Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Das pontisch-armenische Gestade-Land. nison auf dieser Jammerstätte ihrem Verderben geweiht werden ...Der Wanderer, welcher die Sumpf- und Dünenküste des alten Kolchis von dem heutigen Poti ab durchwandert hat, stieß somit an dem alten Grenzstriche vorerst nur auf Gräber, von denen einige Hügel stets frisch aufgeworfen sind; erst später begegnete er den bleichen, fieberäugigen Wachleuten und er ward sie nicht los, auch wenn er bereits den pfützenhaften Tscholoch überschritten hatte, dort, wo sich das frühere türkische Fort Kindrischi erhob, in gleich trostloser Gegend. Auf niederem Hügel liegt da eine verfallene gurische Burg, die Brutstätte giftigen Gewürms und auf den feuchten Blöcken sonnen sich Salamander und Molche. Die Gebirgslehnen hinan wird es allerdings besser. Auch dort liegt hin und wieder das Fragment einer Burg, aber die dunkle Silhouette derselben erscheint hier von dem ungetrübten Sonnen- blicke heiter verklärt und aus dem uralten Gefüge wuchern Stechpalmen, während die Höhen blühender Rhododendron schmückt1. Da hinauf geht es immer tiefer ins Gebirge, bis sich nach Passirung eines niedern Sattels zwischen dem Kolowa und Perenga-Gebirge der Blick in die jenseitigen Kessellandschaften senkt, dem Stammlande der kriegerischen Adjaren. Sie waren früher die berüchtigtsten Mädchenhändler, namentlich zu jener Zeit da Achalzich noch in türkischen Händen sich befand und keine Autorität dem entwürdigenden Schacher Schranken setzte. Weidlich unterstützt wurde dieses wilde Bergvolk von den weit hinten im Kaukasus wohnenden Lesghiern, welche trotz der Anwesenheit der Russen in Georgien noch immer ihre Schleichwege den Kosaken unentdeckt zu halten wußten. Man nannte dies weitläufige Netz von Schmugglerwegen die "Lesghischen Straßen" und sie zogen mitunter mitten durch russisches Territorium hindurch2. Heute hat sich das freilich geändert, aber selbst in jüngster Zeit gab es noch immer Waare genug, da weder die Georgierinnen noch die andern Mädchen der kaukasischen Berge in ihrer Exportation nach Stambul ein so namenloses Unglück erblickten, als man im Abendlande gemeinhin annimmt3. Es ist allgemein bekannt, daß sogar die georgischen Mütter ihren Töchtern Tag für Tag die 1 K. Koch, a. a. O. 2 A. a. O. 3 v. Berg, "Türkische Tscherkessen", a. a. O.
Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land. niſon auf dieſer Jammerſtätte ihrem Verderben geweiht werden …Der Wanderer, welcher die Sumpf- und Dünenküſte des alten Kolchis von dem heutigen Poti ab durchwandert hat, ſtieß ſomit an dem alten Grenzſtriche vorerſt nur auf Gräber, von denen einige Hügel ſtets friſch aufgeworfen ſind; erſt ſpäter begegnete er den bleichen, fieberäugigen Wachleuten und er ward ſie nicht los, auch wenn er bereits den pfützenhaften Tſcholoch überſchritten hatte, dort, wo ſich das frühere türkiſche Fort Kindriſchi erhob, in gleich troſtloſer Gegend. Auf niederem Hügel liegt da eine verfallene guriſche Burg, die Brutſtätte giftigen Gewürms und auf den feuchten Blöcken ſonnen ſich Salamander und Molche. Die Gebirgslehnen hinan wird es allerdings beſſer. Auch dort liegt hin und wieder das Fragment einer Burg, aber die dunkle Silhouette derſelben erſcheint hier von dem ungetrübten Sonnen- blicke heiter verklärt und aus dem uralten Gefüge wuchern Stechpalmen, während die Höhen blühender Rhododendron ſchmückt1. Da hinauf geht es immer tiefer ins Gebirge, bis ſich nach Paſſirung eines niedern Sattels zwiſchen dem Kolowa und Perenga-Gebirge der Blick in die jenſeitigen Keſſellandſchaften ſenkt, dem Stammlande der kriegeriſchen Adjaren. Sie waren früher die berüchtigtſten Mädchenhändler, namentlich zu jener Zeit da Achalzich noch in türkiſchen Händen ſich befand und keine Autorität dem entwürdigenden Schacher Schranken ſetzte. Weidlich unterſtützt wurde dieſes wilde Bergvolk von den weit hinten im Kaukaſus wohnenden Lesghiern, welche trotz der Anweſenheit der Ruſſen in Georgien noch immer ihre Schleichwege den Koſaken unentdeckt zu halten wußten. Man nannte dies weitläufige Netz von Schmugglerwegen die „Lesghiſchen Straßen“ und ſie zogen mitunter mitten durch ruſſiſches Territorium hindurch2. Heute hat ſich das freilich geändert, aber ſelbſt in jüngſter Zeit gab es noch immer Waare genug, da weder die Georgierinnen noch die andern Mädchen der kaukaſiſchen Berge in ihrer Exportation nach Stambul ein ſo namenloſes Unglück erblickten, als man im Abendlande gemeinhin annimmt3. Es iſt allgemein bekannt, daß ſogar die georgiſchen Mütter ihren Töchtern Tag für Tag die 1 K. Koch, a. a. O. 2 A. a. O. 3 v. Berg, „Türkiſche Tſcherkeſſen“, a. a. O.
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Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land.
niſon auf dieſer Jammerſtätte ihrem Verderben geweiht werden …
Der Wanderer, welcher die Sumpf- und Dünenküſte des alten
Kolchis von dem heutigen Poti ab durchwandert hat, ſtieß ſomit
an dem alten Grenzſtriche vorerſt nur auf Gräber, von denen
einige Hügel ſtets friſch aufgeworfen ſind; erſt ſpäter begegnete
er den bleichen, fieberäugigen Wachleuten und er ward ſie nicht
los, auch wenn er bereits den pfützenhaften Tſcholoch überſchritten
hatte, dort, wo ſich das frühere türkiſche Fort Kindriſchi erhob,
in gleich troſtloſer Gegend. Auf niederem Hügel liegt da eine
verfallene guriſche Burg, die Brutſtätte giftigen Gewürms und
auf den feuchten Blöcken ſonnen ſich Salamander und Molche.
Die Gebirgslehnen hinan wird es allerdings beſſer. Auch dort
liegt hin und wieder das Fragment einer Burg, aber die dunkle
Silhouette derſelben erſcheint hier von dem ungetrübten Sonnen-
blicke heiter verklärt und aus dem uralten Gefüge wuchern
Stechpalmen, während die Höhen blühender Rhododendron ſchmückt 1.
Da hinauf geht es immer tiefer ins Gebirge, bis ſich nach
Paſſirung eines niedern Sattels zwiſchen dem Kolowa und
Perenga-Gebirge der Blick in die jenſeitigen Keſſellandſchaften
ſenkt, dem Stammlande der kriegeriſchen Adjaren. Sie waren
früher die berüchtigtſten Mädchenhändler, namentlich zu jener Zeit
da Achalzich noch in türkiſchen Händen ſich befand und keine
Autorität dem entwürdigenden Schacher Schranken ſetzte. Weidlich
unterſtützt wurde dieſes wilde Bergvolk von den weit hinten im
Kaukaſus wohnenden Lesghiern, welche trotz der Anweſenheit der
Ruſſen in Georgien noch immer ihre Schleichwege den Koſaken
unentdeckt zu halten wußten. Man nannte dies weitläufige Netz
von Schmugglerwegen die „Lesghiſchen Straßen“ und ſie zogen
mitunter mitten durch ruſſiſches Territorium hindurch 2. Heute
hat ſich das freilich geändert, aber ſelbſt in jüngſter Zeit gab es
noch immer Waare genug, da weder die Georgierinnen noch die
andern Mädchen der kaukaſiſchen Berge in ihrer Exportation nach
Stambul ein ſo namenloſes Unglück erblickten, als man im
Abendlande gemeinhin annimmt 3. Es iſt allgemein bekannt, daß
ſogar die georgiſchen Mütter ihren Töchtern Tag für Tag die
1 K. Koch, a. a. O.
2 A. a. O.
3 v. Berg, „Türkiſche Tſcherkeſſen“, a. a. O.
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