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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Das pontisch-armenische Gestade-Land.
Nähe ändert sich freilich so Manches zu Ungunsten des historisch
so bedeutsamen und geographisch nicht minder wichtigen Punktes
am armenisch-pontischen Gestade. Mit dem Einzuge durch die
alten Thore, über hochspannende Brücken, bis zu deren Rand
die aus den Felsgräben heraufwuchernde Vegetation reicht, werden
enge, winkelige Gassen, durch fensterlose Lehmmauern markirt,
betreten und nur hin und wieder öffnen sich durch die Haus-
pforten seitliche Einblicke in die gartenähnlichen Höfe, mit ihren
Lauschplätzchen, Brunnenbassins und dem Wein- und Epheugeranke
an den Wänden ... Trapezunts Lage auf einem natürlichen,
in Terrassen ansteigenden Felsschemel an der Pontusküste war
immerdar eine berühmte. Daß der Ort trotzdem eine nur wenig
bewegte und keineswegs stürmische Vergangenheit hat, mag wohl
aus der vom großen Weltgetriebe abseits gedrängten localen
Entwickelung in staatlicher und hin und wieder in cultureller
Beziehung entspringen. Im Rahmen unserer Abhandlung erscheint
uns Trapezunt indeß nur von jenem Zeitpunkte ab beachtenswerth,
wo das Schicksal dieser Stadt durch die Invasion der Osmanen
auf viele Jahrhunderte hinaus entschieden wurde, ein Schicksal,
das mit dem gänzlichen Verfalle der einst so blühenden und
glänzenden Comnenen-Residenz gleichbedeutend ist1.

Die Gründung des Trapezuntischen Kaiserthums durch den
Comnenen Alexis I. ist zur Genüge bekannt2. In Folge der
in Byzanz ausgebrochenen Palastrevolutionen und des hiebei
stattgehabten Einschreitens der Kreuzfahrerheere, als vierjähriger
Thronerbe flüchtig, verblieb Alexis bis zu seiner Volljährigkeit
unter dem Schutze der letzten Comnenen-Sprößlinge in Colchis,
worauf die Gründung des neuen Kaiserthums, (in der beiläufigen
räumlichen Ausdehnung der bisherigen türkischen Statthalterschaft)
erfolgte, vom colchischen Gestade bis Sinope einerseits und bis zu dem
pontisch-armenischen Küstengebirge anderseits, also eine Gebiets-
Ausdehnung, die mit dem Begriffe eines Kaiserthums wohl kaum
in Einklang zu bringen war, zumal in der offensiven Machtfrage.
Auch sonst waren mit dem byzantinischen Sprößling alle Ge-
brechen des eigentlichen Mutterstaates auf das neugegründete

1 Hammer-Purgstall, "Geschichte des osmanischen Reiches", II, 57 u. ff.
2 J. Ph. Fallmerayer, "Gesch. d. Kaiserth. Trapezunt", 63, 81.

Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land.
Nähe ändert ſich freilich ſo Manches zu Ungunſten des hiſtoriſch
ſo bedeutſamen und geographiſch nicht minder wichtigen Punktes
am armeniſch-pontiſchen Geſtade. Mit dem Einzuge durch die
alten Thore, über hochſpannende Brücken, bis zu deren Rand
die aus den Felsgräben heraufwuchernde Vegetation reicht, werden
enge, winkelige Gaſſen, durch fenſterloſe Lehmmauern markirt,
betreten und nur hin und wieder öffnen ſich durch die Haus-
pforten ſeitliche Einblicke in die gartenähnlichen Höfe, mit ihren
Lauſchplätzchen, Brunnenbaſſins und dem Wein- und Epheugeranke
an den Wänden … Trapezunts Lage auf einem natürlichen,
in Terraſſen anſteigenden Felsſchemel an der Pontusküſte war
immerdar eine berühmte. Daß der Ort trotzdem eine nur wenig
bewegte und keineswegs ſtürmiſche Vergangenheit hat, mag wohl
aus der vom großen Weltgetriebe abſeits gedrängten localen
Entwickelung in ſtaatlicher und hin und wieder in cultureller
Beziehung entſpringen. Im Rahmen unſerer Abhandlung erſcheint
uns Trapezunt indeß nur von jenem Zeitpunkte ab beachtenswerth,
wo das Schickſal dieſer Stadt durch die Invaſion der Osmanen
auf viele Jahrhunderte hinaus entſchieden wurde, ein Schickſal,
das mit dem gänzlichen Verfalle der einſt ſo blühenden und
glänzenden Comnenen-Reſidenz gleichbedeutend iſt1.

Die Gründung des Trapezuntiſchen Kaiſerthums durch den
Comnenen Alexis I. iſt zur Genüge bekannt2. In Folge der
in Byzanz ausgebrochenen Palaſtrevolutionen und des hiebei
ſtattgehabten Einſchreitens der Kreuzfahrerheere, als vierjähriger
Thronerbe flüchtig, verblieb Alexis bis zu ſeiner Volljährigkeit
unter dem Schutze der letzten Comnenen-Sprößlinge in Colchis,
worauf die Gründung des neuen Kaiſerthums, (in der beiläufigen
räumlichen Ausdehnung der bisherigen türkiſchen Statthalterſchaft)
erfolgte, vom colchiſchen Geſtade bis Sinope einerſeits und bis zu dem
pontiſch-armeniſchen Küſtengebirge anderſeits, alſo eine Gebiets-
Ausdehnung, die mit dem Begriffe eines Kaiſerthums wohl kaum
in Einklang zu bringen war, zumal in der offenſiven Machtfrage.
Auch ſonſt waren mit dem byzantiniſchen Sprößling alle Ge-
brechen des eigentlichen Mutterſtaates auf das neugegründete

1 Hammer-Purgſtall, „Geſchichte des osmaniſchen Reiches“, II, 57 u. ff.
2 J. Ph. Fallmerayer, „Geſch. d. Kaiſerth. Trapezunt“, 63, 81.
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[70/0102] Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land. Nähe ändert ſich freilich ſo Manches zu Ungunſten des hiſtoriſch ſo bedeutſamen und geographiſch nicht minder wichtigen Punktes am armeniſch-pontiſchen Geſtade. Mit dem Einzuge durch die alten Thore, über hochſpannende Brücken, bis zu deren Rand die aus den Felsgräben heraufwuchernde Vegetation reicht, werden enge, winkelige Gaſſen, durch fenſterloſe Lehmmauern markirt, betreten und nur hin und wieder öffnen ſich durch die Haus- pforten ſeitliche Einblicke in die gartenähnlichen Höfe, mit ihren Lauſchplätzchen, Brunnenbaſſins und dem Wein- und Epheugeranke an den Wänden … Trapezunts Lage auf einem natürlichen, in Terraſſen anſteigenden Felsſchemel an der Pontusküſte war immerdar eine berühmte. Daß der Ort trotzdem eine nur wenig bewegte und keineswegs ſtürmiſche Vergangenheit hat, mag wohl aus der vom großen Weltgetriebe abſeits gedrängten localen Entwickelung in ſtaatlicher und hin und wieder in cultureller Beziehung entſpringen. Im Rahmen unſerer Abhandlung erſcheint uns Trapezunt indeß nur von jenem Zeitpunkte ab beachtenswerth, wo das Schickſal dieſer Stadt durch die Invaſion der Osmanen auf viele Jahrhunderte hinaus entſchieden wurde, ein Schickſal, das mit dem gänzlichen Verfalle der einſt ſo blühenden und glänzenden Comnenen-Reſidenz gleichbedeutend iſt 1. Die Gründung des Trapezuntiſchen Kaiſerthums durch den Comnenen Alexis I. iſt zur Genüge bekannt 2. In Folge der in Byzanz ausgebrochenen Palaſtrevolutionen und des hiebei ſtattgehabten Einſchreitens der Kreuzfahrerheere, als vierjähriger Thronerbe flüchtig, verblieb Alexis bis zu ſeiner Volljährigkeit unter dem Schutze der letzten Comnenen-Sprößlinge in Colchis, worauf die Gründung des neuen Kaiſerthums, (in der beiläufigen räumlichen Ausdehnung der bisherigen türkiſchen Statthalterſchaft) erfolgte, vom colchiſchen Geſtade bis Sinope einerſeits und bis zu dem pontiſch-armeniſchen Küſtengebirge anderſeits, alſo eine Gebiets- Ausdehnung, die mit dem Begriffe eines Kaiſerthums wohl kaum in Einklang zu bringen war, zumal in der offenſiven Machtfrage. Auch ſonſt waren mit dem byzantiniſchen Sprößling alle Ge- brechen des eigentlichen Mutterſtaates auf das neugegründete 1 Hammer-Purgſtall, „Geſchichte des osmaniſchen Reiches“, II, 57 u. ff. 2 J. Ph. Fallmerayer, „Geſch. d. Kaiſerth. Trapezunt“, 63, 81.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/102>, abgerufen am 21.11.2024.