Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Anhang. Anatolische Fragmente. Indem wir durch die Schlucht des Kara-Su, der bei Bi- Wie nicht bald an einem Orte Kleinasiens manifestirt sich die Prinzen Mohammed und Bajazid, von welchen der eine von seinem
älteren Bruder (Osman II.), der andere von seinem jüngeren Bruder Mustafa umgebracht wurde. Auch in der Aja-Sofia wuchern nur düstere Erinnerungen. Dort haben sich mit der Zeit zum ewigen Schlafe die erbittertsten Feinde zusammengefunden. Selim II. ruht neben Nur-Banu der Frau seines Sohnes Murad. Nebenan schlummern siebenzehn Brüder, die Mahommed III., in der steten Furcht von ihnen verdrängt und seines Thrones beraubt zu werden, grausam hinwürgen ließ. Nicht weit von diesem unheimlichen Denkmale morgenländischer Despotenwirthschaf, liegt das Marmor-Mausoleum Mustafa I. Unter seinem Kuppeldache ruhen Vater und Sohn, die beide eines gewaltsamen Todes starben. Nicht weit von der Ruhestätte des unglücklichen Selim III., stoßen wir auf jene Mahmuds II., der jüngsten von allen. Es ist ganz aus weißem Marmor und das Innere erhält Licht durch sieben große, mit vergoldeten Gittern geschlossene Fenster. Das Innere ist -- mit Sophas, Armsesseln, seidenen Draperien, ja sogar mit Uhren ausgeschmückt, so daß man glaubt, sich in einem Salon, nicht aber in einer Gruft zu befinden. Auf dem gewaltigen Sarkophage ruht das mit einer Feder geschmückte Fez des Sultans. Anhang. Anatoliſche Fragmente. Indem wir durch die Schlucht des Kara-Su, der bei Bi- Wie nicht bald an einem Orte Kleinaſiens manifeſtirt ſich die Prinzen Mohammed und Bajazid, von welchen der eine von ſeinem
älteren Bruder (Osman II.), der andere von ſeinem jüngeren Bruder Muſtafa umgebracht wurde. Auch in der Aja-Sofia wuchern nur düſtere Erinnerungen. Dort haben ſich mit der Zeit zum ewigen Schlafe die erbittertſten Feinde zuſammengefunden. Selim II. ruht neben Nur-Banu der Frau ſeines Sohnes Murad. Nebenan ſchlummern ſiebenzehn Brüder, die Mahommed III., in der ſteten Furcht von ihnen verdrängt und ſeines Thrones beraubt zu werden, grauſam hinwürgen ließ. Nicht weit von dieſem unheimlichen Denkmale morgenländiſcher Deſpotenwirthſchaf, liegt das Marmor-Mauſoleum Muſtafa I. Unter ſeinem Kuppeldache ruhen Vater und Sohn, die beide eines gewaltſamen Todes ſtarben. Nicht weit von der Ruheſtätte des unglücklichen Selim III., ſtoßen wir auf jene Mahmuds II., der jüngſten von allen. Es iſt ganz aus weißem Marmor und das Innere erhält Licht durch ſieben große, mit vergoldeten Gittern geſchloſſene Fenſter. Das Innere iſt — mit Sophas, Armſeſſeln, ſeidenen Draperien, ja ſogar mit Uhren ausgeſchmückt, ſo daß man glaubt, ſich in einem Salon, nicht aber in einer Gruft zu befinden. Auf dem gewaltigen Sarkophage ruht das mit einer Feder geſchmückte Fez des Sultans. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0188" n="156"/> <fw place="top" type="header">Anhang. Anatoliſche Fragmente.</fw><lb/> <p>Indem wir durch die Schlucht des Kara-Su, der bei Bi-<lb/> ledſchik vorbeiſtrömt, unſere Route nach Wezierhan fortſetzen,<lb/> gelangen wir bald thalabwärts des Sakariah nach Lefkeh und<lb/> von dort in die Ebene des einſt weitberühmten Nicäa.</p><lb/> <p>Wie nicht bald an einem Orte Kleinaſiens manifeſtirt ſich<lb/> hier die beiſpiellos raſch Entartung des osmaniſchen Volkes.<lb/> Unweit der Stelle der einſt ſo glanzreichen Stadt des Antigonus<lb/> liegt heute ein elendes Dorf von etlichen Dutzend ineinandergehäuften<lb/> Holzhäuſern, während das Ruinenfeld mit ſeinen gewaltigen<lb/> Mauern, Thoren und Thürmen etwas abſeits ſituirt iſt …<lb/> Isnik iſt der türkiſche Name dieſes traurigen Denkmales an<lb/> eine große Vergangenheit. Wer zwiſchen dem Immergrün, den<lb/> Platanen und Cypreſſen des bithyniſchen Geſtadelandes wandelt<lb/> und ſich beim Anblicke der Trümmer vielleicht in die Zeit der<lb/> Kirchenverſammlungen verſetzt denkt, wo ein Conſtantin, den<lb/> man ungerechterweiſe den „Großen“ nennt, den erſten Impuls<lb/> zum chriſtlichen Zelotismus gab, dem werden hier noch ganz<lb/> andere Dinge in den Sinn kommen. Nicäa, oder eigentlich<lb/> „Isnik“, iſt keine byzantiniſche Ruinenſtadt allein; im Innern<lb/> derſelben gewahrt man allenthalben die Fragmente weitläufiger<lb/> Bazars und Moſcheen, ein Beweis, daß einſt auch das osmaniſche<lb/><note xml:id="seg2pn_17_2" prev="#seg2pn_17_1" place="foot" n="2">die Prinzen Mohammed und Bajazid, von welchen der eine von ſeinem<lb/> älteren Bruder (Osman <hi rendition="#aq">II.</hi>), der andere von ſeinem jüngeren Bruder<lb/> Muſtafa umgebracht wurde. Auch in der Aja-Sofia wuchern nur düſtere<lb/> Erinnerungen. Dort haben ſich mit der Zeit zum ewigen Schlafe die<lb/> erbittertſten Feinde zuſammengefunden. Selim <hi rendition="#aq">II.</hi> ruht neben Nur-Banu<lb/> der Frau ſeines Sohnes Murad. Nebenan ſchlummern <hi rendition="#g">ſiebenzehn</hi><lb/> Brüder, die Mahommed <hi rendition="#aq">III.</hi>, in der ſteten Furcht von ihnen verdrängt<lb/> und ſeines Thrones beraubt zu werden, grauſam hinwürgen ließ. Nicht<lb/> weit von dieſem unheimlichen Denkmale morgenländiſcher Deſpotenwirthſchaf,<lb/> liegt das Marmor-Mauſoleum Muſtafa <hi rendition="#aq">I.</hi> Unter ſeinem Kuppeldache<lb/> ruhen Vater und Sohn, die beide eines gewaltſamen Todes ſtarben. Nicht<lb/> weit von der Ruheſtätte des unglücklichen Selim <hi rendition="#aq">III.</hi>, ſtoßen wir auf jene<lb/> Mahmuds <hi rendition="#aq">II.</hi>, der jüngſten von allen. Es iſt ganz aus weißem Marmor<lb/> und das Innere erhält Licht durch ſieben große, mit vergoldeten Gittern<lb/> geſchloſſene Fenſter. Das Innere iſt — mit Sophas, Armſeſſeln, ſeidenen<lb/> Draperien, ja ſogar mit Uhren ausgeſchmückt, ſo daß man glaubt, ſich in<lb/> einem Salon, nicht aber in einer Gruft zu befinden. Auf dem gewaltigen<lb/> Sarkophage ruht das mit einer Feder geſchmückte Fez des Sultans.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [156/0188]
Anhang. Anatoliſche Fragmente.
Indem wir durch die Schlucht des Kara-Su, der bei Bi-
ledſchik vorbeiſtrömt, unſere Route nach Wezierhan fortſetzen,
gelangen wir bald thalabwärts des Sakariah nach Lefkeh und
von dort in die Ebene des einſt weitberühmten Nicäa.
Wie nicht bald an einem Orte Kleinaſiens manifeſtirt ſich
hier die beiſpiellos raſch Entartung des osmaniſchen Volkes.
Unweit der Stelle der einſt ſo glanzreichen Stadt des Antigonus
liegt heute ein elendes Dorf von etlichen Dutzend ineinandergehäuften
Holzhäuſern, während das Ruinenfeld mit ſeinen gewaltigen
Mauern, Thoren und Thürmen etwas abſeits ſituirt iſt …
Isnik iſt der türkiſche Name dieſes traurigen Denkmales an
eine große Vergangenheit. Wer zwiſchen dem Immergrün, den
Platanen und Cypreſſen des bithyniſchen Geſtadelandes wandelt
und ſich beim Anblicke der Trümmer vielleicht in die Zeit der
Kirchenverſammlungen verſetzt denkt, wo ein Conſtantin, den
man ungerechterweiſe den „Großen“ nennt, den erſten Impuls
zum chriſtlichen Zelotismus gab, dem werden hier noch ganz
andere Dinge in den Sinn kommen. Nicäa, oder eigentlich
„Isnik“, iſt keine byzantiniſche Ruinenſtadt allein; im Innern
derſelben gewahrt man allenthalben die Fragmente weitläufiger
Bazars und Moſcheen, ein Beweis, daß einſt auch das osmaniſche
2
2 die Prinzen Mohammed und Bajazid, von welchen der eine von ſeinem
älteren Bruder (Osman II.), der andere von ſeinem jüngeren Bruder
Muſtafa umgebracht wurde. Auch in der Aja-Sofia wuchern nur düſtere
Erinnerungen. Dort haben ſich mit der Zeit zum ewigen Schlafe die
erbittertſten Feinde zuſammengefunden. Selim II. ruht neben Nur-Banu
der Frau ſeines Sohnes Murad. Nebenan ſchlummern ſiebenzehn
Brüder, die Mahommed III., in der ſteten Furcht von ihnen verdrängt
und ſeines Thrones beraubt zu werden, grauſam hinwürgen ließ. Nicht
weit von dieſem unheimlichen Denkmale morgenländiſcher Deſpotenwirthſchaf,
liegt das Marmor-Mauſoleum Muſtafa I. Unter ſeinem Kuppeldache
ruhen Vater und Sohn, die beide eines gewaltſamen Todes ſtarben. Nicht
weit von der Ruheſtätte des unglücklichen Selim III., ſtoßen wir auf jene
Mahmuds II., der jüngſten von allen. Es iſt ganz aus weißem Marmor
und das Innere erhält Licht durch ſieben große, mit vergoldeten Gittern
geſchloſſene Fenſter. Das Innere iſt — mit Sophas, Armſeſſeln, ſeidenen
Draperien, ja ſogar mit Uhren ausgeſchmückt, ſo daß man glaubt, ſich in
einem Salon, nicht aber in einer Gruft zu befinden. Auf dem gewaltigen
Sarkophage ruht das mit einer Feder geſchmückte Fez des Sultans.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |