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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Leichnam Klytämnestra's zeigte sich seinen Blicken. "Weh
mir," schrie er, "in welcher Männer Netze bin ich Un¬
glückseliger gerathen?" Orestes aber donnerte ihn mit
tiefer Stimme an: "Weißest du denn nicht schon lange,
daß du zu Lebendigen als zu Todten sprachest? Siehest
du nicht, daß Orestes, der Rächer seines Vaters, vor
dir steht?" -- "Laß mich reden!" sprach zusammenge¬
sunken Aegisthus. Aber Elektra beschwor den Bruder ihn
nicht anzuhören. Verstummend stießen ihn die Ankömm¬
linge hinein in den Pallast, und an demselben Orte,
wo er einst den König Agamemnon in Bade gemordet,
fiel Aegisthus wie ein Opferthier, unter den Streichen
des Rächers.


Orestes und die Eumeniden.

Orestes hatte, als er die Rachepflicht für den Va¬
ter an der Mutter und ihrem Buhlen übte, nach dem
Willen der Götter selbst gehandelt und ein Orakel des
Apollo hatte ihm befohlen zu thun, was er gethan.
Aber die Frömmigkeit gegen den Vater hatte ihn zum Mörder
an der Mutter gemacht. Nach der That erwachte die
Kindesliebe in seiner Brust und der durch eine andere Na¬
turpflicht gebotene Frevel gegen die Natur, den er im
gräßlichen Zwiespalte der Pflichten begangen hatte, ließ
ihn den Rächerinnen solcher Frevel, den Erinnyen oder
Rachegöttinnen (Furien) anheimfallen, welche die Griechen
aus Furcht auch die Eumeniden, das heißt, die Gnädigen,
oder: "die uns gnädig seyn mögen," benannten. Töchter der
Nacht und schwarz wie diese, von entsetzlicher Gestalt,

Leichnam Klytämneſtra's zeigte ſich ſeinen Blicken. „Weh
mir,“ ſchrie er, „in welcher Männer Netze bin ich Un¬
glückſeliger gerathen?“ Oreſtes aber donnerte ihn mit
tiefer Stimme an: „Weißeſt du denn nicht ſchon lange,
daß du zu Lebendigen als zu Todten ſpracheſt? Sieheſt
du nicht, daß Oreſtes, der Rächer ſeines Vaters, vor
dir ſteht?“ — „Laß mich reden!“ ſprach zuſammenge¬
ſunken Aegiſthus. Aber Elektra beſchwor den Bruder ihn
nicht anzuhören. Verſtummend ſtießen ihn die Ankömm¬
linge hinein in den Pallaſt, und an demſelben Orte,
wo er einſt den König Agamemnon in Bade gemordet,
fiel Aegiſthus wie ein Opferthier, unter den Streichen
des Rächers.


Oreſtes und die Eumeniden.

Oreſtes hatte, als er die Rachepflicht für den Va¬
ter an der Mutter und ihrem Buhlen übte, nach dem
Willen der Götter ſelbſt gehandelt und ein Orakel des
Apollo hatte ihm befohlen zu thun, was er gethan.
Aber die Frömmigkeit gegen den Vater hatte ihn zum Mörder
an der Mutter gemacht. Nach der That erwachte die
Kindesliebe in ſeiner Bruſt und der durch eine andere Na¬
turpflicht gebotene Frevel gegen die Natur, den er im
gräßlichen Zwieſpalte der Pflichten begangen hatte, ließ
ihn den Rächerinnen ſolcher Frevel, den Erinnyen oder
Rachegöttinnen (Furien) anheimfallen, welche die Griechen
aus Furcht auch die Eumeniden, das heißt, die Gnädigen,
oder: „die uns gnädig ſeyn mögen,“ benannten. Töchter der
Nacht und ſchwarz wie dieſe, von entſetzlicher Geſtalt,

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[29/0051] Leichnam Klytämneſtra's zeigte ſich ſeinen Blicken. „Weh mir,“ ſchrie er, „in welcher Männer Netze bin ich Un¬ glückſeliger gerathen?“ Oreſtes aber donnerte ihn mit tiefer Stimme an: „Weißeſt du denn nicht ſchon lange, daß du zu Lebendigen als zu Todten ſpracheſt? Sieheſt du nicht, daß Oreſtes, der Rächer ſeines Vaters, vor dir ſteht?“ — „Laß mich reden!“ ſprach zuſammenge¬ ſunken Aegiſthus. Aber Elektra beſchwor den Bruder ihn nicht anzuhören. Verſtummend ſtießen ihn die Ankömm¬ linge hinein in den Pallaſt, und an demſelben Orte, wo er einſt den König Agamemnon in Bade gemordet, fiel Aegiſthus wie ein Opferthier, unter den Streichen des Rächers. Oreſtes und die Eumeniden. Oreſtes hatte, als er die Rachepflicht für den Va¬ ter an der Mutter und ihrem Buhlen übte, nach dem Willen der Götter ſelbſt gehandelt und ein Orakel des Apollo hatte ihm befohlen zu thun, was er gethan. Aber die Frömmigkeit gegen den Vater hatte ihn zum Mörder an der Mutter gemacht. Nach der That erwachte die Kindesliebe in ſeiner Bruſt und der durch eine andere Na¬ turpflicht gebotene Frevel gegen die Natur, den er im gräßlichen Zwieſpalte der Pflichten begangen hatte, ließ ihn den Rächerinnen ſolcher Frevel, den Erinnyen oder Rachegöttinnen (Furien) anheimfallen, welche die Griechen aus Furcht auch die Eumeniden, das heißt, die Gnädigen, oder: „die uns gnädig ſeyn mögen,“ benannten. Töchter der Nacht und ſchwarz wie dieſe, von entſetzlicher Geſtalt,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/51>, abgerufen am 24.11.2024.