Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Das pontisch-armenische Gestade-Land. Machthabern dennoch allenthalben der westlichen Gaue Herr zuwerden, und im 17. Jahrhunderte begannen die hartbedrängten Christen zum Islam überzutreten, um der intoleranten Verfol- gung einerseits und dem unerhörten Steuerdruck anderseits zu entgehen1. Das Merkwürdige hiebei ist nun die Thatsache, daß ein 1 Indschidschean bei Ritter, XVIII, 915. 2 Tschichatscheff, "Lettres sur la Turquie", 18, bei Braun, a. a. O. 3 Vgl. Eli Smith, Researches, und bei Koch, "Wanderungen im Orient", I, dann Flandin, "Voyage en Perse", I. 4 Eli Smith, a. a. O.
Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land. Machthabern dennoch allenthalben der weſtlichen Gaue Herr zuwerden, und im 17. Jahrhunderte begannen die hartbedrängten Chriſten zum Islam überzutreten, um der intoleranten Verfol- gung einerſeits und dem unerhörten Steuerdruck anderſeits zu entgehen1. Das Merkwürdige hiebei iſt nun die Thatſache, daß ein 1 Indſchidſchean bei Ritter, XVIII, 915. 2 Tſchichatſcheff, „Lettres sur la Turquie“, 18, bei Braun, a. a. O. 3 Vgl. Eli Smith, Researches, und bei Koch, „Wanderungen im Orient“, I, dann Flandin, „Voyage en Perse“, I. 4 Eli Smith, a. a. O.
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Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land.
Machthabern dennoch allenthalben der weſtlichen Gaue Herr zu
werden, und im 17. Jahrhunderte begannen die hartbedrängten
Chriſten zum Islam überzutreten, um der intoleranten Verfol-
gung einerſeits und dem unerhörten Steuerdruck anderſeits zu
entgehen 1.
Das Merkwürdige hiebei iſt nun die Thatſache, daß ein
eigentlicher Glaubenswechſel keineswegs ſtattgefunden hat, ſon-
dern daß dieſe pontiſchen Griechen nur äußerlich der Form
der moslemiſchen Rechtgläubigkeit ſich unterwarfen, und ihren
Islamismus einzig nur auf den Schein beſchränkten. Sie kennen
weder den Koran noch haben ſie die Beſchneidung, ja es wird
behauptet, daß ſie ganz und gar ein Doppel-Leben führen —
ein griechiſches und ein türkiſches. Oeffentlich ſprächen ſie das
Idiom ihrer nominellen Herren, insgeheim aber griechiſch. Jeder
habe zwei Namen, derſelbe, der am Morgen im weißen oder
grünen Kopfbund ſich Ahmed oder Selim nenne, vereine ſich
Abends mit ſeinen Glaubensgenoſſen in einer verborgenen Hütte
oder Grotte unter Leitung eines Papas, um die Bräuche der
chriſtlichen Kirche zu feiern — deſſelben Papas, der einige Stun-
den früher ſeinen Dienſt als Mollah that — dann hießen ſie
Georg, Simeon, Peter u. ſ. w. 2. Es wird ſich mit den Gebirgs-
bewohnern wahrſcheinlich ähnlich verhalten, wie mit den arg-
bedrängten kurdiſchen Secten im nördlichen Meſopotamien und Thei-
len von Süd-Kurdiſtan, die gleichfalls häufig nur äußerlich Moslems
ſind, ſonſt aber in allen Stücken ihren Glaubensregeln und Ge-
bräuchen nachgehen. Weſtwärts von Trapezunt gibt es fünf
Gaue mit Krypto-Chriſten: Jomura, Sürmeneh, Of, Rizeh und
Hemſchin 3. Alle ſind von der Küſte her nur ſchwer zugänglich;
aber auch im Innern ſind die Straßen höchſt mangelhaft und
geſchloſſene Ortſchaften gehören zu den Seltenheiten. Die Holz-
hütten mit ihren beſchwerten Schindeldächern liegen zerſtreut,
meiſt auf Felsklippen 4 und werden nur im Winter bewohnt; im
1 Indſchidſchean bei Ritter, XVIII, 915.
2 Tſchichatſcheff, „Lettres sur la Turquie“, 18, bei Braun, a. a. O.
3 Vgl. Eli Smith, Researches, und bei Koch, „Wanderungen im
Orient“, I, dann Flandin, „Voyage en Perse“, I.
4 Eli Smith, a. a. O.
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