erwachte der arme Steuermann und rief umsonst, ver¬ sinkend, die Hülfe seiner schlafenden Genossen an.
Die Flotte verfolgte indessen, unter dem versproche¬ nen Schutze des Meergottes, auch ohne Steuermann ih¬ ren Weg, und endlich war Italiens Küste erreicht. Er fuhr das Gestade entlang und landete zuletzt in dem Hafen von Cajeta. Damals hatte er diesen Namen noch nicht, und erhielt ihn erst von der alten treuen Amme des Helden, welche Cajeta hieß, nach der Landung hier starb, und ehe der Zug weiter ging, an dem Orte feier¬ lich beigesetzt wurde. Dann begab sich Aeneas noch ein¬ mal mit seinen Gefährten zu Schiffe und gelangte glück¬ lich in den Hafen von Osia. Hier sah er vom Meer aus ein großes Gehölz; zwischen diesem brach der Tiber¬ strom, gelb von Sande, unter reißenden Wirbeln sich seine Bahn ins Meer. Bunte Vögel umflatterten unter lieblichem Gesange den Ausfluß und durchschwebten den Hain.
Das italische Land, in welchem sich die trojanischen Auswanderer nun befanden, war das alte Latium, das Gebiet der Laurenter. Seine ruhigen Städte und Felder beherrschte ein schon alternder König, mit Namen Lati¬ nus, ein Sohn des Faunus und ein Urenkel des Gottes Saturnus. Das Geschick hatte diesem Fürsten keinen Sohn gegönnt; aber um seine einzige schon herangereifte schöne Tochter Lavinia warben aus Latium und ganz Italien viele Fürstensöhne, vor Allen der schönste aller Jünglinge, der Sohn Daunus des Rutulerköniges und ihn begünstigte die Mutter Lavinia's, die Königin Amata, vor allen Andern. Aber schreckhafte Götterzeichen setzten sich dieser Verbindung entgegen. In den hohen Höfen der
erwachte der arme Steuermann und rief umſonſt, ver¬ ſinkend, die Hülfe ſeiner ſchlafenden Genoſſen an.
Die Flotte verfolgte indeſſen, unter dem verſproche¬ nen Schutze des Meergottes, auch ohne Steuermann ih¬ ren Weg, und endlich war Italiens Küſte erreicht. Er fuhr das Geſtade entlang und landete zuletzt in dem Hafen von Cajeta. Damals hatte er dieſen Namen noch nicht, und erhielt ihn erſt von der alten treuen Amme des Helden, welche Cajeta hieß, nach der Landung hier ſtarb, und ehe der Zug weiter ging, an dem Orte feier¬ lich beigeſetzt wurde. Dann begab ſich Aeneas noch ein¬ mal mit ſeinen Gefährten zu Schiffe und gelangte glück¬ lich in den Hafen von Oſia. Hier ſah er vom Meer aus ein großes Gehölz; zwiſchen dieſem brach der Tiber¬ ſtrom, gelb von Sande, unter reißenden Wirbeln ſich ſeine Bahn ins Meer. Bunte Vögel umflatterten unter lieblichem Geſange den Ausfluß und durchſchwebten den Hain.
Das italiſche Land, in welchem ſich die trojaniſchen Auswanderer nun befanden, war das alte Latium, das Gebiet der Laurenter. Seine ruhigen Städte und Felder beherrſchte ein ſchon alternder König, mit Namen Lati¬ nus, ein Sohn des Faunus und ein Urenkel des Gottes Saturnus. Das Geſchick hatte dieſem Fürſten keinen Sohn gegönnt; aber um ſeine einzige ſchon herangereifte ſchöne Tochter Lavinia warben aus Latium und ganz Italien viele Fürſtenſöhne, vor Allen der ſchönſte aller Jünglinge, der Sohn Daunus des Rutulerköniges und ihn begünſtigte die Mutter Lavinia's, die Königin Amata, vor allen Andern. Aber ſchreckhafte Götterzeichen ſetzten ſich dieſer Verbindung entgegen. In den hohen Höfen der
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erwachte der arme Steuermann und rief umſonſt, ver¬
ſinkend, die Hülfe ſeiner ſchlafenden Genoſſen an.
Die Flotte verfolgte indeſſen, unter dem verſproche¬
nen Schutze des Meergottes, auch ohne Steuermann ih¬
ren Weg, und endlich war Italiens Küſte erreicht. Er
fuhr das Geſtade entlang und landete zuletzt in dem
Hafen von Cajeta. Damals hatte er dieſen Namen noch
nicht, und erhielt ihn erſt von der alten treuen Amme
des Helden, welche Cajeta hieß, nach der Landung hier
ſtarb, und ehe der Zug weiter ging, an dem Orte feier¬
lich beigeſetzt wurde. Dann begab ſich Aeneas noch ein¬
mal mit ſeinen Gefährten zu Schiffe und gelangte glück¬
lich in den Hafen von Oſia. Hier ſah er vom Meer
aus ein großes Gehölz; zwiſchen dieſem brach der Tiber¬
ſtrom, gelb von Sande, unter reißenden Wirbeln ſich
ſeine Bahn ins Meer. Bunte Vögel umflatterten unter
lieblichem Geſange den Ausfluß und durchſchwebten den
Hain.
Das italiſche Land, in welchem ſich die trojaniſchen
Auswanderer nun befanden, war das alte Latium, das
Gebiet der Laurenter. Seine ruhigen Städte und Felder
beherrſchte ein ſchon alternder König, mit Namen Lati¬
nus, ein Sohn des Faunus und ein Urenkel des Gottes
Saturnus. Das Geſchick hatte dieſem Fürſten keinen
Sohn gegönnt; aber um ſeine einzige ſchon herangereifte
ſchöne Tochter Lavinia warben aus Latium und ganz
Italien viele Fürſtenſöhne, vor Allen der ſchönſte aller
Jünglinge, der Sohn Daunus des Rutulerköniges und
ihn begünſtigte die Mutter Lavinia's, die Königin Amata,
vor allen Andern. Aber ſchreckhafte Götterzeichen ſetzten
ſich dieſer Verbindung entgegen. In den hohen Höfen der
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/371>, abgerufen am 22.11.2024.
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