Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.
Christenmassacre. Bedr-Kahn und Nur-Allah. Allgemeine Armuth. Die Fehden sind indeß auch heute noch häufig, namentlich imGebiete von Tijari, wo zwischen Schneewipfeln in wasserreichen Thälern die Steinhütten der Nestorianer unter gewaltigen Nuß- bäumen liegen 1. Weiter nordwärts, im Gebiete von Djulamerk, hatte Nur-Allah die Massacres arrangirt, er wurde aber später, als er sich auch den intervenirenden Truppen widersetzte, gefangen und ins Exil nach Kandia geschickt 2. Daß heute die Dinge in diesem so entlegenen Winkel von Türkisch-Asien anders, d. h. für die Christen besser stehen, wird wohl Niemand vorauszusetzen wagen, der das ungebundene Schalten der östlichen Bergvölker kennt 3. Welch schöne Aufgabe für jene ferne Zukunft, der es vorbehalten ist, auch unter diese Völker einst Cultur und Gesittung zu tragen 4! Aber selbst im tiefsten Frieden kann Van und sein Terri- 1 J. Braun, "Gemälde d. moh. Welt", 185. 2 Ebend. S. 186. 3 Neuestens wurde dem armenischen Journal "Lrakir" gemeldet, daß der armenische Bischof von Musch dem Patriarchen darüber Bericht er- stattete, daß einige schlechte Individuen in die armenische Kirche dortselbst eingedrungen seien und, einen Hund dem Priester in die Arme legend, gefordert hätten, er solle ihn taufen. (Aug. "Allg. Ztg.", Nr. 73, 1877.) 4 Im Bezirke von Hakkiari wohnen ungefähr 100,000 Nestorianer,
und zwar am compactesten im Districte von Djulamerk. Die Gemeinden Dez, Baz, Dschelo, Zeon, Tyari, Beitul-Schebab, Tschall und Tohub zählen zusammen an 14,000 Häuser, von denen drei Viertheile den Christen an- gehören. (v. Zwiedinet, "Historisch-geographische Notizen über den Nestorianer- District Hakkiari"; Mitth. d. kk. geogr. Gesellschaft, Wien, 1876. S. 82 u. ff.) Chriſtenmaſſacre. Bedr-Kahn und Nur-Allah. Allgemeine Armuth. Die Fehden ſind indeß auch heute noch häufig, namentlich imGebiete von Tijari, wo zwiſchen Schneewipfeln in waſſerreichen Thälern die Steinhütten der Neſtorianer unter gewaltigen Nuß- bäumen liegen 1. Weiter nordwärts, im Gebiete von Djulamerk, hatte Nur-Allah die Maſſacres arrangirt, er wurde aber ſpäter, als er ſich auch den intervenirenden Truppen widerſetzte, gefangen und ins Exil nach Kandia geſchickt 2. Daß heute die Dinge in dieſem ſo entlegenen Winkel von Türkiſch-Aſien anders, d. h. für die Chriſten beſſer ſtehen, wird wohl Niemand vorauszuſetzen wagen, der das ungebundene Schalten der öſtlichen Bergvölker kennt 3. Welch ſchöne Aufgabe für jene ferne Zukunft, der es vorbehalten iſt, auch unter dieſe Völker einſt Cultur und Geſittung zu tragen 4! Aber ſelbſt im tiefſten Frieden kann Van und ſein Terri- 1 J. Braun, „Gemälde d. moh. Welt“, 185. 2 Ebend. S. 186. 3 Neueſtens wurde dem armeniſchen Journal „Lrakir“ gemeldet, daß der armeniſche Biſchof von Muſch dem Patriarchen darüber Bericht er- ſtattete, daß einige ſchlechte Individuen in die armeniſche Kirche dortſelbſt eingedrungen ſeien und, einen Hund dem Prieſter in die Arme legend, gefordert hätten, er ſolle ihn taufen. (Aug. „Allg. Ztg.“, Nr. 73, 1877.) 4 Im Bezirke von Hakkiari wohnen ungefähr 100,000 Neſtorianer,
und zwar am compacteſten im Diſtricte von Djulamerk. Die Gemeinden Dez, Baz, Dſchelo, Zeon, Tyari, Beitul-Schebab, Tſchall und Tohub zählen zuſammen an 14,000 Häuſer, von denen drei Viertheile den Chriſten an- gehören. (v. Zwiedinet, „Hiſtoriſch-geographiſche Notizen über den Neſtorianer- Diſtrict Hakkiari“; Mitth. d. kk. geogr. Geſellſchaft, Wien, 1876. S. 82 u. ff.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0135" n="103"/><fw place="top" type="header">Chriſtenmaſſacre. Bedr-Kahn und Nur-Allah. Allgemeine Armuth.</fw><lb/> Die Fehden ſind indeß auch heute noch häufig, namentlich im<lb/> Gebiete von Tijari, wo zwiſchen Schneewipfeln in waſſerreichen<lb/> Thälern die Steinhütten der Neſtorianer unter gewaltigen Nuß-<lb/> bäumen liegen <note place="foot" n="1">J. Braun, „Gemälde d. moh. Welt“, 185.</note>. Weiter nordwärts, im Gebiete von Djulamerk,<lb/> hatte Nur-Allah die Maſſacres arrangirt, er wurde aber ſpäter,<lb/> als er ſich auch den intervenirenden Truppen widerſetzte, gefangen<lb/> und ins Exil nach Kandia geſchickt <note place="foot" n="2">Ebend. S. 186.</note>. Daß heute die Dinge in<lb/> dieſem ſo entlegenen Winkel von Türkiſch-Aſien anders, d. h. für<lb/> die Chriſten beſſer ſtehen, wird wohl Niemand vorauszuſetzen wagen,<lb/> der das ungebundene Schalten der öſtlichen Bergvölker kennt <note place="foot" n="3">Neueſtens wurde dem armeniſchen Journal „Lrakir“ gemeldet, daß<lb/> der armeniſche Biſchof von Muſch dem Patriarchen darüber Bericht er-<lb/> ſtattete, daß einige ſchlechte Individuen in die armeniſche Kirche dortſelbſt<lb/> eingedrungen ſeien und, einen Hund dem Prieſter in die Arme legend,<lb/> gefordert hätten, er ſolle ihn taufen. (Aug. „Allg. Ztg.“, Nr. 73, 1877.)</note>. Welch<lb/> ſchöne Aufgabe für jene ferne Zukunft, der es vorbehalten iſt, auch<lb/> unter dieſe Völker einſt Cultur und Geſittung zu tragen <note place="foot" n="4">Im Bezirke von Hakkiari wohnen ungefähr 100,000 Neſtorianer,<lb/> und zwar am compacteſten im Diſtricte von Djulamerk. Die Gemeinden<lb/> Dez, Baz, Dſchelo, Zeon, Tyari, Beitul-Schebab, Tſchall und Tohub zählen<lb/> zuſammen an 14,000 Häuſer, von denen drei Viertheile den Chriſten an-<lb/> gehören. (v. Zwiedinet, „Hiſtoriſch-geographiſche Notizen über den Neſtorianer-<lb/> Diſtrict Hakkiari“; Mitth. d. kk. geogr. Geſellſchaft, Wien, 1876. S. 82 u. ff.)</note>!</p><lb/> <p>Aber ſelbſt im tiefſten Frieden kann Van und ſein Terri-<lb/> torium bei all’ ſeiner Fruchtbarkeit und Lieblichkeit die ohnedies<lb/> dünn genug geſäete Bevölkerung nicht ernähren. Jeder Beſucher<lb/> Conſtantinopels wird ſich der ſtämmigen, ſchwarzäugigen Geſtalten<lb/> erinnern, die allerorts daſelbſt an den Straßenecken lungern und<lb/> zum Laſtentragen ſich verdingen. Es ſind die bekannten „Hamals“,<lb/> die bei einer fabelhaften Genügſamkeit (Mokka, Brod und Hülſen-<lb/> früchten) einzeln Laſten befördern, die bei uns mindeſtens nur<lb/> durch drei ſtarke Träger von der Stelle geſchafft werden könnten.<lb/> Dieſer Leute Heimat iſt meiſt im Becken von Van zu ſuchen.<lb/> Es ſollen ihrer oft 30 bis 50,000 in der Fremde ihr Brod<lb/> ſuchen und der zehnte Theil derſelben kehrt jährlich mit ſeinen<lb/> kleinen Erſparniſſen zu ſeiner Familie zurück. Ob ſie die letzteren ſo<lb/> finden, wie ſie dieſelben verließen, iſt immerhin zu bezweifeln;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0135]
Chriſtenmaſſacre. Bedr-Kahn und Nur-Allah. Allgemeine Armuth.
Die Fehden ſind indeß auch heute noch häufig, namentlich im
Gebiete von Tijari, wo zwiſchen Schneewipfeln in waſſerreichen
Thälern die Steinhütten der Neſtorianer unter gewaltigen Nuß-
bäumen liegen 1. Weiter nordwärts, im Gebiete von Djulamerk,
hatte Nur-Allah die Maſſacres arrangirt, er wurde aber ſpäter,
als er ſich auch den intervenirenden Truppen widerſetzte, gefangen
und ins Exil nach Kandia geſchickt 2. Daß heute die Dinge in
dieſem ſo entlegenen Winkel von Türkiſch-Aſien anders, d. h. für
die Chriſten beſſer ſtehen, wird wohl Niemand vorauszuſetzen wagen,
der das ungebundene Schalten der öſtlichen Bergvölker kennt 3. Welch
ſchöne Aufgabe für jene ferne Zukunft, der es vorbehalten iſt, auch
unter dieſe Völker einſt Cultur und Geſittung zu tragen 4!
Aber ſelbſt im tiefſten Frieden kann Van und ſein Terri-
torium bei all’ ſeiner Fruchtbarkeit und Lieblichkeit die ohnedies
dünn genug geſäete Bevölkerung nicht ernähren. Jeder Beſucher
Conſtantinopels wird ſich der ſtämmigen, ſchwarzäugigen Geſtalten
erinnern, die allerorts daſelbſt an den Straßenecken lungern und
zum Laſtentragen ſich verdingen. Es ſind die bekannten „Hamals“,
die bei einer fabelhaften Genügſamkeit (Mokka, Brod und Hülſen-
früchten) einzeln Laſten befördern, die bei uns mindeſtens nur
durch drei ſtarke Träger von der Stelle geſchafft werden könnten.
Dieſer Leute Heimat iſt meiſt im Becken von Van zu ſuchen.
Es ſollen ihrer oft 30 bis 50,000 in der Fremde ihr Brod
ſuchen und der zehnte Theil derſelben kehrt jährlich mit ſeinen
kleinen Erſparniſſen zu ſeiner Familie zurück. Ob ſie die letzteren ſo
finden, wie ſie dieſelben verließen, iſt immerhin zu bezweifeln;
1 J. Braun, „Gemälde d. moh. Welt“, 185.
2 Ebend. S. 186.
3 Neueſtens wurde dem armeniſchen Journal „Lrakir“ gemeldet, daß
der armeniſche Biſchof von Muſch dem Patriarchen darüber Bericht er-
ſtattete, daß einige ſchlechte Individuen in die armeniſche Kirche dortſelbſt
eingedrungen ſeien und, einen Hund dem Prieſter in die Arme legend,
gefordert hätten, er ſolle ihn taufen. (Aug. „Allg. Ztg.“, Nr. 73, 1877.)
4 Im Bezirke von Hakkiari wohnen ungefähr 100,000 Neſtorianer,
und zwar am compacteſten im Diſtricte von Djulamerk. Die Gemeinden
Dez, Baz, Dſchelo, Zeon, Tyari, Beitul-Schebab, Tſchall und Tohub zählen
zuſammen an 14,000 Häuſer, von denen drei Viertheile den Chriſten an-
gehören. (v. Zwiedinet, „Hiſtoriſch-geographiſche Notizen über den Neſtorianer-
Diſtrict Hakkiari“; Mitth. d. kk. geogr. Geſellſchaft, Wien, 1876. S. 82 u. ff.)
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| Zitationshilfe: | Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/135>, abgerufen am 21.11.2024. |
