Stadt blieben auf dieſe Rede ſtumm. An Gegenwehr war nicht zu denken: Die Be¬ waffneten des Aegiſthus umgaben den Pallaſt; Waffen¬ geklirr ertönte und drohende Laute ließen ſich hören. Die Krieger Agamemnons, deren eine weit kleinere Schaar aus dem männervertilgenden Kriege von Troja heimge¬ kehrt war, waren in der Stadt zerſtreut und hatten ſorglos die Waffen von ſich gelegt. Der wilde Anhang des Aegiſthus durchzog die Stadt in voller Rüſtung und metzelte Jeden nieder, der gegen den gräßlichen Mord ſeines Fürſten ſich auflehnte. Die Frevler verſäumten auch nichts, ihre Herrſchaft zu befeſtigen. Alle Ehrenſtellen, alle Kriegsämter wurden unter ihre treuſten Anhänger vertheilt. Die Töchter Agamemnons betrachteten ſie als gefahrloſe Weiber; aber zu ſpät fiel ihnen ein, daß in dem jungen Oreſtes, dem jüngſten Kinde Agamemnons und Klytämneſtra's, dem Vater ein Rächer nachwachſe. Obgleich er kaum zwölfjährig war, hätten ſie ihn doch gerne getödtet, um ſich von aller Furcht der Strafe zu befreien. Aber ſeine kluge Schweſter Elektra, beſonnener als die Mör¬ der, hatte ſogleich nach der That Sorge für ihn getragen, und ihn heimlich dem Sklaven, dem ſeine Aufſicht an¬ vertraut war, übergeben. Dieſer hatte ihn nach Phanote im Lande Phocis gebracht, und ihn dort als ein heiliges Unterpfand dem befreundeten Könige Strophius über¬ geben, der ſein zweiter Vater wurde und ihn mit ſeinem eigenen Sohne Pylades ſorgfältig erzog.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/35>, abgerufen am 21.11.2024.