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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Die kaukasische Emigration.
schaffen. Er befreite aber auch die Provinz-Bevölkerung, ohne
es direct beabsichtigt zu haben, von dem Jammer ewiger Fehden
zwischen den einzelnen Gouverneuren selbst, unter welchen die
Länder und Völker ebenso wenig gedeihen konnten, als wie unter
der späteren bis auf unsere Tage sich erhaltenen Pascha-Wirtschaft,
die unter officiellem Deckmantel ihre Schandthaten großzieht.

Mit Trapezunt ist noch ein anderes besonderes Capitel der
orientalischen Völkerschicksale verknüpft: die kaukasische Emi-
gration ... Die Völker des Ostens erfreuen sich bei uns un-
leugbarer Popularität. An den Boden, den sie einnehmen,
knüpfen wir in der Regel Vorstellungen von urwüchsiger Romantik,
die angeblich in unseren von der Natur beleckten Heimatländern
nicht ihres Gleichen findet; die einsamen Niederlassungen lassen
an patriarchalischer Idyllität nichts zu wünschen übrig, und die
Söhne dieser Länder und Städte sind die typischesten Repräsen-
tanten zahlreicher, von anheimelnder Naivetät beherrschten Familien-
Gemeinschaften. Von der zweifelhaft edlen Beduinen-Romantik,
die durch erfindungsreiche optimistische Reisebriefsteller im abend-
ländischen Publicum durch Jahrzehnte eine nie verdiente Beachtung
und Sympathie zu erlangen wußte, sei hier gar nicht die Rede.
Selbst der gelehrte Layard hat hierin mancherlei verbrochen
und so wahr und getreu und farbenprächtig seine Schilderungen
des ninivitischen Frühlings sind1, so romanhaft und unwahr
nehmen sich in Wirklichkeit seine in die köstlichen Bilder hinein-
gewobenen Staffagen aus. Daß die richtigen und ächten Beduinen
das denkbar bettelhafteste und treuloseste Gesindel von der Welt
sind, hat man mit der Zeit zu erfahren vollauf Gelegenheit
gehabt; Chateaubriands Nachtreter sind allmälig außer Cours
gebracht worden und heute glaubt Niemand mehr an den Liebes-
zauber in chaldäischen Oasennächten, oder an die sentimentalen
Scheikstöchter, die gleich überirdischen Wesen in der Blüthen-
und Gartenwildniß dem Weltgetriebe entlegenen Santonscapellen
wandeln sollen2 ... Viel hartnäckiger hat man in dem mit

1 Layard, "Niniveh and its Remains", a. a. O.
2 Eine rühmliche Ausnahme macht in dieser Richtung der farben-
prächtige Cultur-Roman C. v. Vincentis, "Die Tempelstürmer Hocharabiens",
der jene religiös-reformatorische Bewegung zum historischen Grundthema

Die kaukaſiſche Emigration.
ſchaffen. Er befreite aber auch die Provinz-Bevölkerung, ohne
es direct beabſichtigt zu haben, von dem Jammer ewiger Fehden
zwiſchen den einzelnen Gouverneuren ſelbſt, unter welchen die
Länder und Völker ebenſo wenig gedeihen konnten, als wie unter
der ſpäteren bis auf unſere Tage ſich erhaltenen Paſcha-Wirtſchaft,
die unter officiellem Deckmantel ihre Schandthaten großzieht.

Mit Trapezunt iſt noch ein anderes beſonderes Capitel der
orientaliſchen Völkerſchickſale verknüpft: die kaukaſiſche Emi-
gration … Die Völker des Oſtens erfreuen ſich bei uns un-
leugbarer Popularität. An den Boden, den ſie einnehmen,
knüpfen wir in der Regel Vorſtellungen von urwüchſiger Romantik,
die angeblich in unſeren von der Natur beleckten Heimatländern
nicht ihres Gleichen findet; die einſamen Niederlaſſungen laſſen
an patriarchaliſcher Idyllität nichts zu wünſchen übrig, und die
Söhne dieſer Länder und Städte ſind die typiſcheſten Repräſen-
tanten zahlreicher, von anheimelnder Naivetät beherrſchten Familien-
Gemeinſchaften. Von der zweifelhaft edlen Beduinen-Romantik,
die durch erfindungsreiche optimiſtiſche Reiſebriefſteller im abend-
ländiſchen Publicum durch Jahrzehnte eine nie verdiente Beachtung
und Sympathie zu erlangen wußte, ſei hier gar nicht die Rede.
Selbſt der gelehrte Layard hat hierin mancherlei verbrochen
und ſo wahr und getreu und farbenprächtig ſeine Schilderungen
des ninivitiſchen Frühlings ſind1, ſo romanhaft und unwahr
nehmen ſich in Wirklichkeit ſeine in die köſtlichen Bilder hinein-
gewobenen Staffagen aus. Daß die richtigen und ächten Beduinen
das denkbar bettelhafteſte und treuloſeſte Geſindel von der Welt
ſind, hat man mit der Zeit zu erfahren vollauf Gelegenheit
gehabt; Chateaubriands Nachtreter ſind allmälig außer Cours
gebracht worden und heute glaubt Niemand mehr an den Liebes-
zauber in chaldäiſchen Oaſennächten, oder an die ſentimentalen
Scheikstöchter, die gleich überirdiſchen Weſen in der Blüthen-
und Gartenwildniß dem Weltgetriebe entlegenen Santonscapellen
wandeln ſollen2 … Viel hartnäckiger hat man in dem mit

1 Layard, „Niniveh and its Remains“, a. a. O.
2 Eine rühmliche Ausnahme macht in dieſer Richtung der farben-
prächtige Cultur-Roman C. v. Vincentis, „Die Tempelſtürmer Hocharabiens“,
der jene religiös-reformatoriſche Bewegung zum hiſtoriſchen Grundthema
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[77/0109] Die kaukaſiſche Emigration. ſchaffen. Er befreite aber auch die Provinz-Bevölkerung, ohne es direct beabſichtigt zu haben, von dem Jammer ewiger Fehden zwiſchen den einzelnen Gouverneuren ſelbſt, unter welchen die Länder und Völker ebenſo wenig gedeihen konnten, als wie unter der ſpäteren bis auf unſere Tage ſich erhaltenen Paſcha-Wirtſchaft, die unter officiellem Deckmantel ihre Schandthaten großzieht. Mit Trapezunt iſt noch ein anderes beſonderes Capitel der orientaliſchen Völkerſchickſale verknüpft: die kaukaſiſche Emi- gration … Die Völker des Oſtens erfreuen ſich bei uns un- leugbarer Popularität. An den Boden, den ſie einnehmen, knüpfen wir in der Regel Vorſtellungen von urwüchſiger Romantik, die angeblich in unſeren von der Natur beleckten Heimatländern nicht ihres Gleichen findet; die einſamen Niederlaſſungen laſſen an patriarchaliſcher Idyllität nichts zu wünſchen übrig, und die Söhne dieſer Länder und Städte ſind die typiſcheſten Repräſen- tanten zahlreicher, von anheimelnder Naivetät beherrſchten Familien- Gemeinſchaften. Von der zweifelhaft edlen Beduinen-Romantik, die durch erfindungsreiche optimiſtiſche Reiſebriefſteller im abend- ländiſchen Publicum durch Jahrzehnte eine nie verdiente Beachtung und Sympathie zu erlangen wußte, ſei hier gar nicht die Rede. Selbſt der gelehrte Layard hat hierin mancherlei verbrochen und ſo wahr und getreu und farbenprächtig ſeine Schilderungen des ninivitiſchen Frühlings ſind 1, ſo romanhaft und unwahr nehmen ſich in Wirklichkeit ſeine in die köſtlichen Bilder hinein- gewobenen Staffagen aus. Daß die richtigen und ächten Beduinen das denkbar bettelhafteſte und treuloſeſte Geſindel von der Welt ſind, hat man mit der Zeit zu erfahren vollauf Gelegenheit gehabt; Chateaubriands Nachtreter ſind allmälig außer Cours gebracht worden und heute glaubt Niemand mehr an den Liebes- zauber in chaldäiſchen Oaſennächten, oder an die ſentimentalen Scheikstöchter, die gleich überirdiſchen Weſen in der Blüthen- und Gartenwildniß dem Weltgetriebe entlegenen Santonscapellen wandeln ſollen 2 … Viel hartnäckiger hat man in dem mit 1 Layard, „Niniveh and its Remains“, a. a. O. 2 Eine rühmliche Ausnahme macht in dieſer Richtung der farben- prächtige Cultur-Roman C. v. Vincentis, „Die Tempelſtürmer Hocharabiens“, der jene religiös-reformatoriſche Bewegung zum hiſtoriſchen Grundthema

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/109>, abgerufen am 24.11.2024.