Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Van und die Kurden. verrufenen Secte der Jeziden 1 an, deren Hauptsitz einst das ein-same Wüstengebirge von Sindjar 2, westlich von Mosul, war, wo sie in ihren unzugänglichen Höhlen das letztemal in den dreißiger Jahren durch Reschid Pascha a la Pelissier ausgeräuchert wurden. Die Jeziden glauben wie alle Ultra-Schiiten an die Incarnation der Gottheit in einem Propheten und in diesem Sinne ist ihr hochgehaltener Nationalpatron Scheich Adi ebenso sehr ein Werk- zeug Gottes als Gott selbst. Der Glaube an die Rehabilitirung des "gefallenen Engels" spielt bei ihnen nur eine untergeordnete Rolle, doch hat ihnen gerade dies die Bezeichnung von "Teufels- anbetern" und damit auch den Haß und die Verfolgungswuth der Nachbarvölker, vor Allem der Mohammedaner, zugezogen. Dies verschlägt aber keineswegs, daß die Jeziden -- die Sind- jarlis ausgenommen -- von allen Kurden die weitaus zugäng- lichsten, tolerantesten, fleißigsten und friedlichsten sind. Bekannt sind ihre Feste zu Ehren Scheich Adi's in dem quellen- und baumreichen Thal gleichen Namens unweit von Amadia. In weißen fliegenden Gewändern und schwarzem Kopfbund zum melodischen Tone der Rohrflöten führen sie dortselbst unter den uralten Nußbäumen und Platanen bei nächtlichem Fackelschein und dem Jubelgeschrei der Weiber: "Tahlil! Tahlil!" ihre reli- giösen Tänze auf 3 ... Die ihnen hiebei nachgesagten geschlecht- 1 Von "Azed", einem alten Gottesnamen. (Layard, "Niniveh and Babylon", 94; bei Braun etc.) 2 Dieses inselartige Land, inmitten der ungeheueren Niederung und einer anderen Bevölkerungsmasse (der arabischen) war zweifellos der erste Zufluchtsort der Jeziden, und so ward es mit der Zeit kurdisch, obgleich nicht nur jezidische Kurden allein daselbst eine Heimstätte fanden. Von den fünf Hauptstämmen der Kabarieh, Schehanieh, Dschenudscheh, Cham- kieh und Denädi sind die ersten zwei moslemisch, die übrigen jezidisch. Die Jeziden-Stämme aber waren es, welche viele Jahrzehnte hindurch die Karawanenwege zwischen Mosul und Nisibin, denen zur Seite das Sindjar- Gebirge liegt, hochgradig unsicher machten, und so entschloß sich -- 1837 -- Reschid Pascha zu ihrer Züchtigung auszuziehen. Die Strafe war eine beispiellos harte, aber zum Theil eine wohlverdiente. Die Jeziden hatten ihre weißen Steinhütten (von prachtvollen Feigengärten umgeben) verlassen und waren in die Höhlen des Gebirges geflüchtet, wo sie den Türken einen blutigen Empfang bereiteten. Nach ihrer Bezwingung flüchtete ein großer Theil nach der Oase el Hadr (die antike Hatra) im Südosten zu den ihnen befreundeten Schamar-Beduinen. 3 J. Braun, a. a. O.
Van und die Kurden. verrufenen Secte der Jeziden 1 an, deren Hauptſitz einſt das ein-ſame Wüſtengebirge von Sindjar 2, weſtlich von Moſul, war, wo ſie in ihren unzugänglichen Höhlen das letztemal in den dreißiger Jahren durch Reſchid Paſcha à la Peliſſier ausgeräuchert wurden. Die Jeziden glauben wie alle Ultra-Schiiten an die Incarnation der Gottheit in einem Propheten und in dieſem Sinne iſt ihr hochgehaltener Nationalpatron Scheich Adi ebenſo ſehr ein Werk- zeug Gottes als Gott ſelbſt. Der Glaube an die Rehabilitirung des „gefallenen Engels“ ſpielt bei ihnen nur eine untergeordnete Rolle, doch hat ihnen gerade dies die Bezeichnung von „Teufels- anbetern“ und damit auch den Haß und die Verfolgungswuth der Nachbarvölker, vor Allem der Mohammedaner, zugezogen. Dies verſchlägt aber keineswegs, daß die Jeziden — die Sind- jarlis ausgenommen — von allen Kurden die weitaus zugäng- lichſten, toleranteſten, fleißigſten und friedlichſten ſind. Bekannt ſind ihre Feſte zu Ehren Scheich Adi’s in dem quellen- und baumreichen Thal gleichen Namens unweit von Amadia. In weißen fliegenden Gewändern und ſchwarzem Kopfbund zum melodiſchen Tone der Rohrflöten führen ſie dortſelbſt unter den uralten Nußbäumen und Platanen bei nächtlichem Fackelſchein und dem Jubelgeſchrei der Weiber: „Tahlil! Tahlil!“ ihre reli- giöſen Tänze auf 3 … Die ihnen hiebei nachgeſagten geſchlecht- 1 Von „Azed“, einem alten Gottesnamen. (Layard, „Niniveh and Babylon“, 94; bei Braun ꝛc.) 2 Dieſes inſelartige Land, inmitten der ungeheueren Niederung und einer anderen Bevölkerungsmaſſe (der arabiſchen) war zweifellos der erſte Zufluchtsort der Jeziden, und ſo ward es mit der Zeit kurdiſch, obgleich nicht nur jezidiſche Kurden allein daſelbſt eine Heimſtätte fanden. Von den fünf Hauptſtämmen der Kabarieh, Schehanieh, Dſchenudſcheh, Cham- kieh und Denädi ſind die erſten zwei moslemiſch, die übrigen jezidiſch. Die Jeziden-Stämme aber waren es, welche viele Jahrzehnte hindurch die Karawanenwege zwiſchen Moſul und Niſibin, denen zur Seite das Sindjar- Gebirge liegt, hochgradig unſicher machten, und ſo entſchloß ſich — 1837 — Reſchid Paſcha zu ihrer Züchtigung auszuziehen. Die Strafe war eine beiſpiellos harte, aber zum Theil eine wohlverdiente. Die Jeziden hatten ihre weißen Steinhütten (von prachtvollen Feigengärten umgeben) verlaſſen und waren in die Höhlen des Gebirges geflüchtet, wo ſie den Türken einen blutigen Empfang bereiteten. Nach ihrer Bezwingung flüchtete ein großer Theil nach der Oaſe el Hadr (die antike Hatra) im Südoſten zu den ihnen befreundeten Schamar-Beduinen. 3 J. Braun, a. a. O.
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Van und die Kurden.
verrufenen Secte der Jeziden 1 an, deren Hauptſitz einſt das ein-
ſame Wüſtengebirge von Sindjar 2, weſtlich von Moſul, war, wo
ſie in ihren unzugänglichen Höhlen das letztemal in den dreißiger
Jahren durch Reſchid Paſcha à la Peliſſier ausgeräuchert wurden.
Die Jeziden glauben wie alle Ultra-Schiiten an die Incarnation
der Gottheit in einem Propheten und in dieſem Sinne iſt ihr
hochgehaltener Nationalpatron Scheich Adi ebenſo ſehr ein Werk-
zeug Gottes als Gott ſelbſt. Der Glaube an die Rehabilitirung
des „gefallenen Engels“ ſpielt bei ihnen nur eine untergeordnete
Rolle, doch hat ihnen gerade dies die Bezeichnung von „Teufels-
anbetern“ und damit auch den Haß und die Verfolgungswuth
der Nachbarvölker, vor Allem der Mohammedaner, zugezogen.
Dies verſchlägt aber keineswegs, daß die Jeziden — die Sind-
jarlis ausgenommen — von allen Kurden die weitaus zugäng-
lichſten, toleranteſten, fleißigſten und friedlichſten ſind. Bekannt
ſind ihre Feſte zu Ehren Scheich Adi’s in dem quellen- und
baumreichen Thal gleichen Namens unweit von Amadia. In
weißen fliegenden Gewändern und ſchwarzem Kopfbund zum
melodiſchen Tone der Rohrflöten führen ſie dortſelbſt unter den
uralten Nußbäumen und Platanen bei nächtlichem Fackelſchein
und dem Jubelgeſchrei der Weiber: „Tahlil! Tahlil!“ ihre reli-
giöſen Tänze auf 3 … Die ihnen hiebei nachgeſagten geſchlecht-
1 Von „Azed“, einem alten Gottesnamen. (Layard, „Niniveh and
Babylon“, 94; bei Braun ꝛc.)
2 Dieſes inſelartige Land, inmitten der ungeheueren Niederung und
einer anderen Bevölkerungsmaſſe (der arabiſchen) war zweifellos der erſte
Zufluchtsort der Jeziden, und ſo ward es mit der Zeit kurdiſch, obgleich
nicht nur jezidiſche Kurden allein daſelbſt eine Heimſtätte fanden. Von
den fünf Hauptſtämmen der Kabarieh, Schehanieh, Dſchenudſcheh, Cham-
kieh und Denädi ſind die erſten zwei moslemiſch, die übrigen jezidiſch.
Die Jeziden-Stämme aber waren es, welche viele Jahrzehnte hindurch die
Karawanenwege zwiſchen Moſul und Niſibin, denen zur Seite das Sindjar-
Gebirge liegt, hochgradig unſicher machten, und ſo entſchloß ſich — 1837
— Reſchid Paſcha zu ihrer Züchtigung auszuziehen. Die Strafe war
eine beiſpiellos harte, aber zum Theil eine wohlverdiente. Die Jeziden
hatten ihre weißen Steinhütten (von prachtvollen Feigengärten umgeben)
verlaſſen und waren in die Höhlen des Gebirges geflüchtet, wo ſie den
Türken einen blutigen Empfang bereiteten. Nach ihrer Bezwingung
flüchtete ein großer Theil nach der Oaſe el Hadr (die antike Hatra) im
Südoſten zu den ihnen befreundeten Schamar-Beduinen.
3 J. Braun, a. a. O.
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