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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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bisher nur fliehendes Wild mit seinen Pfeilen zu erlegen
gewohnt war, durchbohrte dem Remulus, der kürzlich des
Turnus jüngere Schwester gefreit hatte, und, auf diese
Auszeichnung stolz prahlend auf die Teukrer eindrang und
sie feige Phrygier schalt, das Haupt mit einem sicheren
Pfeilschuß. Die Trojaner jubelten, und die erschreckten
Feinde machten einen Schritt rückwärts. Julus wollte
sie verfolgen. Da stellte sich ihm Apollo selbst, dem
alten Waffenträger seines Großvaters, der ihm vom
Vater beigegeben war, an Gestalt und Stimme gleich,
in den Weg, und sprach: "Sohn des Aeneas, Dir ge¬
nüge, daß du Einen Helden ungestraft erlegt hast; diesen
Beginn deines Ruhmes hat Apollo dir vergönnt, für
jetzt aber meide den Krieg!" Die Fürsten Iliums er¬
kannten die Gegenwart des Gottes, und hielten den Julus
vom weitern Kampfe ab. Sie selbst aber erneuerten das
Gefecht, und der Schlachtruf tönte um die äussersten
Bollwerke der Mauer fort. Als die innerhalb der Thore
aufgestellten trojanischen Wächter hörten und sahen, wie
ihre Freunde draußen so muthig und kraftvoll kämpften,
faßten Pandarus und Bithias, die Söhne Alkanors vom
Berg Ida, stark und schlank wie ihre heimischen Tannen,
den trotzigen Entschluß, das ihnen vom Feldherrn an¬
vertraute Thor zu öffnen, und im Uebermuthe den Feind
in die Mauern einzuladen. Sie selbst aber standen in¬
wendig mit blinkenden Schwertern rechts und links am
Eingang, und von ihren hohen Helmen nickten die Feder¬
büsche. Als die Rutuler die Thorftügel offen sahen,
stürmten sie, ohne sich zu besinnen, hinein. Aber vier
oder fünf ihrer Helden, mit einem ganzen Gefolge von
Kriegern, fielen unter den Stößen und Streichen der

bisher nur fliehendes Wild mit ſeinen Pfeilen zu erlegen
gewohnt war, durchbohrte dem Remulus, der kürzlich des
Turnus jüngere Schweſter gefreit hatte, und, auf dieſe
Auszeichnung ſtolz prahlend auf die Teukrer eindrang und
ſie feige Phrygier ſchalt, das Haupt mit einem ſicheren
Pfeilſchuß. Die Trojaner jubelten, und die erſchreckten
Feinde machten einen Schritt rückwärts. Julus wollte
ſie verfolgen. Da ſtellte ſich ihm Apollo ſelbſt, dem
alten Waffenträger ſeines Großvaters, der ihm vom
Vater beigegeben war, an Geſtalt und Stimme gleich,
in den Weg, und ſprach: „Sohn des Aeneas, Dir ge¬
nüge, daß du Einen Helden ungeſtraft erlegt haſt; dieſen
Beginn deines Ruhmes hat Apollo dir vergönnt, für
jetzt aber meide den Krieg!“ Die Fürſten Iliums er¬
kannten die Gegenwart des Gottes, und hielten den Julus
vom weitern Kampfe ab. Sie ſelbſt aber erneuerten das
Gefecht, und der Schlachtruf tönte um die äuſſerſten
Bollwerke der Mauer fort. Als die innerhalb der Thore
aufgeſtellten trojaniſchen Wächter hörten und ſahen, wie
ihre Freunde draußen ſo muthig und kraftvoll kämpften,
faßten Pandarus und Bithias, die Söhne Alkanors vom
Berg Ida, ſtark und ſchlank wie ihre heimiſchen Tannen,
den trotzigen Entſchluß, das ihnen vom Feldherrn an¬
vertraute Thor zu öffnen, und im Uebermuthe den Feind
in die Mauern einzuladen. Sie ſelbſt aber ſtanden in¬
wendig mit blinkenden Schwertern rechts und links am
Eingang, und von ihren hohen Helmen nickten die Feder¬
büſche. Als die Rutuler die Thorftügel offen ſahen,
ſtürmten ſie, ohne ſich zu beſinnen, hinein. Aber vier
oder fünf ihrer Helden, mit einem ganzen Gefolge von
Kriegern, fielen unter den Stößen und Streichen der

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[384/0406] bisher nur fliehendes Wild mit ſeinen Pfeilen zu erlegen gewohnt war, durchbohrte dem Remulus, der kürzlich des Turnus jüngere Schweſter gefreit hatte, und, auf dieſe Auszeichnung ſtolz prahlend auf die Teukrer eindrang und ſie feige Phrygier ſchalt, das Haupt mit einem ſicheren Pfeilſchuß. Die Trojaner jubelten, und die erſchreckten Feinde machten einen Schritt rückwärts. Julus wollte ſie verfolgen. Da ſtellte ſich ihm Apollo ſelbſt, dem alten Waffenträger ſeines Großvaters, der ihm vom Vater beigegeben war, an Geſtalt und Stimme gleich, in den Weg, und ſprach: „Sohn des Aeneas, Dir ge¬ nüge, daß du Einen Helden ungeſtraft erlegt haſt; dieſen Beginn deines Ruhmes hat Apollo dir vergönnt, für jetzt aber meide den Krieg!“ Die Fürſten Iliums er¬ kannten die Gegenwart des Gottes, und hielten den Julus vom weitern Kampfe ab. Sie ſelbſt aber erneuerten das Gefecht, und der Schlachtruf tönte um die äuſſerſten Bollwerke der Mauer fort. Als die innerhalb der Thore aufgeſtellten trojaniſchen Wächter hörten und ſahen, wie ihre Freunde draußen ſo muthig und kraftvoll kämpften, faßten Pandarus und Bithias, die Söhne Alkanors vom Berg Ida, ſtark und ſchlank wie ihre heimiſchen Tannen, den trotzigen Entſchluß, das ihnen vom Feldherrn an¬ vertraute Thor zu öffnen, und im Uebermuthe den Feind in die Mauern einzuladen. Sie ſelbſt aber ſtanden in¬ wendig mit blinkenden Schwertern rechts und links am Eingang, und von ihren hohen Helmen nickten die Feder¬ büſche. Als die Rutuler die Thorftügel offen ſahen, ſtürmten ſie, ohne ſich zu beſinnen, hinein. Aber vier oder fünf ihrer Helden, mit einem ganzen Gefolge von Kriegern, fielen unter den Stößen und Streichen der

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/406>, abgerufen am 22.11.2024.