ihrer Herrin und der verlornen Schlacht unzweifelhafte Nachricht. Von Wuth und Schmerz im Innersten zer¬ rissen verließ dieser auf der Stelle das Gehölz und stürmte nach der Ebene hinab. Kaum hatte er seinen Versteck verlassen, als Aeneas vom Gebirge her in die Schluch¬ ten des Thales mit den Seinigen sorglos eingedrungen kam und bald aus der finstern Waldung heraustretend auf der Ebene vor der Stadt sichtbar wurde. Da sah er den Heerhaufen des Turnus vor sich her ziehen. Auch dieser hörte Heeresritt und Roßgeschnaube hinter sich, erkannte umgewandt den grimmigen Aeneas und stellte sich in Schlachtordnung ihm gegenüber auf. Wäre nicht die Sonne schon im Sinken gewesen, auf der Stelle hätten beide Heere den Kampf der letzten Entscheidung ausgefochten.
Als Turnus sah, daß die Latiner, von den Feinden gedemüthigt, ihre Blicke alle auf ihn allein richteten, und ihn an sein Versprechen zu erinnern schienen, überflog eine Schaamröthe sein Gesicht und sein Herz schlug ihm wieder stolzer in der Brust. Wie ein verwundeter Löwe sich wieder ernstlich zur Wehr setzt, die zottige Mähne fröhlich schüttelt und den Speer des Jägers, der ihm im Leibe sitzt, zerbricht, mit den blutigen Zähnen dazu knirschend, so entbrannte der Ungestüm des hohen Jüng¬ lings wieder. Er trat vor seinen Schwiegervater Lati¬
ihrer Herrin und der verlornen Schlacht unzweifelhafte Nachricht. Von Wuth und Schmerz im Innerſten zer¬ riſſen verließ dieſer auf der Stelle das Gehölz und ſtürmte nach der Ebene hinab. Kaum hatte er ſeinen Verſteck verlaſſen, als Aeneas vom Gebirge her in die Schluch¬ ten des Thales mit den Seinigen ſorglos eingedrungen kam und bald aus der finſtern Waldung heraustretend auf der Ebene vor der Stadt ſichtbar wurde. Da ſah er den Heerhaufen des Turnus vor ſich her ziehen. Auch dieſer hörte Heeresritt und Roßgeſchnaube hinter ſich, erkannte umgewandt den grimmigen Aeneas und ſtellte ſich in Schlachtordnung ihm gegenüber auf. Wäre nicht die Sonne ſchon im Sinken geweſen, auf der Stelle hätten beide Heere den Kampf der letzten Entſcheidung ausgefochten.
Als Turnus ſah, daß die Latiner, von den Feinden gedemüthigt, ihre Blicke alle auf ihn allein richteten, und ihn an ſein Verſprechen zu erinnern ſchienen, überflog eine Schaamröthe ſein Geſicht und ſein Herz ſchlug ihm wieder ſtolzer in der Bruſt. Wie ein verwundeter Löwe ſich wieder ernſtlich zur Wehr ſetzt, die zottige Mähne fröhlich ſchüttelt und den Speer des Jägers, der ihm im Leibe ſitzt, zerbricht, mit den blutigen Zähnen dazu knirſchend, ſo entbrannte der Ungeſtüm des hohen Jüng¬ lings wieder. Er trat vor ſeinen Schwiegervater Lati¬
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ihrer Herrin und der verlornen Schlacht unzweifelhafte
Nachricht. Von Wuth und Schmerz im Innerſten zer¬
riſſen verließ dieſer auf der Stelle das Gehölz und ſtürmte
nach der Ebene hinab. Kaum hatte er ſeinen Verſteck
verlaſſen, als Aeneas vom Gebirge her in die Schluch¬
ten des Thales mit den Seinigen ſorglos eingedrungen
kam und bald aus der finſtern Waldung heraustretend
auf der Ebene vor der Stadt ſichtbar wurde. Da ſah
er den Heerhaufen des Turnus vor ſich her ziehen.
Auch dieſer hörte Heeresritt und Roßgeſchnaube hinter
ſich, erkannte umgewandt den grimmigen Aeneas und
ſtellte ſich in Schlachtordnung ihm gegenüber auf.
Wäre nicht die Sonne ſchon im Sinken geweſen, auf
der Stelle hätten beide Heere den Kampf der letzten
Entſcheidung ausgefochten.
Unterhandlung. Verſuchter Zweikampf. Friedens¬
bruch. Aeneas meuchleriſch verwundet.
Als Turnus ſah, daß die Latiner, von den Feinden
gedemüthigt, ihre Blicke alle auf ihn allein richteten, und
ihn an ſein Verſprechen zu erinnern ſchienen, überflog
eine Schaamröthe ſein Geſicht und ſein Herz ſchlug ihm
wieder ſtolzer in der Bruſt. Wie ein verwundeter Löwe
ſich wieder ernſtlich zur Wehr ſetzt, die zottige Mähne
fröhlich ſchüttelt und den Speer des Jägers, der ihm
im Leibe ſitzt, zerbricht, mit den blutigen Zähnen dazu
knirſchend, ſo entbrannte der Ungeſtüm des hohen Jüng¬
lings wieder. Er trat vor ſeinen Schwiegervater Lati¬
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/442>, abgerufen am 22.11.2024.
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