rückwärts und schickte im Fliehen noch einen Pfeil ab. Ein auserlesenes Gefolge von tapfern Jungfrauen um¬ gab sie, Lavina, Tulla und Tarpeja, welche sie sich selbst zur Gesellschaft auserkoren hatte und die in Krieg und Frieden ihre treuen Begleiterinnen waren. Eine Menge Phrygier stürzten unter ihren Würfen und Strei¬ chen. Endlich begegnete ihr im Kampf auch einer der tapfersten Apeninnenbewohner, als sie eben dem kühnen Orsilochus durch den Helm das Haupt gespalten hatte, der streitbare Sohn des Aunus, ein Ligurier. Der Anblick der furchtbaren Jungfrau schreckte ihn, und als er sah, daß es ihm nicht mehr möglich war, dem Kampfe zu ent¬ rinnen, und die ihn bedrängende Feindin abzulenken, sann er auf eine neue List und rief: "Was ist es denn so ein Großes, wenn ein Weib sich einem tapfern Rosse anvertraut! Entsag' einmal dem flüchtigen Umherschweifen, steige von deinem Pferde, und versuche den Kampf mit mir auf ebenem Boden, dann wollen wir sehen, ob dein windiges Prahlen Stand hält!" Diese Worte waren ein Stachel in das Herz der Jungfrau, sie übergab ihrer nächsten Gefährtin das Pferd, und stellte sich dem Jünglinge, nur mit Schwert und Schild bewaffnet, zum gleichen Fußkampfe. Der Jüngling aber glaubte seinen Betrug gelungen; ohne abzusteigen gab er seinem Pferde die Sporen, und ergriff mit umgewandtem Zügel die Flucht. "Betrüger!" rief die Heldin, als sie ihn fliehen sah, "du sollst die Künste deiner Heimath umsonst ver¬ sucht haben, und deine List wird dich nicht zum schelmi¬ schen Aeneas zurückbringen!" Zugleich eilte sie mit geflü¬ gelten Sohlen dem Rosse voran, fiel ihm in die Zügel, und stieß von vorn dem Reiter das Schwert in den Leib.
rückwärts und ſchickte im Fliehen noch einen Pfeil ab. Ein auserleſenes Gefolge von tapfern Jungfrauen um¬ gab ſie, Lavina, Tulla und Tarpeja, welche ſie ſich ſelbſt zur Geſellſchaft auserkoren hatte und die in Krieg und Frieden ihre treuen Begleiterinnen waren. Eine Menge Phrygier ſtürzten unter ihren Würfen und Strei¬ chen. Endlich begegnete ihr im Kampf auch einer der tapferſten Apeninnenbewohner, als ſie eben dem kühnen Orſilochus durch den Helm das Haupt geſpalten hatte, der ſtreitbare Sohn des Aunus, ein Ligurier. Der Anblick der furchtbaren Jungfrau ſchreckte ihn, und als er ſah, daß es ihm nicht mehr möglich war, dem Kampfe zu ent¬ rinnen, und die ihn bedrängende Feindin abzulenken, ſann er auf eine neue Liſt und rief: „Was iſt es denn ſo ein Großes, wenn ein Weib ſich einem tapfern Roſſe anvertraut! Entſag' einmal dem flüchtigen Umherſchweifen, ſteige von deinem Pferde, und verſuche den Kampf mit mir auf ebenem Boden, dann wollen wir ſehen, ob dein windiges Prahlen Stand hält!“ Dieſe Worte waren ein Stachel in das Herz der Jungfrau, ſie übergab ihrer nächſten Gefährtin das Pferd, und ſtellte ſich dem Jünglinge, nur mit Schwert und Schild bewaffnet, zum gleichen Fußkampfe. Der Jüngling aber glaubte ſeinen Betrug gelungen; ohne abzuſteigen gab er ſeinem Pferde die Sporen, und ergriff mit umgewandtem Zügel die Flucht. „Betrüger!“ rief die Heldin, als ſie ihn fliehen ſah, „du ſollſt die Künſte deiner Heimath umſonſt ver¬ ſucht haben, und deine Liſt wird dich nicht zum ſchelmi¬ ſchen Aeneas zurückbringen!“ Zugleich eilte ſie mit geflü¬ gelten Sohlen dem Roſſe voran, fiel ihm in die Zügel, und ſtieß von vorn dem Reiter das Schwert in den Leib.
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rückwärts und ſchickte im Fliehen noch einen Pfeil ab.
Ein auserleſenes Gefolge von tapfern Jungfrauen um¬
gab ſie, Lavina, Tulla und Tarpeja, welche ſie ſich
ſelbſt zur Geſellſchaft auserkoren hatte und die in Krieg
und Frieden ihre treuen Begleiterinnen waren. Eine
Menge Phrygier ſtürzten unter ihren Würfen und Strei¬
chen. Endlich begegnete ihr im Kampf auch einer der
tapferſten Apeninnenbewohner, als ſie eben dem kühnen
Orſilochus durch den Helm das Haupt geſpalten hatte,
der ſtreitbare Sohn des Aunus, ein Ligurier. Der Anblick
der furchtbaren Jungfrau ſchreckte ihn, und als er ſah, daß
es ihm nicht mehr möglich war, dem Kampfe zu ent¬
rinnen, und die ihn bedrängende Feindin abzulenken,
ſann er auf eine neue Liſt und rief: „Was iſt es denn
ſo ein Großes, wenn ein Weib ſich einem tapfern Roſſe
anvertraut! Entſag' einmal dem flüchtigen Umherſchweifen,
ſteige von deinem Pferde, und verſuche den Kampf mit
mir auf ebenem Boden, dann wollen wir ſehen, ob dein
windiges Prahlen Stand hält!“ Dieſe Worte waren
ein Stachel in das Herz der Jungfrau, ſie übergab
ihrer nächſten Gefährtin das Pferd, und ſtellte ſich dem
Jünglinge, nur mit Schwert und Schild bewaffnet, zum
gleichen Fußkampfe. Der Jüngling aber glaubte ſeinen
Betrug gelungen; ohne abzuſteigen gab er ſeinem Pferde
die Sporen, und ergriff mit umgewandtem Zügel die
Flucht. „Betrüger!“ rief die Heldin, als ſie ihn fliehen
ſah, „du ſollſt die Künſte deiner Heimath umſonſt ver¬
ſucht haben, und deine Liſt wird dich nicht zum ſchelmi¬
ſchen Aeneas zurückbringen!“ Zugleich eilte ſie mit geflü¬
gelten Sohlen dem Roſſe voran, fiel ihm in die Zügel,
und ſtieß von vorn dem Reiter das Schwert in den Leib.
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/438>, abgerufen am 22.11.2024.
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