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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Das pontisch-armenische Gestade-Land.
geblieben zu sein. Daß bald hierauf Osman Pascha, der die
vernichtete Provinz übernahm, ein Winkel-Despot noch schlimmerer
Sorte wurde, als sein ehrenwerther Mentor, kann nimmer be-
fremden. Da aber all dieses Gelichter auch die Pforte betrog
und nur verschwindende Bruchtheile jener Summen als Tribut
einsandte, die sie dem rechtlosen Volke abgenommen hatten, so
muß man in der That staunen, daß all diese gesegneten Länder-
striche nicht vollends in Verwilderung und Barbarei sanken.
Man glaube indeß ja nicht, daß die Christen allein in dieser
Hölle auf Erden schmachteten; es traf auch die Moslims und
erstere waren nur insofern noch schlimmer daran, als sie neben
dem Drucke von oben auch noch der Verachtung ihrer anders-
gläubigen Mitbürger, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, ausgesetzt
waren1. Es ist im Uebrigen ein Irrthum, wenn hin und wieder
Stimmen laut werden, welche die Aufhebung der früheren Feudal-
herrschaft, als die dem Lande entsprechendste, beklagen. Als
Sultan Mahmud II. dies that, da war es nur seine Absicht,
die ungebundene Machtstellung der autochthonen Provinz-Gou-
verneure zu brechen und sich eine gefügigere Büreaukratie zu

1 In Colchis und im Innern Klein-Asiens ist es wahrhaft eine In-
famie Christ zu sein. Das Christenthum ist hier so vollständig besiegt und
geknickt, daß an ein Wiederaufleben von innen heraus unter keinerlei
Umständen zu denken ist. Es ist die Religion der Vorstädte und schmutzigen
schlechten Winkel, während alles Volk in der Citadelle (von Trapezunt) in
den höher und zierlich gelegenen Stadttheilen und auf den Landsitzen
türkisch redet und den Islam bekennt. Zu diesen Privilegien der Ehren-
haftigkeit, des Reichthums und der Macht gesellt sich in Anatolien auch
noch das numerische Uebergewicht der Mohammedaner, so daß den Christen
selbst die Hoffnung zur Freiheit entschwunden und die Rache allein im
Herzen geblieben ist. Wer die Rache am Geschlechte Osman vollzieht, ist
der legitime, von Gott selbst auserwählte Herr dieses Himmelsstriches.
Einer Zeit, wie der unsrigen (1840) muß die Staatsklugheit, mit welcher
das aller Verbesserung feindselige Volk der Türken seiner Herrschaft eine
so dauerhafte Grundlage zu geben vermochte, als ein höchlich zu beachten-
des und besonders respectables Phänomen erscheinen. (Fallmerayer,
"Fragmente aus dem Orient", 168.) Aber diese Herrschaft muß denn doch
nur ein Schein gewesen sein, wenn der Fragmentist an anderer Stelle
(S. 216) den türkischen Großen die Worte in den Mund legt: "Wären
die Christen nicht eine hündische, weinberauschte Rotte erbärmlicher Wichte,
sie hätten uns schon lange aus Europa hinausgepeitscht."

Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land.
geblieben zu ſein. Daß bald hierauf Osman Paſcha, der die
vernichtete Provinz übernahm, ein Winkel-Despot noch ſchlimmerer
Sorte wurde, als ſein ehrenwerther Mentor, kann nimmer be-
fremden. Da aber all dieſes Gelichter auch die Pforte betrog
und nur verſchwindende Bruchtheile jener Summen als Tribut
einſandte, die ſie dem rechtloſen Volke abgenommen hatten, ſo
muß man in der That ſtaunen, daß all dieſe geſegneten Länder-
ſtriche nicht vollends in Verwilderung und Barbarei ſanken.
Man glaube indeß ja nicht, daß die Chriſten allein in dieſer
Hölle auf Erden ſchmachteten; es traf auch die Moslims und
erſtere waren nur inſofern noch ſchlimmer daran, als ſie neben
dem Drucke von oben auch noch der Verachtung ihrer anders-
gläubigen Mitbürger, wenn dieſer Ausdruck erlaubt iſt, ausgeſetzt
waren1. Es iſt im Uebrigen ein Irrthum, wenn hin und wieder
Stimmen laut werden, welche die Aufhebung der früheren Feudal-
herrſchaft, als die dem Lande entſprechendſte, beklagen. Als
Sultan Mahmud II. dies that, da war es nur ſeine Abſicht,
die ungebundene Machtſtellung der autochthonen Provinz-Gou-
verneure zu brechen und ſich eine gefügigere Büreaukratie zu

1 In Colchis und im Innern Klein-Aſiens iſt es wahrhaft eine In-
famie Chriſt zu ſein. Das Chriſtenthum iſt hier ſo vollſtändig beſiegt und
geknickt, daß an ein Wiederaufleben von innen heraus unter keinerlei
Umſtänden zu denken iſt. Es iſt die Religion der Vorſtädte und ſchmutzigen
ſchlechten Winkel, während alles Volk in der Citadelle (von Trapezunt) in
den höher und zierlich gelegenen Stadttheilen und auf den Landſitzen
türkiſch redet und den Islam bekennt. Zu dieſen Privilegien der Ehren-
haftigkeit, des Reichthums und der Macht geſellt ſich in Anatolien auch
noch das numeriſche Uebergewicht der Mohammedaner, ſo daß den Chriſten
ſelbſt die Hoffnung zur Freiheit entſchwunden und die Rache allein im
Herzen geblieben iſt. Wer die Rache am Geſchlechte Osman vollzieht, iſt
der legitime, von Gott ſelbſt auserwählte Herr dieſes Himmelsſtriches.
Einer Zeit, wie der unſrigen (1840) muß die Staatsklugheit, mit welcher
das aller Verbeſſerung feindſelige Volk der Türken ſeiner Herrſchaft eine
ſo dauerhafte Grundlage zu geben vermochte, als ein höchlich zu beachten-
des und beſonders reſpectables Phänomen erſcheinen. (Fallmerayer,
„Fragmente aus dem Orient“, 168.) Aber dieſe Herrſchaft muß denn doch
nur ein Schein geweſen ſein, wenn der Fragmentiſt an anderer Stelle
(S. 216) den türkiſchen Großen die Worte in den Mund legt: „Wären
die Chriſten nicht eine hündiſche, weinberauſchte Rotte erbärmlicher Wichte,
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[76/0108] Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land. geblieben zu ſein. Daß bald hierauf Osman Paſcha, der die vernichtete Provinz übernahm, ein Winkel-Despot noch ſchlimmerer Sorte wurde, als ſein ehrenwerther Mentor, kann nimmer be- fremden. Da aber all dieſes Gelichter auch die Pforte betrog und nur verſchwindende Bruchtheile jener Summen als Tribut einſandte, die ſie dem rechtloſen Volke abgenommen hatten, ſo muß man in der That ſtaunen, daß all dieſe geſegneten Länder- ſtriche nicht vollends in Verwilderung und Barbarei ſanken. Man glaube indeß ja nicht, daß die Chriſten allein in dieſer Hölle auf Erden ſchmachteten; es traf auch die Moslims und erſtere waren nur inſofern noch ſchlimmer daran, als ſie neben dem Drucke von oben auch noch der Verachtung ihrer anders- gläubigen Mitbürger, wenn dieſer Ausdruck erlaubt iſt, ausgeſetzt waren 1. Es iſt im Uebrigen ein Irrthum, wenn hin und wieder Stimmen laut werden, welche die Aufhebung der früheren Feudal- herrſchaft, als die dem Lande entſprechendſte, beklagen. Als Sultan Mahmud II. dies that, da war es nur ſeine Abſicht, die ungebundene Machtſtellung der autochthonen Provinz-Gou- verneure zu brechen und ſich eine gefügigere Büreaukratie zu 1 In Colchis und im Innern Klein-Aſiens iſt es wahrhaft eine In- famie Chriſt zu ſein. Das Chriſtenthum iſt hier ſo vollſtändig beſiegt und geknickt, daß an ein Wiederaufleben von innen heraus unter keinerlei Umſtänden zu denken iſt. Es iſt die Religion der Vorſtädte und ſchmutzigen ſchlechten Winkel, während alles Volk in der Citadelle (von Trapezunt) in den höher und zierlich gelegenen Stadttheilen und auf den Landſitzen türkiſch redet und den Islam bekennt. Zu dieſen Privilegien der Ehren- haftigkeit, des Reichthums und der Macht geſellt ſich in Anatolien auch noch das numeriſche Uebergewicht der Mohammedaner, ſo daß den Chriſten ſelbſt die Hoffnung zur Freiheit entſchwunden und die Rache allein im Herzen geblieben iſt. Wer die Rache am Geſchlechte Osman vollzieht, iſt der legitime, von Gott ſelbſt auserwählte Herr dieſes Himmelsſtriches. Einer Zeit, wie der unſrigen (1840) muß die Staatsklugheit, mit welcher das aller Verbeſſerung feindſelige Volk der Türken ſeiner Herrſchaft eine ſo dauerhafte Grundlage zu geben vermochte, als ein höchlich zu beachten- des und beſonders reſpectables Phänomen erſcheinen. (Fallmerayer, „Fragmente aus dem Orient“, 168.) Aber dieſe Herrſchaft muß denn doch nur ein Schein geweſen ſein, wenn der Fragmentiſt an anderer Stelle (S. 216) den türkiſchen Großen die Worte in den Mund legt: „Wären die Chriſten nicht eine hündiſche, weinberauſchte Rotte erbärmlicher Wichte, ſie hätten uns ſchon lange aus Europa hinausgepeitſcht.“

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/108>, abgerufen am 24.11.2024.